Zwischen Richard Wagner und Freddy Quinn: Franz Beckenbauers Wandeln in der feinen Gesellschaft

München - Zuletzt wurde es still um den Kaiser. Nach dem Tod seines Sohnes 2015, den Enthüllungen um die Vergabe der WM 2006 und aufgrund von schweren gesundheitlichen Problemen hat sich die bis heute größte Persönlichkeit des deutschen Fußballs immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am 7. Januar 2024 ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren gestorben.
In der am 29. September 2023 erschienenen Biografie "Mensch, Kaiser – Lichtgestalt mit Schattenseiten" beleuchtet AZ-Autor Florian Kinast die Höhen und Tiefen, die sich schon immer durch Beckenbauers Leben zogen und schildert in detailreichen Erzählungen neben seinen Erfolgen als Spieler und Teamchef auch seinen jahrzehntelangen Kampf um Respekt und Wertschätzung.
Das Buch erzählt von seinen großen Leistungen auf dem Fußballplatz, aber auch von seiner Nähe zu den Mächtigen der bayerischen Politik, seinen Ausflügen in Hochkultur und Gesellschaft, die ihm manchmal das Ansehen eines kosmopolitischen Weltmanns einbrachten – und andere Male den Ruf eines Gockels aus Giesing. Die AZ präsentiert eine fünfteilige Serie. Hier Teil 3 – das gesellschaftliche Parkett als dünnes Eis.
Umzug nach Grünwald: Franz Beckenbauer wird Teil der feinen Gesellschaft in München
Beckenbauers neues Anwesen in der Grünwalder Ludwig-Thoma-Straße ab 1970 hat zehn Zimmer. Als Gerd Müller einmal gefragt wird, ob er seinen vergleichsweise bescheidenen Bungalow einige Kilometer weiter südlich in Straßlach nicht auch gegen eine solch feudale Herrschaftsresidenz wie die des Kaisers eintauschen möchte, erwidert er in einer phänomenalen Replik, die Karl Valentin nicht schöner hätte formulieren können: "Was brauch ich zehn Zimmer. Ich kann ja immer nur in einem Zimmer gleichzeitig sein."

Mit dem Umzug nach Grünwald ist Beckenbauer nun noch näher dran an den Kreisen der feinen Münchner Gesellschaft – einer seiner Nachbarn ist TV-Moderator Joachim Fuchsberger, der Blacky. Das ortsansässige Bildungsbürgertum sucht die Nähe zum neu zugezogenen Fußballstar.
Menschen aus dem innersten Zirkel der Kunst- und Kulturszene, die ansonsten Maler, Musiker, Sänger und Dirigenten bei sich empfangen, laden die Beckenbauers zu sich nach Hause.

Bayreuther Festspiele, Wiener Opernball: Franz Beckenbauer lässt kein Event aus
Eine Episode besagt, dass der große Sergiu Celibidache einst den renommierten Musikkritiker Hans Göhl in seinem Grünwalder Haus besucht und im Wohnzimmer Platz genommen habe: Als der Kolumnist des "Merkur" beiläufig erwähnte, dass genau dort schon Franz Beckenbauer gesessen habe, sei der Dirigent mit einem Ruck aufgesprungen und habe den Sessel voll Ehrfurcht betrachtet, sich verneigt und sich woanders hingesetzt.
Beckenbauer taucht nun ein in die Welt der schönen Künste, man sieht ihn bei Smetanas "Die verkaufte Braut" in der Münchner Staatsoper, für die Visite beim Wiener Opernball lässt er sich von Promi-Modezar Peppino Teuschler einen Frack nach Maß schneidern, er besucht die Bayreuther Festspiele.
Viel Ahnung von der Opern-Kunst hatte Franz Beckenbauer dennoch nicht
"In die Geheimnisse der Wagnerschen Tonkunst bin ich nicht tief eingedrungen", schreibt Beckenbauer später einmal. "Ich habe ein bisschen was gelesen und bin dann nach Bayreuth gefahren. Ich wollte das erleben, verstehen lernen, warum diese Opern so viele Menschen faszinieren. Es ist eine Welt, die Beckenbauer fremd ist und fremd bleibt, doch er ist interessiert und offen.

