Zeit für Grundsatzfragen: Die bitteren Erkenntnisse nach dem CL-Aus des FC Bayern

Zum zweiten Mal in Folge ist der FC Bayern im Viertelfinale der Champions League ausgeschieden. Dieses Mal aber nicht gegen einen europäischen Hochkaräter, sondern Underdog Villarreal. Die Bosse müssen sich nun Grundsatzfragen stellen.
von  Bernhard Lackner
Bayerns Vorstandsboss Oliver Kahn muss sich nach seiner ersten Saison im Amt kritische Fragen gefallen lassen.
Bayerns Vorstandsboss Oliver Kahn muss sich nach seiner ersten Saison im Amt kritische Fragen gefallen lassen. © IMAGO / Sven Simon

München - Die Runde der letzten Vier in der Champions League wird der FC Bayern auch in dieser Saison vom heimischen Sofa aus verfolgen müssen. Nach dem erbärmlichen Auftritt bei der 0:5-Demontage in der 2. Runde des DFB-Pokals bei Borussia Mönchengladbach verabschiedete sich der Rekordmeister in dieser Woche gegen den FC Villarreal nun auch aus dem zweiten Pokalwettbewerb – und das über Hin- und Rückspiel gesehen nicht einmal unverdient.

Während Teams wie Manchester City, der FC Liverpool und Real Madrid, mit denen die Münchner so gerne auf Augenhöhe wären, in der Schlussphase der Saison noch um den Henkelpott mitspielen, sind für die Bayern die letzten Wochen dieser Spielzeit erneut zum lästigen Pflichtprogramm verkommen. Am Sonntag wartet mit dem Auswärtsspiel bei Arminia Bielefeld (15.30 Uhr, DAZN und im AZ-Liveticker) bereits wieder der graue Liga-Alltag auf die verkaterten Bayern.

Freilich, die Meisterschaft gilt es noch einzufahren. Es ist die zehnte in Folge, wie die Bosse nicht müde werden zu betonen. Zu großen Jubelstürmen wird die Schalenübergabe beim national so erfolgsverwöhnten Abo-Meister aber nicht führen.

Stattdessen muss man sich nach dem zweiten Viertelfinal-Aus in Folge an der Säbener Straße grundsätzliche Fragen stellen. Denn die extremen Leistungsschwankungen in den vergangenen Wochen, die im Ausscheiden gegen Villarreal gipfelten, förderten so manch bittere Erkenntnis zutage:

Keine Denkverbote: Lewandowski-Verkauf als Neuanfang?

Im Sommer kommenden Jahres laufen die Verträge der Routiniers Thomas Müller, Manuel Neuer und Robert Lewandowski aus, auch Serge Gnabry ist nur noch bis 2023 an die Bayern gebunden. Bislang haben die Verantwortlichen betont, dass sie mit allen vier Spielern verlängern wollen. Nach dem enttäuschenden Viertelfinal-Aus wäre diesbezüglich ein Umdenken womöglich doch nicht so verkehrt.

Mit Ur-Bayer und Identifikationsfigur Müller wird aller Voraussicht nach verlängert. Selbiges gilt für Kapitän Neuer, zumal die Bayern für ihren Keeper keinen auch nur annähernd adäquaten Ersatz in der Hinterhand haben.

Bei Lewandowski könnte es hingegen anders aussehen, er liebäugelt mit einem Wechsel zum FC Barcelona. Zwar ist der zweimalige Fifa-Weltfußballer in Sachen Leistung über jeden Zweifel erhaben – wettbewerbsübergreifend 47 Tore in 41 Spielen sprechen eine deutliche Sprache! –, ein Verkauf wäre aber womöglich genau der große Impuls, den die über Jahre hinweg zum Großteil zusammengehaltene Mannschaft braucht.

