Warum verzichtete er auf einen Leader wie Kimmich? – So coachte Thomas Tuchel den FC Bayern ins Debakel

Mit seinem überraschenden Taktik-Experiment coacht Thomas Tuchel den FC Bayern im Topspiel bei Bayer Leverkusen ins Desaster. Gegen die Werkself mangelt es an Charakter und Mentalität – obwohl genau das in Person von Joshua Kimmich auf der Bank saß.
von  Bernhard Lackner
Joshua Kimmich saß gegen Bayer Leverkusen zunächst nur auf der Bank.
Joshua Kimmich saß gegen Bayer Leverkusen zunächst nur auf der Bank. © IMAGO / Beautiful Sports

München - Nach der bitterbösen 0:3-Watschn im Topspiel bei Bayer Leverkusen muss sich Thomas Tuchel äußerst ungemütliche Fragen gefallen lassen – und das völlig zurecht!

Warum die Umstellung auf Fünferkette, die die Bayern vorher nie gespielt hatten? Warum stand der vom Aus bei der Asien-Meisterschaft gefrustete Min-jae Kim so kurz nach seiner Rückkehr in der Startelf, obwohl Matthijs de Ligt zur Verfügung gestanden hat? Und wie um alles in der Welt kann es sein, dass sein Team nach der 0:3-Klatsche im Supercup gegen Leipzig, dem Peinlich-Pokal-Aus in Saarbrücken und der 1:5-Schmach in Frankfurt schon wieder eine derartige Nicht-Leistung abruft?

FC Bayern verliert in Leverkusen: Thomas Tuchel hat sich gegen Xabi Alonso böse vercoacht

Klar ist: Tuchel hat im heiß erwarteten Trainer-Duell gegen Xabi Alonso alles auf rot gesetzt und alles verloren. Freilich, Leverkusen zeigt sich seit Monaten in herausragender Verfassung und zählt in der aktuellen Form – ohne Übertreibung – zu den stärksten Mannschaften des Kontinents. Und dennoch war die Klatsche für Bayern und Tuchel völlig unnötig, weil zum Großteil selbstverschuldet.

Ausgerechnet im bislang wichtigsten Spiel dieser Saison zeigten die Münchner über weite Strecken einen mitleiderregenden Auftritt. Von den "Mia san mia"-Bayern, die in den großen Spielen über sich hinaus wachsen, war nichts zu sehen. Doch wer kann das auch erwarten von einem Sacha Boey, der bis zum Winter in der türkischen Süper Lig gekickt hat und in seinem erst zweiten Spiel für die Münchner auf der ungewohnten Linksverteidigerposition ran durfte – oder viel mehr musste? Oder von einem Eric Dier, der ohne jegliche Spielpraxis von Tottenham geholt wurde. Anführer hätten am Samstagabend andere sein müssen, doch von den vermeintlichen Häuptlingen war wenig bis nichts zu sehen.

Topspiel gegen Leverkusen: Joshua Kimmich sitzt nur auf der Bank

Dabei hätte Tuchel durchaus Spieler dabei gehabt, die das Bayern-Gen in sich tragen, die für Mentalität und Charakter stehen. Umso überraschender war es, dass etwa in Joshua Kimmich ein eigentlich wichtiger Führungsspieler zunächst auf der Bank Platz nehmen musste. Der 29-Jährige, nach Manuel Neuer und Thomas Müller immerhin dritter Kapitän bei den Bayern, war zuletzt aufgrund einer Schulterverletzung ausgefallen, für den Leverkusen-Kracher aber rechtzeitig fit geworden.

Dennoch erhielt Youngster Aleksandar Pavlovic den Vorzug vor dem Platzhirsch. Der wusste in den vergangenen Wochen zwar mit guten Auftritten zu überzeugen, absolvierte aber erst seinen elften Profi-Einsatz. Wo soll da die Erfahrung für ein derart wichtiges Topspiel herkommen?

Thomas Tuchel erklärt: Darum spielte Aleksandar Pavlovic statt Kimmich

Tuchel vertraute dem 19-Jährigen dennoch und erklärte vor der Partie seine Entscheidung. "Josh hat alles getan, er war fast vollkommen schmerzfrei", sagte der Coach: "Trotzdem ist ein Spiel noch mal etwas anderes als eine Trainings-Woche." Das Topspiel sei eben "noch nicht der Moment, das allerletzte Risiko zu gehen, weil die beiden anderen Sechser sehr gute Form hatten".

Joshua Kimmich: "Habe alle dafür getan, um von Anfang an zu spielen"

Kimmich selbst war da ganz anderer Meinung. Nach dem Spiel machte der Nationalspieler wenig Anstalten, seinen Frust über den Bankplatz zu verbergen. "Ich habe in den letzten zwei Wochen alles dafür getan, dass ich schnell zurückkomme, dass ich gesund zurückkomme, um heute von Anfang an zu spielen", meinte der Mittelfeldspieler und ließ einen Satz folgen, den man von ihm so ähnlich in dieser Saison bereits gehört hat: "Am Ende des Tages trifft der Trainer die Entscheidungen, die wir Spieler akzeptieren müssen."

Ein diplomatischer Gruß Richtung Tuchel, zu dem sein Verhältnis seit der "Holding Six"-Debatte als angespannt gilt. Der Samstagabend dürfte kaum zur Entspannung beigetragen haben.

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