Vielversprechende Idee, zu große Einschnitte: Wie Oliver Kahns "FC Bayern Ahead" scheiterte

Oliver Kahn ist Geschichte beim FC Bayern – und mit ihm auch seine Strategie "FC Bayern Ahead". Doch worum genau handelte es sich dabei? Und was brachte sie ultimativ zum Scheitern?
von  Victor Catalina
"FC Bayern Ahead": Gut gemeint, schwach umgesetzt.
"FC Bayern Ahead": Gut gemeint, schwach umgesetzt. © IMAGO / Ulrich Wagner

München – "Es ist schwer, an die Spitze zu kommen und noch schwerer, dort zu bleiben", lautet eine alte Sportlerweisheit. Am 23. August 2020 war der FC Bayern an der Spitze angekommen. National sowieso. Durch das Tor von Kingsley Coman gegen Paris Saint-Germain um Bayerns jetzigen Trainer Thomas Tuchel stand der Rekordmeister erstmals seit sieben Jahren auch wieder an der Spitze Europas.

"Müssen konkurrenzfähig bleiben": Kahns Wachstumsimpulse mit "FC Bayern Ahead"

Dort bleiben wollten – oder mussten – sie, aufgrund der Corona-Pandemie, mit geringsten Mitteln. Sportlich reichte es in der Folgesaison lediglich zum Viertelfinale der Champions League. PSG bekam seine Revanche (3:2, 0:1) und setzte sich aufgrund der damals noch geltenden Auswärtstorregel durch.

Neben dem Platz hieß der Schritt in die Zukunft "FC Bayern Ahead", unter der Leitung von Oliver Kahn. Im Kern ging es darum, "eine klare Strategie, um der Stagnation unseres Kerngeschäfts, den Auswirkungen der Corona-Krise, den veränderten Bedürfnissen der Fans sowie den zahlungskräftigen Investoren entgegenzutreten, die bereits heute vermehrt folgenschwere Veränderungen im internationalen Fußball bewirken", erklärte Kahn in einem offiziellen Statement.

Viele europäische Top-Klubs hätten inzwischen einen signifikanten Wettbewerbsvorteil "und wir als FC Bayern müssen Wege finden, um konkurrenzfähig zu bleiben. Dafür benötigen wir neue Wachstumsimpulse."

Zusammenarbeit mit Übersee-Klubs: Erste Früchte des "FC Bayern Ahead"

Gleichzeitig basiere "FC Bayern Ahead" auf der Historie des Klubs, "die im europäischen Fußball einzigartig ist. Es erklärt außerdem die Werte, für die wir als Verein stehen wollen und ist eine zeitlose Orientierung für die Zukunft unseres Klubs".

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Ideen, die sich grundsätzlich positiv anhören. Unter anderem wurden Kooperationen mit dem uruguayischen Verein Clúb Atlético River Plate angestrebt sowie die Zusammenarbeit mit dem Los Angeles Football Club, in deren Zuge das Joint Venture "Red&Gold Football" mit Sitz in München gegründet wurde, um zusammen an der Nachwuchsförderung zu arbeiten.

Kahn sah darin "eine Chance, den FC Bayern im sportlichen Wettbewerb mit den besten Vereinen Europas und der Bundesliga zu stärken".

Kahns Strategie ging zulasten des "Mia San Mia"

Allein, einen Faktor hat Bayerns ehemaliger Keeper dabei unterschätzt. Drei Worte, neun Buchstaben: Mia San Mia. Kahn wollte den Klub reformieren. Es gelang ihm allerdings kaum, Mitarbeiter wie Fans für sich und die Strategie zu gewinnen.

Einerseits hören sich die Statements wohlwollend an. Will man verstehen, worum es bei "FC Bayern Ahead" wirklich geht und wie der Klub plant, daran zu wachsen, bedarf es tiefergehender Recherche.

Das Greifbare, womit sich der Fan bei der zukünftigen Ausrichtung des Klubs identifizieren kann, fehlt nahezu komplett, genauso wie der regionale Bezug zu München. Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge achteten in der Vergangenheit stets darauf, bei allem Wachstum, die Verbindung zur Region und der Basis nie zu verlieren.

