Federer gegen Djokovic: Déja-vu in Paris
PARIS Es kommt selten bis überhaupt nicht vor, dass Roger Federer die Contenance verliert. Umso mehr überraschte, als der Schweizer Gentleman bei den French Open in seinem Viertelfinalspiel gegen den Argentinier Juan Martin del Potro die Beherrschung verlor. Federer stand kurz vor dem 0:2-Satzrückstand, als er einem Zuschauer, der sich während der Partie einmischte, mit „Shut up” anraunzte: „Halt die Klappe.” Federer zeigte dabei einen angsteinflößenden Gesichtsausdruck.
Am Freitag geht es für Federer, dieser noch aktiven Tennis-Legende, gegen Novak Djokovic, der gerade dabei ist, sich einen ähnlichen Stellenwert wie der Schweizer zu erarbeiten. Auf dem Centre Court kommt es vor 15000 Zuschauern zur Neuauflage des Duells aus dem vergangenen Jahr, das schon jetzt als Sternstunde gilt, als Tennis-Klassiker.
Federer besiegte den Serben damals in vier Sätzen und beendete dessen Siegesserie zu Jahresbeginn von 41 Matches ohne Niederlage. Djokovic war nur einen Sieg von John McEnroes Startrekord entfernt. Federer spielte grandios, er beherrschte phasenweise nach Belieben die Partie und erzielte einen Gewinnschlag nach dem anderen. Doch weil auch Djokovic am Limit spielte, entwickelte sich eine Begegnung von höchster Qualität, über die der 25-jährige Djokovic sagte: „Wir waren Teil eines unglaublichen Spiels.” Diesmal kann Federer sich wieder zum Spielverderber für Djokovic aufschwingen. Es ist ein Déjà-vu im Halbfinale von Paris.
Der Serbe kann in diesem Jahr Tennisgeschichte schreiben, sollte er im Stade Roland Garros erstmals in seiner Karriere gewinnen und damit als erster Tennisspieler nach 43 Jahren alle vier Grand-Slam-Titel in Serie erringen. Dem Australier Rod Laver war das zuletzt 1969 vergönnt. Für Djokovic haben die Kreativen für den Fall der Fälle schon einen neuen Namen gefunden: den „Novak Slam”. „Ich weiß, dass ich Historisches vollbringen kann”, sagte Djokovic unbeeindruckt, „das macht mich aber nicht nervös, sondern spornt noch mehr an.” Dass er allerdings auch gegen die Geschichte spielt, merkt man ihm bei diesen 82. offenen Tennismeisterschaften von Frankreich an.
Djokovic spielt nicht ganz frei auf und wirkt mitunter seltsam gehemmt, zweimal schon musste er in diesem Turnier hochdramatische Fünfsatzmatches überstehen. Zunächst gegen den Südtiroler Andreas Seppi, zuletzt im Viertelfinale gegen den Franzosen Jo-Wilfried Tsonga, als er sich sogar vier Matchbällen gegenübersah. „Es gibt keine vernünftige, rationale Erklärung für solche Siege”, sagte Djokovic, „du musst einfach nur versuchen, immer stark im Kopf zu bleiben. Und nicht zurückzucken, wenn es hart und brenzlig wird.”
Viele der Beobachter erwarten im Halbfinale gegen Federer wieder eine enge Partie. Nur einer legt sich schon vorher fest. „Für mich ist Federer der Favorit”, sagte Toni Nadal. Der Onkel und Trainer von Rafael Nadal, der das zweite Halbfinale gegen David Ferrer bestreitet, findet, dass Djokovic nicht mehr an die Form aus dem vergangenen Jahr herankomme. „Ich bewundere Roger für jeden Schlag”, sagte er Toni Nadal vielmehr: „Seine Fähigkeiten, den Ball zu bearbeiten und vor allem in jedem Moment zu improvisieren, schätze ich am meisten.” Vielleicht ist die ganze Lobhudelei auch nur Taktik, weil er weiß, dass sein Neffe in Endspielen gegen Federer häufiger gewonnen hat als gegen Djokovic.