„Was macht er jetzt daraus?“

Louis van Gaal ist nur noch Bayern-Trainer auf Abruf. Hier erklärt ein Sportpsychologe, wieso der Coach nun im Dilemma steckt. Im AZ-Interview: Jürgen Beckmann, Sportpsychologe (55), Professor an der TU München und seit 2007 Dekan der Fakultät für Sportwissenschaft.
AZ: Herr Beckmann, wie schätzen Sie die psychologische Situation von Bayern-Trainer Louis van Gaal ein, nachdem ihm eröffnet wurde, dass er den Klub nach Saisonende verlassen muss?
JÜRGEN BECKMANN: Naja, wollen wir mal schauen, ob es überhaupt noch so lange geht. Davon bin ich noch nicht hundertprozentig überzeugt. Aber er hatte ja schon die letzten Wochen gespürt, dass man nicht voll hinter ihm steht. Es ist natürlich eine blöde Situation, wenn du das Gefühl hast, du hast nicht mehr das Vertrauen des Top-Managements. Dann ist man auch nicht mehr wirklich frei im Kopf. Das unterminiert die psychische Situation auch bei jemandem, der sehr selbstbewusst ist. Da hat jetzt wieder vieles beim FC Hollywood zusammengespielt, was auch an Louis van Gaal nicht abprallt.
Wie geht man denn als Trainer mit einer solchen Situation um?
Das ist natürlich total demotivierend. Da stellt sich die Frage: Was macht er jetzt daraus? Er kann in zwei Richtungen gehen. Entweder sagt van Gaal: „Ich ziehe das jetzt noch durch. Die haben eh keine Erwartungshaltung an mich. Ich mache halt meinen Job.“ Oder er sagt: „Jetzt hänge ich mich nochmal besonders rein. Denen zeig’ ich’s jetzt nochmal.“ Und kniet sich ganz besonders rein. Er muss schließlich auch an seinen Marktwert denken, das gehört ja auch zum Geschäft. Eigentlich muss er das jetzt losgelöst von den Reaktionen der Oberen des FC Bayern sehen, auf seine eigene Situation beziehen und sagen: „So, jetzt zeig’ ich euch mal, was ich drauf habe.“
Ist diese Situation von der Psyche her denn überhaupt zu schaffen?
Schwierig, sehr schwierig. In gewisser Weise finde ich das auch unnötig. Das ist einfach ganz schlecht und für ihn wirklich nicht wertschätzend. Wenn man sich die erfolgreichsten Trainer anschaut, dann waren das immer Trainer, die die volle Unterstützung des Managements hatten, so wie damals Otto Rehhagel in Bremen – oder eben auch Louis van Gaal selbst, zum Beispiel am Ende der vergangenen Saison: Da war er unantastbar. Man hätte ihm vielleicht auch sagen können: „Wir wissen, was du kannst. Das hast du bereits letzte Saison gezeigt, und deshalb halten wir an dir fest.“
Aber so wird nun der Held zum Notnagel.
Ja, das ist verrückt. Ich war in der Vergangenheit kein Bayern-Fan, aber in der letzten Saison war ich einfach begeistert. Was van Gaal aus der Mannschaft gemacht hat, wie sie zusammengespielt hat, mit welcher Begeisterung dieses Team in die Spiele reingegangen ist! Das hat’s tatsächlich gegeben, das ist noch gar nicht so lange her.
Hat van Gaal die mächtigen Rollen der Bosse Rummenigge und Hoeneß unterschätzt?
Das glaube ich nicht. Jeder Trainer, der zum FC Bayern geht, weiß, dass hier eine ganz spezielle Situation ist. Daran sind auch schon viele gescheitert. Das wissen die Trainer auch. Wie stark leidet nun van Gaals Autorität bei den Spielern? Die Autorität ist natürlich angekratzt, wenn jeder Spieler weiß, dass über ihn diskutiert wird. Und die Spieler wissen jetzt auch: Das ist ein Trainer auf Abruf. Aber vielleicht gibt es einen wie den Kapitän Philipp Lahm, der dann sagt: „Jungs, und jetzt spielen wir halt mal für unseren Trainer.“ Das soll es ja auch schon öfter gegeben haben.
Wie schätzen Sie die derzeitige Situation generell ein?
Das ist jetzt so halbgar – und das ist das Problem. Irgendwie wird van Gaal noch geduldet – das ist die Botschaft, die ankommt. Weil der Verein keinen Besseren finden kann. Eine verheerende Situation. Ich weiß allerdings auch nicht, wieso das so gekommen ist. Uli Hoeneß ist doch ein Fuchs in diesem Geschäft, der weiß, wie das alles geht. Und er hat es in der Vergangenheit immer geschafft, in den Medien wirklich gute Statements abzugeben.