Watschn und Wortbruch: Als der FC Bayern in Abstiegsgefahr geriet

München - Die Erfolgsdekade der 70er Jahre hat in der Saison 1976/77 erstmals Risse bekommen. Libero, Kapitän und Vereinsikone Franz Beckenbauer verabschiedete sich grollend und schmollend in die USA. Die darauffolgende Spielzeit sollte mit der schlechtesten Bundesliga-Platzierung aller Zeiten enden – und für die erfolgsverwöhnten Münchner erneut titellos.
Vorgeschichte/Ausgangslage: Mit Björn Andersson und Conny Torstensson verlassen die beiden zuverlässigen Schweden den Verein, für Mittelfeldspieler Branko Oblak, WM- und EM-Teilnehmer mit Jugoslawien, überweist man 800.000 DM an den FC Schalke. Torhüter Sepp Maier, nach Beckenbauers Abschied neuer Kapitän, wird zu Saisonbeginn als Deutschlands Fußballer des Jahres ausgezeichnet.
Horrorsaison des FC Bayern: Rang sechs bleibt die beste Saisonplatzierung
Saisonverlauf/Titel-Ausbeute: Die erste kaiserlose Saison beginnt schleppend bis ernüchternd, lediglich einmal – nach dem zweiten Spieltag – ist man Spitzenreiter. Rang sechs Mitte Oktober bleibt die beste Saisonplatzierung.
Ende November stürzt man nach einem 0:4 bei Eintracht Frankfurt, der fünften Liga-Pleite in Folge, auf Platz 16 ab – und steht auf einem Abstiegsplatz! Lediglich drei Tage zuvor verliert man im ohnehin ungeliebten Uefa-Cup das Achtelfinal-Hinspiel ebenfalls bei den Hessen mit 0:4 – einmalig schlecht.

Nach der doppelten Schmach von Frankfurt muss der zierliche Trainer Cramer, der sich bei einem Fototermin im Olympiastadion als Napoleon inszenieren ließ, am 30. November gehen. Verpflichtet wird: Gyula Lorant, die launische Diva vom Main. Bayern-Präsident Wilhelm Neudecker hatte das Tauschgeschäft eingefädelt, Cramer geht zur Eintracht.
Beim 1:2 im Rückspiel gegen seinen Ex-Verein sitzt der neue Trainer Lorant, Spitzname "Diktator" allerdings nicht auf der Bank. Noch vor Weihnachten ist Bayern aus den Cup-Wettbewerben raus, scheitert in Runde zwei des DFB-Pokals am FC 08 Homburg aus der 2. Bundesliga Süd.
FC-Bayern-Pleite gegen den TSV 1860: Rummenigge watscht Gegenspieler – und sieht Rot!
Im Februar macht Maier sein 400. Bundesliga-Spiel – und das ohne Unterbrechung seit August 1966. Einer der wenigen Gründe zur Freude. Die Saison endet mit einem negativen Punktekonto von 32:36 (damals gab es zwei Zähler für einen Sieg), einen Auswärtssieg kann das Lorant-Team nicht verbuchen.
Schlimmer noch: Gegen den Lokalrivalen TSV 1860, zum damaligen Zeitpunkt siegloses Schlusslicht, setzt es ein 1:3, dabei fliegt 1:0-Torschütze Karl-Heinz Rummenigge nach einer Watschn gegen Löwenspieler Beppo Hofeditz in der Schlussminute mit Rot vom Platz.

Unter Tränen behauptet "Kalle", der 60er habe ihn als "rote Sau" beleidigt. In der Rückrunde reicht es auch nur zu einem 1:1 gegen den späteren Absteiger TSV 1860. Den Abstieg kann man verhindern, wird am Ende Zwölfter (!) – am 34. Spieltag setzt es standesgemäß ein 0:5 auf dem Lauterer Betzenberg.
Sensationell: Gerd Müller sichert sich trotz der Pleiten-Saison mit 24 Treffern zum siebten und letzten Mal den Titel des Torschützenkönigs, gleichauf mit dem anderen Müller, dem Dieter vom 1. FC Köln.
Lehren/Konsequenzen: Der im April auf der Mitgliederversammlung – auch dank des Jahresumsatzes von 13,3 Millionen Mark – wiedergewählte Präsident Neudecker gibt kurz vor Ablauf der Saison bekannt, dass ein "verlorener Sohn" heimgekehrt. Für Rückkehrer Paul Breitner überweisen die Bayern 1,75 Millionen Mark an Eintracht Braunschweig. Dort hatte der Rebell nach seiner Zeit bei Real Madrid (1974-1977) ein Jahr unter widrigen Umständen gespielt.
"Nie wieder München": Und doch kehrte Paul Breitner zum FC Bayern zurück
Früher Linksverteidiger mit Offensivdrang, nun Spielmacher und Chef. Als kongenialer Partner von Stürmer Rummenigge, mit der das furiose Duo "Breitnigge" bildet, reißt Breitner die Macht sofort an sich und steht für den endgültigen personellen Umbruch.
Und das, obwohl er bei seinem Abgang 1974 zu Real "Nie wieder München!" geschnaubt hatte. Sein Wortbruch sollte zu einer Erfolgsgeschichte werden.