Watzke: "Bayern hat von uns gelernt"
„Es gibt derzeit in Europa nur einen Klub, der in der Lage ist, Bayern zu schlagen”, sagt BVB-Boss Watzke, „das ist Borussia Dortmund”. Im großen Final-Interview gibt er Vollgas, scherzt und stichelt
AZ: Herr Watzke, was war die dreisteste Ticketanfrage der vergangenen Wochen?
HANS-JOACHIM WATZKE: Ich hatte das Gefühl, dass extrem viele Leute plötzlich an extrem schwierigen Krankheiten leiden. In manchen Fällen stimmt es sicher, in dieser Häufigkeit aber wohl eher nicht.
Müssen wir uns vor dem Finale Sorgen um Ihr Herz machen? Stichwort Real Madrid.
(lacht) Nein! Das war das erste Mal, dass ich es mit der Angst zu tun bekommen habe.
Sie flüchteten kurz vor Schluss auf die Toilette!
Eigentlich wollte ich in den VIP-Raum. Da hing alle zwei Meter ein Fernseher. Dann bin ich auf Toilette, habe da eine Zigarette geraucht und gehofft: Bitte lass dieses Stadion nicht beben. Das hätte bedeutet, dass Real das 3:0 gemacht hat.
Welchen Stellenwert hat dieses Finale jetzt in Wembley?
Für Deutschland ist es neben einem WM-Finale das größte Spiel überhaupt. Das hat es noch nie gegeben.
Sie können Bayern wieder ärgern.
Wir haben eine totale Lust auf dieses Finale, weil wir nichts zu verlieren haben. Es geht uns nicht darum, irgendjemanden zu ärgern. Langfristig wollen wir der zweite Leuchtturm in Deutschland werden. Drei Jahre lang haben wir das geschafft. Das muss bis 2020 zementiert werden. Es geht um Nachhaltigkeit.
Schwierig, wenn immer die besten Spieler gehen und das Fundament abgerissen wird.
Das Fundament ist der Klub. Als bei Bayern Beckenbauer, Müller, Maier aufgehört haben, hatte ich nicht den Eindruck, dass sie sich gesagt haben: Jetzt stellen wir das Fußball spielen ein. Der BVB wird auch nächste Saison eine starke Mannschaft haben, keine Sorge. Wir gehören zu den Top 5 in Europa, nicht nur wegen unserer Champions-League-Saison. Wir sind keine Durchlaufstation mehr!
Was denken Sie: Seit wann nimmt Sie Bayern ernst?
Seit wir sie auch im zweiten Jahr abgefangen haben und Meister wurden. Seit wir sie fünfmal hintereinander besiegt haben. Und natürlich seit dem Pokalsieg 2012 als Gipfel. Das 5:2 werden sie sicher noch viele Jahre in Erinnerung haben. Man musste ja danach nur in die Gesichter der Bosse schauen. Da war mir klar, dass sie zurückschlagen.
Die AZ hat gezeigt, wer welchen Anteil an der Schale hat. Dem BVB haben wir sechs Prozent gegeben. Zustimmung?
Wir haben sie gereizt und gepusht. Die Spieler des FC Bayern haben von uns gelernt, was im Kollektiv möglich ist. Das heißt nicht, dass man jede Woche einen Kegelabend machen muss. Aber dass man noch erfolgreicher sein kann, wenn man im Verbund arbeitet. Der Leidensdruck bei ihnen war sehr hoch. Das hat zu einer Trotzreaktion geführt. Ihre Bundesliga-Saison ist unfassbar. Mein Respekt!
Wie ist aktuell das Verhältnis zu Bayern?
Professionell.
Beidseitig?
Die Gefühlswelt der Bayern kenne ich nicht. Aus unserer Sicht ist es professionell.
Können Sie den Wechsel von Mario Götze verstehen?
Muss ich ja gar nicht. Das muss nur Mario verstehen. Er wird sich dabei etwas gedacht haben. Wir haben die Bayern nicht eine Sekunde dafür kritisiert, dass sie ihn holen werden. Aber: Wenn man das macht, dann kann man sich schneller als innerhalb einer Woche mal melden. Speziell wenn man eine schwarzgelbe Vergangenheit hat.
Sie meinen Matthias Sammer. Hat er Sie inzwischen angerufen? Gab es eine Aussprache?
