"Wir werden aufstehen - und sind danach stärker!"
MÜNCHEN - Ein guter Trainer hat ein Gespür dafür. Einen Riecher, was in einer Mannschaft vorgeht, was sie hemmt oder gar lähmt. Am Samstagnachmittag, wenige Minuten nach Anpfiff der Partie gegen Werder Bremen (2:5), war zu beobachten, wie Jürgen Klinsmann angespannt in seiner Coachingzone umhertigerte.
Von einer Begrenzungslinie zur anderen, möglichst immer auf Ballhöhe. Ständig rief er etwas hinein, wirbelte mit den Armen. Beim Stand von 0:0. Ein Unruhepol in einer roten Stadionjacke – ganz anders als der Jürgen Klinsmann, der die meisten der bisherigen Bayern-Auftritte größtenteils cool und gefasst verfolgt hatte, meist im Sitzen. Diesmal stand er, als sein Team gegen Werder auseinanderfiel. Er versuchte alles. Er, der Vorkämpfer an der Linie. Als hätte er das Leidenschaft-Kontingent für Mannschaft und Trainerstab alleine aufgebraucht. Klinsmann löste sein taktisches Konzept zur Pause auf. Machte aus der Dreierkette – seiner bis dato gefeierten Neuerung – eine Viererkette, ersetzte Lell durch Neuzugang Oddo, brachte Borowski für den in der Abwehrformation nicht mehr benötigten van Buyten. Klinsmann ging Risiko. Klinsmann zeigte Kampfgeist. Für alle offensichtlich. Nach nur zehn Minuten Halbzeitpause war er wieder auf dem Platz, redete hemdsärmlig auf Oddo und Borowski ein. Wenige Minuten später stand es 0:3.
ast ohne Gegenwehr. „Immer wenn wir dran waren, kam der nächste Hammer“, resümierte Klinsmann. Fünf Watschn am fünften Spieltag. Bitter genug. Doch für Klinsmann begannen die schwersten Minuten in den Katakomben: Das Nachspiel. Drei TV-Interviews, dazu die Pressekonferenz. Alle Augen auf ihn: Wie erklärt er den GAU? Etwas genervt reagierte er bei der Zerstückelung der Fehler, bei der Aufarbeitung der Gegentreffer. „Wir können uns die Tore noch 100 Mal in der Zeitlupe anschauen. Wir werden es nicht mehr reparieren können“, motzte der 44-Jährige, „wir können nur daraus lernen und schauen, dass wir es das nächste Mal wesentlich, wesentlich besser machen.“ Das ist sein Job. Das ist sein Auftrag.
Doch Klinsmann stellte sich. Anders als Hoeneß oder Rummenigge, die es vorzogen, zu schweigen. Klinsmann gestand Fehler ein, versprach Besserung. Was sollte er auch anderes tun? Es ist die übliche Rhetorik in solchen Fällen, doch Klinsmann vermied es, einzelne Spieler öffentlich anzuzählen oder gar unflätig zu werden.
„Wir werden das ganze Spiel mit den Jungs durchsprechen“, kündigte er an. Analyse ja, Stillstand nein. Kopf hoch, Augen nach vorne. „Es geht am Mittwoch schon wieder weiter im DFB-Pokal. Umso wichtiger, dass wir daraus Schlüsse ziehen, aber in keinster Weise den Kopf in den Sand stecken“, so seine Prämisse. Ein ähnlich derbe Niederlage hatte er als Bundestrainer nur kurz vor dem WM-Turnier erlebt, beim 1:4 im März 2006 bei einem Test in Italien. Damals war sein ganzes WM-Projekt in Frage gestellt worden, nun sind mit einem Schlag zumindest Zweifel entstanden. Klinsmann sagte: „Wir sind am Boden, aber wir werden aufstehen – und sind danach stärker als vorher.“
Ausgerechnet Tim Borowski war es, der seinem Coach nach Abpfiff zur Seite sprang – obwohl er bis dato stets Bankdrücker gewesen war: „Fehler sollte man nicht beim Nachbarn suchen, sondern bei sich selbst“, mahnte er. Mark van Bommel, der Kapitän, war bei der Analyse weniger hilfreich. „Besser einmal 2:5 verloren als fünfmal 0:1“, meinte er. Als ob Klinsmann das nicht wüsste.
Patrick Strasser