Zu viele Baustellen: Der Kader des FC Bayern ist längst nicht so gut, wie er gemacht wird

München - In der Bundesliga die schlechteste Zwischenbilanz seit zwölf Jahren, im DFB-Pokal bereits ausgeschieden und in der Champions League so gut wie raus: Dem FC Bayern droht eine Saison zum Vergessen.
Dabei sah im vergangenen Sommer noch alles so gut aus. Klar, der Abgang von Weltfußballer Robert Lewandowski schmerzte. Doch in Sadio Mané und Matthijs de Ligt wurden gleich zwei absolute Top-Spieler verpflichtet, dazu kamen vermeintlich sinnvolle Neuzugänge wie Ryan Gravenberch, Mathys Tel oder Noussair Mazraoui. Am Ende stand einer der besten Kader in der Geschichte des Rekordmeisters, frohlockten nicht wenige Fans und Experten.
Den Beweis ist die Luxustruppe des Rekordmeisters in dieser Saison allerdings schuldig geblieben. Da die Saisonziele verfehlt zu werden drohten, wurde Julian Nagelsmann im März entlassen und durch Thomas Tuchel ersetzt. Doch auch er schafft es bislang nicht, das volle Potenzial aus der Mannschaft herauszukitzeln.
Ist der Kader der Bayern also gar nicht so gut, wie er gemacht wird? Die AZ hat eine ausführliche Analyse vorgenommen und dabei gleich mehrere große Problemfelder aufgedeckt. Der große Check!
Tor: Sommer ist kein Neuer – und wird auch keiner mehr!
Mit Kapitän Manuel Neuer haben die Bayern zweifellos einen der besten Torhüter der Geschichte im Kader. Für ihn war die Saison allerdings nach seinem schweren Skiunfall samt Unterschenkelbruch schon im Dezember beendet. Als Ersatz wurde im Winter Yann Sommer von Borussia Mönchengladbach geholt. Acht Millionen Euro ließen sich die Münchner die Dienste des 34-Jährigen kosten – bei einer Rest-Vertragslaufzeit von sechs Monaten ein stolzer Preis.
Der Schweizer Nationaltorhüter war allerdings in den vergangenen Jahren einer der konstantesten und beständigsten Keeper der Bundesliga. Erst im August hatte er die Bayern beim Auswärtsspiel mit Gladbach in der Allianz Arena mit einer historisch guten Torwartleistung zur Verzweiflung gebracht und mit 19 Paraden einen neuen Rekord aufgestellt.
Dass er aber auch auf europäischem Spitzenniveau den Unterschied machen kann, konnte er bislang nicht beweisen. Nach den Spielen gegen ManCity und Hoffenheim kamen Diskussionen um seine für einen Torhüter überschaubare Körpergröße von 1,83 Metern auf. Mindestens zwei der vier Gegentreffer in den beiden Spielen hätte der zehn Zentimeter größere Neuer gehabt, meinten danach viele Experten. Ein Fakt, der kaum zu widerlegen ist.
Fazit: Zwischen den Pfosten fehlt den Bayern ohne Neuer die absolute Weltklasse!
Abwehr: Es wird gepatzt, wo nicht gepatzt werden darf!
Die Defensive wurde in den vergangenen Jahren immer wieder hochkarätig und kostspielig verstärkt. Alleine Dayot Upamecano, Matthijs de Ligt und Lucas Hernández – bis heute der teuerste Transfer der Vereinsgeschichte – kosteten an die 200 Millionen Euro. Von einem Bollwerk ist die Hintermannschaft des Rekordmeisters jedoch weit entfernt.
Insbesondere Upamecano streut immer wieder teils haarsträubende Fehler ein, wie sich erst vergangene Woche gegen ManCity wieder zeigte. Abwehrkollege de Ligt hat sich hingegen nach einem schwierigen ersten Halbjahr deutlich gesteigert und mausert sich mehr und mehr zum Abwehrchef. Benjamin Pavard zeigte zuletzt ebenfalls gute Leistungen, hat aber keine feste Position und pendelt zwischen Abwehrzentrum und Rechtsverteidigerposition.
Die ist seit Jahren ohnehin eine Dauerbaustelle beim Rekordmeister. Sommer-Neuzugang Noussair Mazraoui funktioniert noch nicht so wie gewünscht und wurde im Winter von einer Herzbeutelentzündung zurückgeworfen. Im Winter wurde dafür João Cancelo von Manchester City ausgeliehen, doch auch der blieb hinter den Erwartungen zurück und sorgt gerne mal für schlechte Stimmung, wenn er nicht spielt.
Auf der linken Seite sind die Münchner mit Alphonso Davies nominell ebenfalls gut besetzt. Der Kanadier besticht insbesondere durch seine Stärken in der Offensive, leistet sich in der Rückwärtsbewegung aber immer wieder Nachlässigkeiten. Diese wurden vor allem gegen Manchester offensichtlich, als er enorme Probleme mit Bernardo Silva hatte. Es sind Defizite, die auf allerhöchstem Niveau den Unterschied machen könnten.
