Vom "Bambi" zum Platzhirsch: Jamal Musiala vor nächstem Karriereschritt beim FC Bayern

München – Eine kurze Zeitreise zum 27. Mai 2023. Alles sah danach aus, dass die Serie des FC Bayern von zehn Meisterschaften in Folge reißen würde.Selbst die Bayern-Bosse schienen nicht mehr so recht an den Titelgewinn geglaubt zu haben, schließlich war bereits alles hinter den Kulissen vorbereitet worden, um nach Spielschluss die Entlassung von Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic zu verkünden.
Bei der Partie der Bayern in Köln stand es 1:1. Obwohl der 1. FSV Mainz 05 mit einem 2:1 kurz vor Schluss die perfekte Vorarbeit leistete, hieß der Meister zu diesem Zeitpunkt Borussia Dortmund. Aber: Das Spiel lief noch.
Siegtreffer in Köln: Musiala wird zum Meistermacher des FC Bayern
"Bayern versucht es nochmal. Gnabry, Musiala! Haben wir gerade den großen Moment erlebt?", fragte Kommentator Derek Rae im internationalen Feed. "Überlasst es dem jungen Magier, Jamal Musiala! Der FC Bayern wäre, mit dem zweiten Tor des Spiels, im Moment Meister!"
Selbst die erfahrene Regie wusste nicht, was sie in diesem Moment zuerst zeigen sollte: Musialas Jubel mit dem Team, den geschassten Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der nach der vergebenen Großchance von Leroy Sané entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlug, seine euphorischen Freudensprünge wenige Sekunden später oder doch den Grund für besagte Reaktion: Musialas Siegtreffer?
"Wusste nicht, was ich machen soll": Jamal Musiala nach Meistertor überwältigt
Es ist ein Moment, in dem alles zusammenkam: Wut, Entsetzen, Trauer, Freude, Erleichterung – und ein Moment, der für immer mit Jamal Musiala in Erinnerung bleiben wird. Er, der Meistermacher, der das Wunder doch noch Realität werden ließ.
Der Torschütze selbst ergab sich nach dem Treffer komplett dem Augenblick: "Da waren so viele Emotionen, dass ich nicht wusste, was ich machen soll. Ich habe einfach rumgeschrien vor Freude und bin rumgesprungen", erzählte er der vereinseigenen Website mit einem Lachen. "Es war ein großer Moment für mich. Es ist umso schöner, dass ich mit dem wichtigen Tor dazu beitragen konnte, dass wir doch noch Meister geworden sind."

