Van Gaals Vermächtnis an den FC Bayern und den deutschen Fußball
Amsterdam - Der Mann ist 70 Jahre alt- pardon: jung. Allein dieses "alt" wäre in den Augen von Louis van Gaal wohl schon eine Beleidigung. Als Gegenüber würde man diesen typischen Blick ernten, mit dem der Niederländer wohl Holz spalten kann. Fünf Jahre genoss der Fußballtrainer Aloysius Paulus Maria van Gaal (Louis ist nur ein Spitzname) sein Rentnerdasein. Ein Genuss? Fraglich.
Einst wollte er mit 55 Jahren aufhören, was er nicht in die Tat umsetzte. Er hob sein Rentenalter auf 65 an - ohne Erfolg. Seine Frau Truus wartet. Und wartet. Als van Gaal letzten Sommer zum dritten Mal Trainer der niederländischen Nationalelf wurde, fragte er rhetorisch: "Wer soll es auch sonst machen?"
Nach zwei erfolglosen Versuchen: Führt van Gaal die Niederlande zum WM-Titel?
Zuvor war er bereits 2000 bis 2002 im Amt - damals scheiterte er in der Qualifikation für Japan/Südkorea, was ihm die Entlassung einbrachte. Ein zweites Mal 2012 bis 2014, in Brasilien wurde er WM-Dritter. Sein aktueller Vertrag läuft bis zum Ende der Winter-WM in Katar. Dort will er Weltmeister werden, Oranje zum ersten WM-Titel überhaupt führen.
Am Dienstag trifft die Elftal in van Gaals Geburtsstadt Amsterdam auf die deutsche Nationalelf (20.45 Uhr, ARD). Für einen wird es ein ganz besonderes Wiedersehen: Thomas Müller. Denn gleich nach seiner Ernennung als Bayern-Trainer im Sommer 2009 stellte van Gaal zur Verblüffung vieler klar: "Müller spielt immer!" Für den Schlaks von der zweiten Mannschaft, der unter Jürgen Klinsmann im Jahr zuvor einige wenige Kurzeinsätze bei den Profis hatte, begann dank des Holländers eine Weltkarriere.

Müller gegen Ex-Mentor van Gaal in der Startelf
Ein Mann, ein Satz. Müller absolvierte in der Spielzeit 2009/10 alle 34 Bundesliga-Spiele, wurde als der Shootingstar 2010 bei der WM in Südafrika Torschützenkönig und zum besten Jungprofi gewählt.
"Ich freue mich darauf, ihn persönlich wiederzusehen und ein paar Worte mit ihm zu wechseln", sagte der 32-Jährige, der laut Bundestrainer Hansi Flick in Amsterdam beginnen wird. Des Müllers Lob: "Louis van Gaal hat trotz seiner relativ kurzen Amtszeit einen bleibenden Eindruck und eine Handschrift hinterlassen - bei Bayern München und im deutschen Fußball. Eine Handschrift, von der immer noch gesprochen wird. Das ist etwas Besonderes, da kann er sich drüber freuen."
Er hat das Spiel verändert, den technisch feinen Dominanz-Fußball entwickelt, mit Arjen Robben und Franck Ribéry das schnelle Flügelspiel forciert. 2010 gewann Bayern das Double, das Triple verpasste man erst im Champions-League-Finale durch das 0:2 gegen Inter Mailand.
Van Gaal: Wenn ich Flick wäre, würde ich Müller gegen mich aufstellen
Der - Achtung, Euphemismus - recht schwierige Charakter van Gaal, der sich dauerhaft mit Alphatier Uli Hoeneß zoffte, galt als Feierbiest ("Eine dicke Kuss an alle Muttis") und meinte, in der Lederhosn habe er "einen Körper wie ein Gott".
Vor K.o.-Spielen bediente er sich gerne eines niederländischen Sprichworts und übersetzte es dann ins Deutsche: "Tod oder Gladiolen." Also: Ausscheiden oder Schwertblumen (bekommen), sprich weiterkommen. Im April 2011 wurde er bei Bayern entlassen.
Vor dem Wiedersehen beim Länderspiel sagte van Gaal am Montag im Quartier der holländischen Mannschaft in Zeist: "Müller ist ein Spieler, der auf dem Platz immer eine sehr gute Offensiv-Orientierung hat und deshalb immer Tore macht. Außerdem verteidigt er schlau. Dass er so lange durchgehalten hat, spricht für ihn." Der 70-Jährige weiter: "Wenn ich Hansi Flick wäre, würde ich ihn aufstellen, weil es Müller stimuliert, gegen mich zu spielen. Dann prickelt es."
Hansi Flick schaute sich viel von van Gaal ab
Van Gaal sei "ein absoluter Fußballfachmann", sagte Flick in Frankfurt vor der Abreise der Nationalelf: "Louis hat mir in meiner Trainerlaufbahn viel mitgegeben, weil ich den holländischen Fußball sehr geschätzt, ja, sehr geliebt und mich da fortgebildet habe."
Als einer seiner Vorgänger in München sei van Gaal für ihn in seiner Anfangszeit als Trainer einer gewesen, "an dem ich mich orientiert habe". Nicht jedoch in Sachen Kommunikation. Während der Pressekonferenz am Montag sagte van Gaal einmal mit einem Lächeln: "Leider habe ich meistens Recht." Ganz der Alte.