Wie einst Ballack: Hat sich Kimmich bei den Bayern endgültig verzockt?

Der Aufsichtsrat des FC Bayern zieht plötzlich das Vertragsangebot für Joshua Kimmich zurück und setzt den Kapitän der Zukunft damit unter Druck. Auch Sportboss Max Eberl muss nun umdenken.
von  Patrick Strasser
Joshua Kimmich ist nur noch bis zum Saisonende an den FC Bayern gebunden.
Joshua Kimmich ist nur noch bis zum Saisonende an den FC Bayern gebunden. © IMAGO/Sven Simon

München - Und das alles am 125. Geburtstag. Die Feierlaune wurde ab Donnerstagmittag mächtig getrübt beim FC Bayern als der Fall Joshua Kimmich und nicht mehr die große Party vom Mittwochabend im Festsaal am Nockherberg mit rund 650 geladenen Gästen aus Sport, Politik und Gesellschaft die Schlagzeilen bestimmten.

Beim Legendentreffen mit all den Persönlichkeiten aus den vergangenen Jahrzehnten war die gesamte Mannschaft dabei. Ob Kimmich dem Bühnenprogramm stets folgte? Die Zukunft des DFB-Kapitäns, bei Bayern hat er das Amt des Stellvertreters inne, ist offener denn je. Am Montagabend war Schluss mit lustig. Auf der turnusgemäßen Aufsichtsratssitzung zogen die Bosse das Vertragsangebot für den Mittelfeldspieler zurück.

Die Kimmich-Verlängerung schien bereits kurz bevorzustehen

Ein Wendepunkt, denn im Grunde schien der Abschluss einer neuen Vertragsvereinbarung mit dem 30-Jährigen, dessen Arbeitspapier zum 30. Juni endet, kurz bevorzustehen. "Wir wissen genau, was wir wollen, Josh weiß, was wir wollen. Jetzt hoffe ich, dass wir das über die Ziellinie bringen", sagte Sportvorstand Max Eberl letzte Woche hoffnungsfroh.

In erster Linie geht es ums Geld. Ebenso um Anerkennung, um Wertschätzung, die in dieser Branche meist über Gehälter ausgedrückt wird. Und um Wertigkeiten von Spielern. Wer verdient was? Und warum? Erst kürzlich wurde Kimmich ein finanziell leicht nachgebessertes Angebot vorgelegt. Trotz all der Versuche, im Spielerkader an bestimmten Stellen Gehälter zu reduzieren, sollte nun auch Kimmich mehr erhalten als in seinem bisherigen Kontrakt.

Die angekündigten Sparmaßnahmen - manche Stimmen sprechen angesichts des nicht mehr so prall gefüllten Festgeldkontos von Sparzwängen - konnten bei den Vertragsverlängerungen von Jamal Musiala und Alphonso Davies (beide haben jeweils bis 2030 unterschrieben) nicht in die Tat umgesetzt werden.

Kann Kimmich ohne Gesichtsverlust an den Verhandlungstisch zurückkehren?

Doch was tun? Die Kröte schlucken und die branchenüblichen Kröten bezahlen oder die Spieler - im schlechtesten Fall ablösefrei wie nun womöglich bei Kimmich - ziehen lassen? Auf dem Transfermarkt eingekaufte Spieler desselben Niveaus könnten durch das Gesamtpaket aus Ablöse, Unterschriftsbonus und Beraterhonorar noch teurer werden. Die Kimmich-Seite weiß das. Für Eberl, am 1. März seit genau einem Jahr im Amt, ist es die Umkehr einer Win-Win-Situation. Im FCB-Luxusschlitten haben die honorigen Herren seit jeher auf dem Beifahrersitz eingebaute Bremsen. Dieses schwer zu lenkende Fahrschulauto ist auch Eberls Vorgängern bekannt.

Kimmich wartete ab, wie (hoch) die Einigungen mit Musiala und Davies, die nun zur Riege der Topverdiener im Kader gehören, ausfallen. Für den Geschmack der Bosse zögerte er zu lange und pokerte zu hoch. Das Vertragsangebot nun zurückzuziehen kann als Signal, als letzte Warnung verstanden werden. Die Botschaft lautet: Werde dir erst einmal im Grundsatz darüber klar, was du willst, wo du deine Zukunft siehst. Der Ball liegt nun bei Kimmich. Kehrt er an den Verhandlungstisch zurück? Kann er das ohne Gesichtsverlust?

Immerhin ist der Zeitpunkt, dieses Thema aufploppen zu lassen, einigermaßen gut gewählt. Wegen einer Sehnenreizung aus dem Frankfurt-Spiel (4:0) fehlt der Sechser am Freitag in Stuttgart verletzt und kann sich zu Hause seine Gedanken machen. Kimmich, der beim VfB sein erstes Saisonspiel verpasst, wird im zentralen Mittelfeld vom Duo Aleksandar Pavlovic und Leon Goretzka vertreten. Ursprünglich wollte der Verein vor der Crunchtime der Saison die Personalentscheidungen getroffen haben - und mehr Crunchtime als ab März, wenn in der Champions League die Achtelfinal-Duelle (5. und 11.3.) mit Bayer Leverkusen anstehen, geht nicht.

Die Causa Kimmich erinnert an den Fall Ballack von 2005

Es droht ein zweiter Fall Michael Ballack. Im November 2005 hatte der Verein nach wochenlangem Hin und Her das Angebot zur Vertragsverlängerung gegenüber dem weiter unschlüssigen Mittelfeldspieler, damals ebenfalls DFB-Kapitän, "offiziell zurückgezogen", wie Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge auf der Jahreshauptversammlung verkündete - und den Applaus der Mitglieder erntete. Im Sommer 2006 wechselte Ballack ablösefrei zum FC Chelsea.

Im Fall Kimmich ist die Tür noch nicht zu. Beide Seiten wollen sich nun besinnen, eine Einigung nicht ausgeschlossen. Fragt sich nur: Wer macht den ersten Schritt?

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