"Schon sehr oft" musste der 20-Jährige seitdem erzählen, wie sich jene Szenerie um 17.19 Uhr abspielte. "Aber das mache ich doch gerne."
In Zukunft will Musiala noch viel mehr dieser Momente erleben, vor allem aber "dem Verein zu noch mehr Titeln verhelfen" und auch eine Führungsrolle im Team übernehmen: "Je mehr man spielt, desto mehr Verantwortung bekommt man. Mit der Zeit bin ich selbstbewusster geworden und traue mir zu, meine Mitspieler zu pushen und mitzureißen."
Musialas Entwicklung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt für den FC Bayern
Der eigentlich eher stille Musiala – als Mitreißer eine neue Rolle. Innerhalb des Teams gäbe es "erfahrenere Spieler, die schon mehr erlebt haben und auch mehr kommunizieren. Das sind zum Beispiel Thomas Müller, Manuel Neuer oder Joshua Kimmich", meinte er.
Musiala bezeichnet sie als "Leader, an denen man sich immer orientieren kann. Aber jeder Spieler, der auf dem Platz steht, hat seine Momente, um ein Leader zu sein". Bayerns Youngster selbst will "ein Führungsspieler sein, der mit Leistung vorneweg geht und seine Mitspieler damit pusht".
Es wäre der nächste Schritt in Jamal Musialas Entwicklung, der genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Müller fällt im Moment mit muskulären Beschwerden am linken Hüftbeuger aus, trainiert individuell an der Säbener Straße und reiste auch nicht mit nach Tokio. "Der Flug war ruhiger ohne Thomas", witzelte Joshua Kimmich auf der ersten Pressekonferenz der Asien-Tour.
Umbruch beim FC Bayern: Letzte Highlights für Manuel Neuer und Thomas Müller
Kommendes Jahr läuft Müllers Vertrag aus. Es ist kein Geheimnis, dass er sich, mit 33 Jahren, bereits auf der Zielgeraden seiner Karriere befindet. Zwei große Highlights gibt es, auf die Bayerns Urgestein noch hinarbeiten kann: Die Europameisterschaft kommendes Jahr vor eigenem Publikum sowie ein eventuelles "Finale dahoam 2.0" im Jahr 2025.
Sollte der FC Bayern dieses erreichen und es – anders als 2012 – auch siegreich gestalten, darf man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass es Müllers letzter Titel für den FC Bayern wäre. Ähnliches dürfte auch im Fall von Neuer gelten, der sich im hohen Fußballalter von 37 Jahren, bereits die zweite schwere Fußverletzung binnen fünf Jahren zuzog.
Neu-Sportdirektor Christoph Freund: Vertragsverlängerung mit Musiala auf der To-Do-Liste
Viel Zeit bleibt also nicht, um neue Strukturen und damit den Übergang zur neuen Generation zu schaffen, die den Verein langfristig prägen kann. Nach den Abgängen – in welcher Form auch immer – von Müller und Neuer, die beide in näherer Zukunft stattfinden werden, würde die Generation 1995/96 um Kimmich, Leon Goretzka, Kingsley Coman oder Leroy Sané endgültig in die erste Reihe rücken. Dass Musiala, bereits mit 20 Jahren, seinen Teil der Verantwortung übernimmt und versucht, den noch jüngeren Spielern "auf und außerhalb des Platzes zu helfen und Ratschläge zu geben", ist ein äußerst positives Zeichen.
Eine der wichtigsten Aufgaben für den neuen Sportdirektor Christoph Freund, der ab dem 1. September von RB Salzburg kommt, wird es sein, Musiala weiterhin an den Verein zu binden, um einerseits den Spieler zu stärken, aber auch, eventuelles Interesse aus dem Ausland im Keim zu ersticken. "Er muss das, was Lionel Messi in Barcelona war, bei Bayern München sein", betonte Lothar Matthäus bei "Sky" nach Bayerns 2:0-Sieg auf Schalke im Dezember, zu dem Musiala beide Torvorlagen beisteuerte.
Musiala wie einst Messi und Müller? Wie der Youngster das Spiel des FC Bayern prägen kann
Auch wenn Musiala über sich selbst sagt, dass er "für gewöhnlich nicht gerne im Mittelpunkt steht" und nie "das ,Center of Attention‘" sein wird, so verbindet ihn eine wesentliche Eigenschaft mit Messi, Müller oder Kimmich, die das Spiel ihrer Teams über gut anderthalb Jahrzehnte präg(t)en: Alle drei verfügen über eine außergewöhnliche Konstanz in ihrem Spiel, ein außergewöhnlich hohes Grundlevel.
Selbst, wenn sie nicht ihr bestes Spiel spielen, agieren sie selten wirklich schwach und sind immer in der Lage, aus dem Nichts Gefahr heraufzubeschwören.
Genau diese Konstanz braucht es, um langfristig Verantwortung zu übernehmen. "Er ist ein Topspieler für mich und wird einer der besten deutschen Fußballspieler in den nächsten zehn Jahren. Das sage ich dir in diesem Moment. Nimm auf, was ich gesagt habe", prognostizierte Pep Guardiola am Rande des Audi Cup 2015, als Kimmich im exakt gleichen Alter war wie nun Musiala.
Bei beiden ist dasselbe Level an Ehrgeiz und Verantwortungsbewusstsein zu erkennen. Um seine zwölf Tore und zehn Assists aus der Vorsaison zu überbieten, soll Musiala, laut AZ-Informationen, die Hilfe eines Neuroathletiktrainers in Anspruch genommen haben, um seine Antizipation zu verbessern und auch intensiv den Torabschluss trainiert haben.
Fünf Tore, fünf Assists: Jamal Musiala setzt seine Worte gleich in die Tat um
Wenngleich die Saison 2023/24 noch nicht einmal richtig begonnen hat, so konnte man bereits im Testspiel gegen Rottach-Egern (27:0) erkennen, wie sehr Musiala gewillt ist, das Bayern-Spiel zu prägen und seine Pläne und Worte direkt umzusetzen.
Zwar trennen beide Teams acht Ligen, weshalb das Ergebnis nur bedingt Aussagekraft besitzt. Dennoch eröffnete Musiala die Partie gegen den Kreisligisten mit einem gekonnten Dribbling-Treffer und fügte diesem, bis zur Pause, vier weitere und fünf Assists hinzu. Auch sein Zusammenspiel mit Mathys Tel und Kumpel Alphonso Davies, stach für das erste Testspiel der neuen Saison heraus.

Wie wichtig Musiala bereits für das Bayern-Spiel ist, erkannte man hingegen in der zweiten Hälfte, als sich der Rekordmeister mit einer komplett neuen Elf wesentlich unkreativer und weniger durchschlagskräftig präsentierte. 18 Tore mit, "nur noch" die Hälfte ohne ihn. Bei der Testspielniederlage gegen Manchester City (1:2) blieb Musiala zwar torlos, war in der ersten Hälfte, als beide Teams weitestgehend mit ihrer Topelf spielten, der Gefährlichste auf dem Platz. Immer wieder inszenierte der Youngster Kontersituationen und hatte selbst zwei Großchancen. Trotzdem übte er nach der Partie – ganz im Stil eines Führungsspielers – offen Kritik an der Chancenverwertung und ließ dabei auch sich selbst nicht außen vor: "Es gibt Dinge, die wir noch verbessern können, aber für das erste Spiel haben wir gute Aktionen gehabt. Es gibt vieles, auf das wir aufbauen können. Wir müssen aber konzentrierter sein vor dem Tor, meine Chance muss ich in die linke Ecke reinmachen. Wir werden daran arbeiten und Torschüsse im Training machen. Wir bekommen immer die Möglichkeiten im Spiel, aber wir müssen jetzt anfangen, die Tore zu machen."
In den Testspielen gegen Kawasaki Frontale ( 29. Juli, im AZ-Liveticker) sowie Liverpool FC (2. August) kann Jamal Musiala dann auch daran weiter arbeiten. Der Moment in Köln, als in Minute 89 alles kumulierte, könnte erst der Anfang gewesen sein.