Visionär van Gaal: Wann gibt er den Bayern Konturen?

„Wir sind noch am Anfang“, sagt der Prozess-Trainer Louis van Gaal. Dennoch klafft so manche Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die AZ hat den Check gemacht vor dem Spiel des Rekordmeisters in Freiburg.
von  Abendzeitung
„Natürlich vertrage ich Kritik", sagt Bayern-Trainer Louis van Gaal, „ich höre jeden Tag auf meine Spieler und setze um, was sie sagen.“ Foto: Bongarts/Getty Images
„Natürlich vertrage ich Kritik", sagt Bayern-Trainer Louis van Gaal, „ich höre jeden Tag auf meine Spieler und setze um, was sie sagen.“ Foto: Bongarts/Getty Images © Rauchensteiner/Augenklick

MÜNCHEN - „Wir sind noch am Anfang“, sagt der Prozess-Trainer Louis van Gaal. Dennoch klafft so manche Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die AZ hat den Check gemacht vor dem Spiel des Rekordmeisters in Freiburg.

Mit der Partie beim SC Freiburg beginnt für den FC Bayern eine heiße Phase: sieben Spiele in 22 Tagen. Von den Zahlen her liest sich die Zwischenbilanz bescheiden: ein Sieg und ein Remis in der Champions League, Platz acht in der Liga. Bei Amtsantritt hatte van Gaal angekündigt, dass es Zeit brauche, bis sein System greift. Ist seine Handschrift nach dreieinhalb Monaten zu sehen? Wie weit liegen Anspruch und Wirklichkeit auseinander? Der AZ-Check:

TECHNIK & TAKTIK

Anspruch: Wie viel Wert der Holländer auf gepflegte Pässe legt, war schon im ersten Training zu hören. Einige wurden nach schlampigem Umgang mit dem Ball so lautstark zusammengefaltet, dass Spätfolgen zu fürchten sind. Kopfschütteln auf der einen, fragende Blicke auf der anderen Seite: So sah es bei den ersten Einheiten aus. Ungeduld konnte van Gaal bei manchen Übungsformen nicht verbergen. Auch bei gestandenen Profis will er noch an Kleinigkeiten feilen.

Wirklichkeit: Der FC Bayern des Louis van Gaal kontrolliert das Spiel. Ordnung und Ballbesitz sind die Zauberworte. Das sieht zuweilen bedingt rasant aus, schafft aber Sicherheit. Die Spieler schwärmen: „Wenn man sieht, wie wir jetzt passen und wie wir vor drei Monaten gepasst haben: ein Riesen-Unterschied“, sagt Mark van Bommel. Taktisch fühlen sich alle sicherer.

PERSONALFRAGEN

Anspruch: Vor dem Trainer sind alle gleich – sagt jeder Trainer. Van Gaal auch. Er wolle streng nach Form aufstellen, ohne Rücksicht auf Rang und Namen. Der Begriff Extrawurst existiert nicht in seiner Welt. Zudem eilt ihm der Ruf voraus, Junge zu fördern. Auch das sagt jeder Trainer gerne von sich.

Wirklichkeit: Van Gaal meint, was er sagt. Er honoriert die Trainingsarbeit von Thomas Müller und Holger Badstuber so konsequent, dass der eine gar WM-Kandidat wird. Ein Vertrauen, von dem die Misimovics, Trochowskis, Hummels und Guerreros früher nur zu träumen wagten. Am anderen Ende der Gehaltsskala bekamen Ribéry und Gomez zu spüren, dass bei van Gaal die Höhe der Ablösesumme keine Rolle spielt, wenn Form und/oder Fitness nicht stimmen. Nachdem dies klar war, schlägt der Coach nun mildere Töne an, hat sich mit Ribéry versöhnt und will Gomez aus der Krise helfen. Der harte Louis kann auch weich.

STANDING IM TEAM

Anspruch: Disziplin schreibt van Gaal mit Großbuchstaben. Ein Kumpeltyp war er nie. Er ist nicht Freund der Spieler, sondern ihr Trainer. ihr Lehrer. Und der fordert uneingeschränkten Respekt. Dass gesiezt wird, versteht sich von selbst.

Wirklichkeit: Lob und Anerkennung, wohin man hört. Nach der Easy-Going-Ära des Kaliforniers Klinsmann klang bei den Spielern schon beim Heynckes-Intermezzo das Verlangen nach klaren Ansagen durch. Regelrecht dankbar nehmen die Profis nun die Leitlinien des Trainers an. Die lange Leine vermisst anscheinend niemand.

VERHÄLTNIS ZU DEN BOSSEN

Anspruch: In seine Arbeit lässt sich van Gaal nicht hineinreden, nicht von Präsidenten, Aufsichtsratsvorsitzenden oder anderen Wortgewaltigen. Einigkeit, was die Ziele angeht: okay. Wie diese erreicht werden: Trainersache.

Wirklichkeit: Trotz magerer Ergebnisse hält sich die Führungstroika weitgehend zurück. Von Beckenbauer ist gar ausdrückliches Lob überliefert. Das Vertrauen in den Neuen scheint gewaltig zu sein.

Thomas Becker

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