Van Gaal und Demichelis: Stur trifft stolz
Bayern-Trainer Louis van Gaal scheint nach dem Eklat um den rebellischen Verteidiger Demichelis gewillt, den schmollenden Argentinier ziehen zu lassen. Angeblich ist Atletico Madrid interessiert
MÜNCHEN Wenn Louis van Gaal eines nicht ausstehen kann, dann sind es ständige Fragen der Reporter zu einem Spieler, also nicht zur Mannschaft. Nachfragen zu einem Profi, der verletzt oder nicht im Kader ist, hat der Holländer so richtig dick.
Und so schaut der Bayern-Trainer am Samstag auch ziemlich übellaunig, als er am Rande der Fahrzeugübergabe bei Sponsor Audi in Ingolstadt kaum bis gar nicht über das 2:1 der Bayern zum Liga-Auftakt gegen Wolfsburg sprechen sollte, sondern nur über den Fall Martin Demichelis. Der Argentinier war am Freitag auf eigenen Wunsch nicht im Kader – und dann auch nicht im Stadion – gewesen. Zuvor hatte der Coach ihm eröffnet, dass er ihn nach der Vorbereitung nicht als Stammspieler in der Innenverteidigung sehe. Das Rennen machten Daniel van Buyten und Holger Badstuber. Mit grimmigem Blick meinte van Gaal am Samstag: „Wenn er gehen will, wäre das für mich kein Problem. Wir haben noch 14 Tage, dass er weggehen kann.“ Bis 1. September läuft die Sommer-Transferperiode. Van Gaal weiter: „Wir haben ja noch Maximilian Haas. Wir haben viele Spieler.“
Tiefer hätte Demichelis, ein Mann, der Stammspieler der argentinischen WM-Mannschaft war, insgesamt 30 Länderspiele und für Bayern 168 Bundesligaspiele bestritten hat, nicht sinken können beim Trainer. Nun steht er auf einer Stufe mit einem gewissen Haas, der 47 Drittliga-Partien für Bayerns zweite Mannschaft gemacht hat und dort immerhin Kapitän ist. Doch für van Gaal gilt: Jeder ist ersetzbar. Nicht ganz. Jeder, den er für ersetzbar erklärt, ist tatsächlich ersetzbar. Ausnahmen sind Fixpunkte seiner Elf wie van Bommel, Schweinsteiger, Lahm, Robben und Müller, der einfach immer spielt.
Van Gaal hat eine klare Linie, stellt (seine) klaren Regeln auf. Er lässt mit sich reden, trifft dann aber seine Entscheidung. Und er kann sehr stur sein, wenn ein Spieler ihn menschlich enttäuscht hat (siehe Luca Toni) oder doch nicht seinen Anforderungen eines Stammspielers entspricht (siehe Hamit Altintop und Mario Gomez).
Für Demichelis, den „stolzen Argentinier“ (Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge), ist die Verbannung auf die Bank keine rein sportliche Entscheidung, sondern zugleich auch eine Beleidigung. Demichelis ist ein extrem emotionaler Mensch, der seine beleidigt-rebellische Reaktion auf einen Positionswechsel im März 2008 nur Stunden später bereut hatte und mit blumigen Worten verkündete. Am Samstag sagte er: „Die Situation war so geplant. Der Trainer und ich hatten ein gutes Gespräch. Wir haben uns die Meinung gesagt. Ich will jetzt alles klären, weil ich nicht wie ein rebellisches Kind dastehen will.“ Chance verpasst. Unterm Strich bleibt: stur trifft stolz.
Es scheint nur einen Ausweg zu geben im Konflikt zwischen van Gaal und Demichelis: den Verkauf. Laut „Olé“ habe Demichelis gesagt, dass es „Verhandlungen mit einem anderen Verein“ gäbe – Entscheidung diese Woche. Atletico Madrid scheint gewillt zu sein, dem FC Bayern jene Ablösesumme zu bieten, bei der sie Demichelis trotz seines bis 2012 laufenden Vertrags gehen lassen.
Patrick Strasser