Wie lange hält Ihre Tor-Mauer, Herr Neuer?

München - Manuel Neuer zieht kurz die linke Augenbraue hoch. Dann lacht er. "Nettes Bild – aber wieso habt ihr die Mauer nicht bis ganz hoch gezogen?", fragt der Keeper des FC Bayern, als er von der Abendzeitung die oben gezeigte Fotomontage in die Hand gedrückt bekommt.
Antwort: Man will’s ihm ja nicht zu einfach machen. Denn auch ohne die von der AZ eingefügte Mauer im Bayern-Tor ist Neuer drauf und dran, mehrere Bundesliga-Rekorde zu brechen.
Sieben Gegentore nach 19 Spielen – so gut war noch keiner. Oliver Kahns Gegentorrekord, 21 Treffer am Ende der Saison ’07/’08, wackelt jedenfalls bedenklich. Auch Kahns Bestmarke aus der Spielzeit ’01/’02 mit 19 „Zu-Null”-Spielen hat Neuer im Visier: Der Nationaltorwart steht aktuell bei 13. Ein Grund: "Wir haben verstanden, dass es am wichtigsten ist, zu Null zu spielen."
Bestmarken sind dem 26-Jährigen aber nicht so wichtig. "Der Gegentorrekord ist erst mal uninteressant – zuerst kommt bei mir der mannschaftliche Erfolg."
So viel hat er diese Saison auch noch nicht aufs Tor bekommen. Recht einsam war's oft im Strafraum; eine Parade hier, eine abgefangene Flanke da – das war’s meistens schon. Ihn zu überwinden, hat 2013 noch keiner geschafft, weder in Test- noch in Liga-Spielen.
Nimmt man mal das Elfmetertor von Thorben Marx beim letzten Hinrundenspiel gegen Gladbach (1:1) aus, hat Neuer letztmals am 5. Dezember im Champions-League-Spiel gegen Bate Borissow hinter sich greifen müssen! "Am meisten habe ich zuletzt im Test in Doha gegen den katarischen Meister zu tun gehabt", sagt er.
Wie lange die Tor-Mauer hält? "Im Moment läuft es gut, aber man darf sich nicht blenden lassen", sagt er. "Es wurde schon ein paar Mal richtig eng, wie jetzt beim Pfostenkopfball von Martin Harnik in Stuttgart." Da hatte Neuer Glück, dass ihm der Ball vor die Füße sprang.
Meistens hat er Glück aber gar nicht nötig. Beim 2:0 im Pokalspiel in Augsburg zum Beispiel, als er nach einem abgefälschten Schuss von Ja-Cheol Koo den Körper herum riss und den Ball noch parierte. Im anderen Eck. "Weltklasse", befanden Mitspieler und Sportdirektor Matthias Sammer unisono. "Das ist mein Job", entgegnet Neuer.
Was ihn so stark macht? Der 26-Jährige fühlt sich in München nach eineinhalb Jahren mittlerweile pudelwohl. Im Training pusht ihn Torwarttrainer Toni Tapalovic, den er von Schalke mitbrachte, zu Höchstleistungen. Zu Ersatzkeeper Tom Starke hat Neuer auch ein "super Verhältnis", wie er sagt – "was vor zehn Jahren zwischen Konkurrenten im Tor vielleicht noch undenkbar war".
In der aktuellen Bundesliga-Saison muss Neuer statistisch gesehen nur alle 244 Minuten hinter sich greifen – da kommt kein anderer Stammtorhüter heran. 43 Schüsse hat er pariert, das sind 86 Prozent aller Bälle, die auf sein Tor flogen. Zum Vergleich: René Adler kommt als Zweitbester auf eine Quote von 76.
"Ich profitiere davon, dass die ganze Mannschaft defensiv denkt", sagt Neuer. "Das fängt vorne an – dass Mario Mandzukic und auch Franck Ribéry super verteidigen, ist ein Riesenvorteil für uns." Dass das nicht immer so war, ist Neuer bewusst. "Als die Viererkette hier vor zwei Jahren in der Kritik stand, lag das vor allem daran, dass vorne nicht alle mit verteidigt haben", sagt er. "Und heute sieht man, dass es für alle einfacher wird, wenn Unterstützung von den vorderen Spielern kommt."
Der große Traum der Bayern: Mit dem neuen Defensivgeist die gesamte Rückrunde zu Null zu spielen, meinte Bastian Schweinsteiger. "Das halte ich für unmöglich", sagt Neuer und führt als Beispiel die 1:2-Heimpleite gegen Bayer Leverkusen im Oktober an: "Da haben wir Gegentore bekommen, gegen die man sich nicht wehren kann."
Philipp Lahm schoss Stefan Kießling an, Sidney Sam köpfte Jérôme Boateng auf die Nase, beide Male fand der Ball auf wundersame Weise den Weg ins Bayern-Tor. "Und alle haben nach dem Spiel kapiert, dass der Ball nicht wollte, dass wir das Spiel gewinnen."
Am Samstag ist Bayern nun in Mainz zu Gast (15.30 Uhr live bei Sky und Liga total!), dort kann Neuer den nächsten Schritt Richtung Rekorde machen. Und wenn doch mal einer durchrutscht? Neuer: "Dann ist das auch kein Weltuntergang – wenn wir dafür auf der anderen Seite zwei schießen."