Van Gaals Plan: Die Kraft-Probe

Trainer van Gaal reizt Sportchef Nerlinger und Bayerns Bosse: Ersetzt er Keeper Butt (36) durch Talent Kraft (22), droht der Bruch mit den Chefs.
von  Abendzeitung
Hat in seinen ersten Auftritten im Bayern-Tor überzeugt: Thomas Kraft.
Hat in seinen ersten Auftritten im Bayern-Tor überzeugt: Thomas Kraft. © dpa

DOHA - Trainer van Gaal reizt Sportchef Nerlinger und Bayerns Bosse: Ersetzt er Keeper Butt (36) durch Talent Kraft (22), droht der Bruch mit den Chefs.

Christian Nerlinger wirkte entspannt, als er in Doha in einem weißen Plastikstuhl das Training verfolgte. Über Lautsprecher wurde von den Gastgebern Vogelgezwitscher eingespielt. Alles easy? Von wegen! Im Manager brodelt es. Der Auslöser ist Trainer Louis van Gaal und dessen riskanter Torwart-Plan: Er wird den unerfahrenen Thomas Kraft (22) ab der Rückrunde zur Nummer eins machen und Routinier Jörg Butt (36) auf die Bank setzen.

Am Sonntag nach der Ankunft in Doha hatte der Trainer beide Keeper davon unterrichtet, den Sportdirektor erst einen Tag später. Nach AZ-Informationen sei er „vor vollendete Tatsachen gestellt worden“. Auch die in der Heimat telefonisch verständigten Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß seien von van Gaals kühnem Manöver ebenso „überrascht wie geschockt“ gewesen – und, noch wichtiger, davon nicht überzeugt. Zwischen Hoeneß und van Gaal existiert seit dem Zoff um Umgangsformen und Spielereinschätzungen im Herbst ohnehin nur ein temporärer, dünner Friede, nun drohe gar der Bruch zwischen dem Coach und dem bisher trainertreuen Nerlinger.

Dem Nachwuchs eine Chance zu geben, zählt zur Philosophie des Holländers. Bayerns Bosse sind jedoch, nach den negativen Erfahrung im Fall Michael Rensing, gegen Experimente im Tor. Sie wollen im Juli den Schalker Nationalkeeper Manuel Neuer nach München holen. Hoeneß sagte erst: „Ich bin mir sicher, dass die Dinge in Sachen Neuer so laufen, wie sie laufen sollen.“ In Sachen van Gaal eher nicht. Der Alleingang könne nun – heißt es aus dem Verein – „weitreichende Konsequenzen“ für den Trainer haben, da er „nicht im Sinne der Interessen des Vereins handele“. Es ist eine Kraft-Probe im wahrsten Wortsinn, die den sturen van Gaal am Ende bei kurzfristigem Misserfolg den Job kosten könnte.

Freitag trainierte Kraft, der ohne Bundesliga-Einsatz ist und bislang nur zwei Champions-League-Spiele bestritt, mit den Stammspielern, Butt mit den Reservisten. „Kraft hat großes Talent, deswegen müssen wir ihn etwas ausbilden, dass er unter Druck spielen kann“, sagte van Gaal und wollte sich nicht festlegen, wer beim Rückrundenauftakt in Wolfsburg nächsten Samstag das Bayern-Tor hütet. Butt hatte letzte Saison ein gutes Jahr und hielt in der Vorrunde stabil, es heißt, er sei nun völlig vor den Kopf gestoßen.

„Wenn es jetzt einen Wechsel geben sollte, kann das nichts mit der Leistung von Jörg zu tun haben“, sagte Ex-Bayern-Torwart Oliver Kahn der AZ, „denn die war tadellos.“ Mit was dann? Kahn: „Van Gaal ist sehr schnell bereit, jungen Leuten, die die Qualität haben, die Chance zu geben.“

Was der Holländer auch 2003 machte, als er dem jungen Victor Valdés (damals 20) zu Beginn der Saison 2002/03 beim FC Barcelona ins Tor stellte und Roberto Bonano (32) herausnahm. Setzt van Gaal nach den Schachzügen mit Müller und Badstuber jetzt im Tor auf die Jugend? Patzt Fanliebling Kraft, dessen Vertrag wie der von Butt im Juni endet, und verspielt er Titel und Pokal, dürfte er keine Zukunft bei Bayern haben.

Hält er gut, werden die Proteste gegen Neuer noch intensiver werden. Dies wollen die Bosse verhindern, schließlich sei man kein Ausbildungsverein. Auch Kahn hält den Wechsel zu Kraft für „ein Risiko“, obwohl er sagt: „Thomas ist vom Talent her sogar stärker als es Michael Rensing damals war. Kraft hat etwas katzenhaftes, erinnert mich von den Bewegungen an Sepp Maier.“

Patrick Strasser

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