Nein. Das muss er auch nicht. Es ist alles gesagt.
Hat Bayern Angst, wieder zu verlieren?
Das hängt von der eigenen Erwartung ab. Fakt ist: Es gibt derzeit in Europa nur einen Klub, der in der Lage ist, Bayern zu schlagen: Das ist Borussia Dortmund. Dafür müssen wir allerdings absolut am Limit spielen. Wenn es einer schaffen kann, dann wir.
Sie sagen, dass man den BVB nicht mehr kleinreden darf. Sie selbst haben das zwei Jahre lang perfektioniert!
Da waren wir auch noch klein.
Sie waren Meister und Pokalsieger!
Ja, aber wirtschaftlich waren wir noch mit anderen Klubs auf einer Stufe. Die Zeiten sind vorbei. Wir sind jetzt auf einem anderen Level.
2005 war der BVB fast pleite. Wenn Sie nur eine Anekdote haben, um zu beschreiben, was los war: Welche ist das?
Martin Blässing, der heutige Vorstandsvorsitzende der Commerzbank, hat mich im wievielten Stock auch immer empfangen. Das werde ich nie vergessen, ich war gerade frisch im Amt. Ich sagte: „Ich weiß, wir liegen auf der Intensivstation.” Er entgegnete: „Herr Watzke, ich unterbreche Sie ungern. Aber sie befinden sich nicht auf der Intensivstation. Sondern im Vorraum der Pathologie.”
Sie sagten 2006, dass mittelfristig außer dem FC Bayern kein Verein mehr das natürliche Recht haben dürfte, vor dem BVB zu stehen.
(lacht) Im Nachhinein war es ein geiler Satz! Aber er war wohlgemerkt auf die Bundesliga bezogen.
Sie wurden ausgelacht!
Das stimmt. Aber ich war davon überzeugt. Ich wusste, was dieser Verein für eine unfassbare Kraft haben kann, wenn man ihn in vernünftige Bahnen lenkt.
Jetzt sind Sie im Champions-League-Finale. Ein Wunder?
Ja. Diese Geschichte kann ein typischer Bayern-Fan nicht nachvollziehen. Weil er Erfolg gewöhnt ist, weil es der Verein sehr gut macht – seit mehr als 50 Jahren. Ein Bayern-Fan kann nicht nachvollziehen, was ein BVB-Anhänger empfindet. Weil hier an einem Punkt vor einigen Jahren nur darüber gesprochen wurde: Gibt es Borussia Dortmund bald überhaupt noch?
Zuletzt gab es immer wieder Sticheleien. Ein Zeichen, dass da zwei ziemlich beste Feinde heranwachsen?
Wenn man die Sticheleien der letzten Jahre prozentual darstellt, dann haben wir den deutlich kleineren Anteil.
Droht Ihnen der Ausverkauf?
Unsinn! Ein Ausverkauf wird uns seit 2011 prophezeit. Den wird es aber nicht geben. Auch weil wir heute ganz andere Möglichkeiten haben, Lücken zu schließen.
Schließen Sie aus, auch mal bei Bayern zu wildern?
Ich schließe gar nichts aus. Wir schauen in allen Regalen. Aber ein Bayern-Spieler wäre für unser Gehaltsniveau kontraproduktiv. Wir werden nie so viel Geld ausgeben wie Bayern. Wir haben eine Kernkompetenz: Spieler entdecken, die passen! Auf Ilkay Gündogan hätten doch auch andere Vereine kommen können! Oder auf Robert Lewandowski, der damals für kleines Geld kam und heute von ganz Europa gejagt wird! Die haben nicht unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt. Und wir haben einen Trainer, der das Niveau anhebt. Du kannst die besten Transfers machen – wenn dein Trainer sie nicht besser macht, hast du ein Problem.
Zuletzt machte ein irres Gerücht die Runde: Mario Gomez soll in Dortmund gesichtet worden sein.
Es wird permanent Unfug verbreitet. Zuletzt hat mich mein Vater angerufen: „Stimmt es, dass der und der kommt?” „Nein, da ist nichts dran.” „Aber ich habe es doch gelesen!” Das sagt doch alles!
Wenn der BVB gewinnt …
... dann mache ich Urlaub. Den mache ich aber auch, wenn wir nicht gewinnen. (lacht)