Der Pole ist schon jetzt Spitzenverdiener bei den Münchnern und soll für eine Verlängerung ein jährliches Gehalt von 30 Millionen Euro fordern. Bei einem von ihm gewünschten Zweijahresvertrag würde sich das Gesamtpaket also auf 60 Millionen Euro belaufen – bei einem Spieler, der im Sommer immerhin 34 Jahre alt wird.

Sportlich wäre ein Verkauf von Lewandowski selbstredend ein enormer Verlust, andererseits aber auch die Chance auf einen Neuanfang. Ein Transfer sollte jedenfalls nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Bei einer ernsthaften, kritischen Aufarbeitung der Saison darf es keine Denkverbote geben!

FC Bayern: Julian Nagelsmanns Systemumstellungen führen zu Problemen

In den vergangenen Jahren war so gut wie immer klar, mit welchem System der FC Bayern spielt. Der 2009 inthronisierte Louis van Gaal etablierte beim Rekordmeister ein 4-2-3-1, von dem – unabhängig ob kleiner oder großer Gegner – nur in Ausnahmefällen abgewichen wurde. Über all die Jahre hatten sich Automatismen gefestigt, weshalb sich auch Neuzugänge auf dem Platz in der Regel schnell zurechtfanden.

Julian Nagelsmann versuchte seit seiner Ankunft im vergangenen Sommer, das taktische Portfolio zu erweitern, um schwieriger ausrechenbar zu sein und sich noch besser auf die Eigenarten der jeweiligen Gegner einstellen zu können. So etablierte er etwa ein System, das im Spiel mit dem Ball zur Dreierkette wird, indem sich der etatmäßige Linksverteidiger Alphonso Davies extrem offensiv positionierte. Auch Kingsley Coman und Serge Gnabry bekamen als Schienenspieler (Nagelsmann nennt diese "Joker") neue Rollen zugewiesen.

Aufgrund regelmäßiger Ausfälle durch Verletzungen oder Corona-Infektionen konnte sich dies im Laufe der Saison jedoch nie wirklich einspielen, auch die durch die vielen EM-Fahrer im verlängerten Urlaub ausgefallene Saisonvorbereitung macht sich im Nachgang deutlich bemerkbar.

Nicht erst in den Spielen gegen Villarreal wurde offensichtlich, dass der Mannschaft die Automatismen fehlen. Hier muss im Sommer zwingend angesetzt werden, damit wieder die Selbstverständlichkeit ins Spiel einkehrt, die man bei einer Mannschaft des FC Bayern voraussetzt.

Der FC Bayern braucht unbedingt wieder einen Abwehrchef

"Wir haben David Alaba verloren, der in der Kabine und auf dem Platz extrem viel gesprochen hat", meinte Trainer Julian Nagelsmann vor dem Rückspiel gegen Villarreal. Ex-Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge ist derselben Meinung: "Es fehlt ein Organisator in der Abwehr. Der ist nun leider transferiert zu Real Madrid."

Tatsächlich wirkte die Defensive der Münchner auch in der Vorsaison mit Alaba und dem ebenfalls abgewanderten Jérôme Boateng nicht immer sattelfest, wie die Bilanz von 44 Gegentreffern in der Liga bestätigt. Mit im Schnitt einem Gegentor pro Spiel stehen die Bayern derzeit sogar deutlich besser da als im Vorjahr (1,29). Nach zwei Jahren der Wackel-Abwehr brauchen die Bayern aber trotzdem unbedingt wieder einen Abwehrchef, der seinen Laden vollkommen im Griff hat. Sonst wird es auch in den kommenden Jahren nichts mit dem Henkelpott.

Umso bitterer ist daher der Abgang von Niklas Süle, der im Sommer ablösefrei zu Borussia Dortmund wechselt. Wenn fit, war der Nationalspieler in dieser Saison der stabilste Innenverteidiger und übernahm die Rolle des Abwehrchefs. Stand jetzt stehen für die kommende Saison mit Dayot Upamecano, Lucas Hernández, Benjamin Pavard und Tanguy Nianzou vier Innenverteidiger unter Vertrag. Zum Abwehrchef taugt aber keiner davon.

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