Wie der Uli aus Ulm den FC Hoeneß formte

München - Die Zigarren, sonst liebstes Feierritual, schmeckten ihm schon lange nicht. Und anstoßen? Mit Rotwein? Zaghaft. Uli Hoeneß wirkte melancholisch. Gefangen in Freiheit. Eine emotionale Haft im Kreise seiner Liebsten, seiner Familie – dem FC Bayern.
In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar erlebte Uli Hoeneß sein vorerst letztes Champions-League-Dinner nach dem Spiel beim FC Arsenal. Die Auslosung hatte den FC Bayern wieder nach London geführt, an den Ort des größten Triumphes der jüngeren Vereinshistorie. Als Bayern im Mai 2013 Champions-League-Sieger wurde, residierte man ebenfalls im feudalen „The Landmark“ unweit des legendären Museums „Madame Tussauds“. Schon damals wusste Hoeneß, was in der Steueraffäre auf ihn zukommen würde. Den Pott, den ihm die Spieler auf der Ehrentribüne des Wembleystadions entgegenstreckten, nahm er nur kurz – als wäre dieses Siegerinsignium ein uneheliches Kind.
„So, die Herren, was wollt ihr denn noch?“, fragte Hoeneß die Reporter, die nun im Februar im Seitengang des Festsaals „Grand Ballroom“ auf Spieler warteten. Und ihn. Hoeneß wusste das. Die Frage war rhetorisch. Hoeneß blieb stehen, schaltete von Melancholie auf gute Laune. Hier drohte keine Gefahr. Nicht in diesem Moment. Bayern hatte 2:0 gewonnen. Es wurde über Fußball gesprochen. Eine Wohltat. Eine Flucht. Gute Zeiten, alte Zeiten. Es gibt den Uli Hoeneß vor dem Bekanntwerden der Steueraffäre im April 2013, also den Mr. FC Bayern, und den Uli Hoeneß danach, den gefallenen Helden, den Steuerbetrüger. Perspektive: Sträfling.
Würde man Hoeneß eine Sonderausstellung im Wachsfigurenkabinett von „Madame Tussauds“ widmen – wer käme da rein? Der blonde Jüngling aus Ulm auf jeden Fall. Am 5. Januar 1952 im Ortsteil Eselsberg geboren, einfache Verhältnisse. Klassensprecher am Schubart-Gymnasium, Organisator von Schulfesten, Retter und Schatzmeister der Schülerzeitung. Schon als Teenager mit großem Geschäftssinn. Er wurde Mitglied im Leichtathletikverein – nur, um beim Fußball schneller als die anderen zu sein.
1970 holte ihn Trainer Udo Lattek, man kannte sich von der Jugendnationalmannschaft, zum FC Bayern. Hoeneß, der Schwaben-Pfeil auf Rechtsaußen, wurde Stammspieler, unverzichtbar. Kein Torjäger wie der Bomber, ein Vorbereiter, ein Lückenreißer. Er freundete sich mit Paul Breitner an, unterschiedlicher könnten zwei Typen nicht sein. Sie posierten oberkörperfrei für Bademode. Das wäre das Prunkstück im Wachsfigurenkabinett. Mit Maier, Müller, Beckenbauer gehörte er zur legendären 70er-Jahre-Truppe, die drei Mal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewann. Immer wieder plagte sich Hoeneß mit Verletzungen herum, gewann aber dennoch alles. 1972 Europameister, 1974 Weltmeister. Seine Karriere musste er 1979 beenden – das Knie. Doch er hatte vorgesorgt.
Und so müsste ins Hoeneß-Wachsfigurenkabinett auch ein Schreibtisch. Mit 27 Jahren erfand er den Managerjob. Gerne erzählte er die Story vom ersten Tag an der Säbener Straße. Ein paar Telefonate, kaum was zu tun. Er ging früher heim. Aus dem Halbtagsjob bei einem Verein mit zwölf Millionen Mark Umsatz wurde ein Konzern, eine AG mit aktuell 433 Millionen Euro Umsatz. Sein Verdienst. 30 Jahre war Hoeneß als Manager die Speerspitze des Vereins, der Sprecher, der Anwalt, der erste Fan. Mit Diplomatie hatte er es nicht so. Was raus musste, musste raus. Ob Wut oder Trainer. Wer sich gegen den FC Bayern stellte, war ein Feind des Vereins. Und damit Hoeneß’ Feind. Journalisten, deren Schreibe und Artikel ihm missfielen, versuchte er, durch Lautstärke auf Kurs zu bringen. Gerne durch Anrufe in den Redaktionen. Wer ihm Kontra gab, gefiel ihm. Frische Störenfriede begrüßte er gerne mit der Frage: „Sie sind doch der Herr...?“ Um dann auszuholen: „Ihnen erkläre ich jetzt mal was!“ So lief das.
2009 ließ er sich zum Präsidenten wählen, nun hatte Hoeneß das höchste repräsentative Amt im Verein inne. Franz Beckenbauer hatte den Weg frei gemacht. Spieler, Manager, Präsident. Der FC Bayern war der FC Hoeneß. Den einst verschuldeten Verein machte er zur Gelddruckmaschine. Die besten Spieler der Welt, die besten Trainer der Welt, eines der modernsten Stadien der Welt mit der Allianz Arena – Grenzen schien es keine zu geben. Nicht für Hoeneß, den Gierigen, den Rastlosen, den Getriebenen, wie man heute weiß. Einen Hoeneß mit Handy am Ohr, den bräuchte es natürlich auch – in Wachs.
Letzten Dezember, drei Tage vor Weihnachten, hielt Hoeneß in Marrakesch seine letzte Rede vor der großen Bayern-Familie. Auf einer Bühne, chic ausgeleuchtet, waren sämtliche Pokale, die aktuell im Bayern-Besitz sind, aufgereiht, dahinter grinste die frisch gekürte Klubweltmeistermannschaft. Bis Karl-Heinz Rummenigge sprach, der Vorstandsvorsitzende. „Ich habe keine Sorge, dass wir im nächsten Jahr nicht guten, qualitativen und erfolgreichen Fußball spielen. Lieber Uli, und schon werde ich etwas schwach in der Stimme, ich habe nur einen Wunsch: Dass die Geschichte für Uli Hoeneß gut ausgeht!“ Alle schluckten.
Dann griff Hoeneß selbst zum Mikrofon und sprach zur Mannschaft. Aus heutiger Sicht Abschiedsworte: „Ihr habt diesem Verein alle Ehre gegeben, ihr habt diesen Verein in die Welt hinausgetragen, wie es noch nie einem anderen Verein gelungen ist“, sagte er. Ein wenig schwang stets mit, dass er ja der Architekt des Ganzen sei. Er sprach es nicht aus. Er sagte: „Wir sind im Moment der beste Verein der Welt. Und ich bin stolz, Präsident dieses Vereins zu sein.“
Gute, alte Zeiten.
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