Er versucht auch gar nicht erst, sich mit lautem Geprahle als Kenner der Materie auszugeben und mit vorgestanzten Floskeln neunmalklug wichtigtuerisches Wissen abzusondern, das er nicht besitzt. Auf dem Grünen Hügel gibt er sich "Tristan und Isolde", ein Stück, bei dem er weniger mitreden kann als bei einem 0:0 zwischen Kickers Offenbach und Alemannia Aachen.
Horizonterweiterung: Franz Beckenbauer wird zum "Gockel von Giesing"
Aber er schaut sich's an. Nimmt das Erlebnis mit, fährt dann eben wieder heim und freut sich, wenn er sich dort dann eine Platte von Freddy Quinn auflegen kann, seinem Lieblingssänger. Das ist dann mehr seine Welt, seine Musik. Der Exkurs in die Kultur ist nicht zuletzt ein Verdienst seiner Frau Brigitte, die sich nicht nur als reine Spielerfrau darauf beschränkt, ihrem "Gigo", ihrem "Hasi", so ihre Kosenamen für ihn, ein- bis dreimal die Woche von der Tribüne aus zuzujubeln.

Sie motiviert ihn zu zusätzlicher Horizonterweiterung, sie nehmen Klavierstunden, gehen in einen Tanzkurs, bekommen Englisch-Unterricht. Beckenbauer aber erfährt schnell Hohn und Spott für seine Auftritte in den fußballfernen feinen Kreisen. In jener Zeit ab Ende 1970 manifestiert sich ein Spitzname, mit dem man ihn gern aufzieht, man nennt ihn den "Gockel von Giesing".
Der Film "Libero" wird zum peinlichen Mega-Flop
Es sind die Jahre, in denen er sich mit manchen Auftritten auch blamiert und sich der Lächerlichkeit preisgibt, so wie in dem Spielfilm "Libero", der Ende 1973 in den Kinos zeitgleich mit "Schulmädchenreport 5" und "Die Teufelspiraten von Kau-Lun" um die Gunst der Zuschauer konkurriert und als gewaltiger Flop endet. Ein inhaltsarmer, handlungsbefreiter Streifen, für den er immerhin 15.000 Mark Gage einstreicht – und in dem er ungeniert Produktplatzierungen setzen darf, für Autofirmen oder Modelabels.

Verewigt wird Libero in der Tele5-Reihe "Die schlechtesten Spielfilme aller Zeiten", das Werk befindet sich dort in illustrer Gesellschaft mit Klassikern wie "Abraham Lincoln vs. Zombies", "Mega Piranha" und "Dirndljagd am Kilimandscharo". Eine Liste, auf der garantiert auch ein Werk von Peter Schamoni aufgenommen worden wäre, hätte er 1970 sein angedachtes Filmprojekt "Hermann, der Cheruskerfürst" mit Franz Beckenbauer in der Hauptrolle realisiert. Dazu kommt es dann aber doch nicht. Schade eigentlich.
Das Leben Franz Beckenbauers als Tellerwäschergeschichte
Beckenbauer wirkt zerrissen, er zweifelt und grübelt, wie der "Spiegel" einmal darlegt, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, seine Eltern hätten ihn nach der Volksschule aufs Gymnasium geschickt, um mit dem Abitur später eine akademische Ausbildung anzugehen.
Der Spiegel ist es auch, der in jener Zeit schreiben wird: "Franz Beckenbauers Biografie ist im Grunde eine Tellerwäschergeschichte. Irgendein Instinkt, irgendeine schwer zu definierende Begabung für bestimmte Bewegungsabläufe hat den Sohn eines Postobersekretärs aus dem Münchner Arbeiterviertel Giesing beizeiten an den Ball gebracht, hat ihn dort festgehalten und damit ferngehalten von einer mittleren und gehobenen Schul- oder Berufsausbildung, hat ihn vielmehr schon als Minderjährigen zum Artisten werden lassen und als solchen hinaufkatapultiert in die mit Geld und Glanz verkleidete Zirkuskuppel des Profifußballs..."

Florian Kinast: "Mensch Kaiser - Lichtgestalt mit Schattenseiten". Lübbe Life, 287 Seiten, ISBN: 978-3-431-07057-6
Hinweis: Die Serie wurde bereits im September 2023 anlässlich der Publikation der Biografie über Franz Beckenbauer auf abendzeitung.de veröffentlicht und ist nun nach dem Tod des Kaisers geupdatet worden.