"Unser FC Bayern Ahead": Fans schießen gegen Kahns Strategie

Beim 2:0 gegen Hertha BSC Ende April präsentierte die Südkurve unter dem Motto "Unser FC Bayern Ahead" zahlreiche Banner mit Leitlinien wie "Gesellschaftliche Verantwortung", "Teil der Bundesliga", "Mitgliederverein", "Nachhaltige Entwicklung", "Ein Verein für alle", "Mia san Mia", "Mit Hirn und Herz", "Rot und weiß".

Die Südkurve zeigte zu Beginn des Heimspiels gegen die Hertha zahlreiche Transparente.
Die Südkurve zeigte zu Beginn des Heimspiels gegen die Hertha zahlreiche Transparente. © IMAGO / ActionPictures

Die Botschaft an den FC Bayern und vor allem an den damaligen Vorstandsvorsitzenden war eindeutig, die Fans fordern die Rückkehr zu traditionellen Werten.

Bereits zwei Wochen zuvor, beim 1:1 im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League stand auf einem großen Transparent der Anhänger: "Ziele dürfen verfehlt werden - Werte des Vereins nicht! Führungspolitik hinterfragen", lautete die eindeutige Kritik der Bayern-Fans.

"Das ist das, was viele andere Bayern-Insider und auch ich seit Wochen sagen: Das Mia San Mia, diesen fast einzigartigen Zusammenhalt, diese Identifikation mit dem Klub, gibt es nicht mehr", kritisierte beispielsweise auch Lothar Matthäus, nach dem 1:3 gegen RB Leipzig. "Das sieht man auch an der Mannschaft, wie sie spielt."

Verpatztes Interview, mangelhafte Kommunikation: Kahn scheiterte an sich selbst

Einige Wochen zuvor entbrannte bei Sky eine handfeste Auseinandersetzung zwischen ihm und Oliver Kahn, was denn genau "Mia San Mia" in der heutigen Zeit sei. Für Kahns Dafürhalten habe sich am Klubmotto nichts verändert. Man konnte allerdings bereits sehen, dass er im Begriff war, das verbale Duell mit Matthäus klar zu verlieren. Kahn hielt es für nötig, Matthäus guten Argumenten mit Autorität entgegenzutreten und ihn, sowie Sky-Moderator Sebastian Hellmann, wiederholt zu unterbrechen. 

Nur selten präsentierte sich Oliver Kahn beim FC Bayern offen und kommunikativ. Zu selten.
Nur selten präsentierte sich Oliver Kahn beim FC Bayern offen und kommunikativ. Zu selten. © IMAGO / MIS

Ohnehin – und das bemängelte auch Uli Hoeneß im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" – gehörte interne wie externe Kommunikation nicht zu Kahns Stärken. Den Rat von ihm und Karl-Heinz Rummenigge habe er fast nie gesucht. "Warum zum Beispiel auf den Rat eines Mannes wie Karl-Heinz verzichten, der so viel über den FC Bayern weiß?", fragte Hoeneß zu Recht. 

Intern soll die Stimmung nach AZ-Informationen so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht gewesen sein. Das unter Hoeneß und Rummenigge gewohnte familiäre Arbeitsklima soll einer abgekühlten und distanzierten Stimmung gewichen sein. Kahn habe sich verstärkt mit seinen eigenen Beratern umgeben. Insbesondere Moritz Mattes, Kahns Chief of Staff habe "für viel Kopfschütteln und unangenehme Stimmung" an der Säbener Straße gesorgt. Zwar habe ihn Hoeneß darauf hingewiesen, eine Änderung gab es allerdings nicht. 

FC Bayern konnte Spitzenposition nur national verteidigen

Dadurch kam die Amtszeit von Kahn zu einem jähen Ende – und mit ihm wohl auch der Großteil von "FC Bayern Ahead". Der Verein konnte die Spitzenposition im eigenen Revier, gerade noch, vor Borussia Dortmund behaupten.

International muss man, nach dem dritten Viertelfinal-Aus in Folge, wieder nach ganz oben kommen. Allerdings ist das, noch immer, der etwas einfachere Schritt. 

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