Fazit: In der Abwehr sind die Bayern nominell stark besetzt, leisten sich aber immer wieder individuelle Fehler. Zur absoluten Weltklasse fehlt hier noch ein Stück.
Mittelfeld: Bayern braucht wieder einen wie Martínez!
Vor der Abwehr bilden seit Jahren Joshua Kimmich und Leon Goretzka ein Mittelfeld-Duo. Die beiden Nationalspieler werden ihrem Anspruch als Führungsspieler und Leistungsträger insgesamt aber zu selten gerecht. Ihre bis dato beste Zeit hatten sie im Sextuple-Jahr 2020, seitdem erreichen sie nicht mehr konstant Weltklasse-Niveau.
Bei Kimmich wird immer wieder die fehlende Positionstreue auf dem Platz kritisch gesehen, Goretzka wird regelmäßig von Verletzungen zurückgeworfen. Ihre Stammplätze haben beide dennoch sicher, da ihr einziger Konkurrent Ryan Gravenberch noch überhaupt nicht bei den Bayern angekommen ist.
Was den Bayern definitiv fehlt, ist ein klassischer Abräumer vor der Abwehr. Ein Kämpfer-Typ wie einst Javi Martínez, der als Wellenbrecher für die gegnerischen Angriffe fungiert und so Stabilität ins Spiel bringt. Dies kann kein Spieler im aktuellen Kader leisten. Im Sommer kommt mit Konrad Laimer jemand, der das Profil erfüllt.
Eine Reihe weiter vorne sind die Bayern mit Thomas Müller und Jamal Musiala auf dem Papier ebenfalls gut besetzt. Müller ist als Führungsspieler und Pressing-Organisator zwar weiter wichtig für die Mannschaft, ist aber mittlerweile auch in die Jahre gekommen und von seiner einstigen Effektivität (sieben Tore und elf Vorlagen in 33 Saisonspielen) weit entfernt.
Musiala hat seinerseits nach einem extrem starken ersten Halbjahr seit dem Winter mit Formproblemen zu kämpfen, die man ihm aufgrund seines jungen Alters aber keinesfalls negativ auslegen darf. Er wird in seiner Entwicklung schlicht noch ein paar Schritte gehen müssen, um sein enormes Potenzial auch konstant auf den Platz bringen zu können.
Fazit: Im Mittelfeld fehlt vor der Abwehr ein klassischer Abräumer, der Stabilität ins Spiel bringt. Darüber hinaus erreichen zu viele Spieler zu selten ihr volles Potenzial.
Angriff: Hier hat Bayern großen Handlungsbedarf!
Der Angriff ist wohl die größte Baustelle beim Rekordmeister. Sadio Mané, Serge Gnabry und Leroy Sané, drei der Top-Verdiener innerhalb des Kaders, laufen ihrer Form den Großteil der Saison hinterher und werden ihren eigenen Ansprüchen nicht ansatzweise gerecht. Zudem legen alle drei auf dem Platz immer wieder eine zweifelhafte Körpersprache an den Tag – von Querelen abseits des Rasens wie ständigen Verspätungen, einem Paris-Trip und einer Prügelei in der Kabine ganz zu schweigen!
Die Verantwortlichen des Rekordmeisters werden sich genau überlegen, wie es mit dem Offensiv-Trio ab Sommer weitergehen wird. Drei Spitzenverdiener, die viel zu selten Leistung zeigen und in der Kabine für Unruhe sorgen, kann sich ein Verein wie Bayern sowohl mit Blick auf die Finanzen als auch mit Blick auf die Kaderhygiene schlicht nicht leisten. Der einzige Flügelspieler, der keine Sorgen bereitet, ist Kingsley Coman.
Abgesehen davon hat sich die Entscheidung, Robert Lewandowski abzugeben, ohne einen klassischen Mittelstürmer als Ersatz zu holen, als kapitaler Fehler erwiesen. Die Bosse können heilfroh sein, dass Eric Maxim Choupo-Moting im Herbst seiner Karriere die wohl beste Phase seiner Laufbahn erlebt. Der Kameruner ist allerdings verletzungsanfällig und mit 34 Jahren auch keine Lösung für die Zukunft. Hier besteht im Sommer dringender Nachholbedarf!
Ein Lichtblick: Mathys Tel. Der junge Franzose kam in dieser Saison zwar nur selten und wenn, dann meist als Joker zum Einsatz. Wenn er spielte, deutete der 17-Jährige sein enormes Potenzial aber immer wieder an. Der Angreifer, der im vergangenen Sommer von Stade Rennes zu den Bayern kam, könnte sich in den kommenden Jahren als echter Glücksgriff entpuppen. Um im aktuellen Kader bereits eine wichtige Rolle zu spielen, ist es für ihn aber noch zu früh.
Fazit: Im Angriff besteht bei den Bayern großer Handlungsbedarf! Zu viele Top-Verdiener laufen ihrer Form weit hinterher, zudem fehlt dem Rekordmeister ein Vollstrecker. Die Offensive mag auf dem Papier zu den besten Europas gehören, zeigt das auf dem Platz aber viel zu selten.