Van Gaal kriegt die Kurve
Der Triumph von Turin dürfte die Diskussionen um den Bayern-Trainer vorerst verstummen lassen – und Träume schüren
TURIN Sie rissen die Arme hoch auf der Bayern-Bank, umarmten sich, herzten sich. Louis van Gaal ballte die Faust, immer auf seine Kladde mit der Spieltaktik und seinen Stift achtend. Den gibt er nicht her – und den ersten Triumph in seiner Trainerkarriere beim FC Bayern kann ihm auch keiner mehr nehmen.
Van Gaal hat das „Unmögliche möglich“ gemacht, wie es Kapitän Mark van Bommel in Turin genannt hatte. Van Gaal hat im letzten Moment das Achtelfinale der Champions League erreicht. Mit einem Sieg, der schon allein deshalb in die Geschichte des Vereins eingeht, weil es der erste Auswärtscoup bei Juventus war. Eine Punktlandung! Van Bommel: „Das sind die Spiele, für die man als Spieler lebt.“ Und als Trainer auch.
Möglich wurde der Triumph durch einen Zittersieg vor 14 Tagen, ein 1:0 in der Allianz Arena gegen Maccabi Haifa – und nun durch den Erfolg im Piemont. Ein kleines Stoßgebet wird van Gaal auch in Richtung Bordeaux ausgesprochen haben – denn erst die Franzosen waren es, die den Bayern durch ihr 2:0 gegen Juve die Tür ins Achtelfinale aufgemacht hatten.
Nun sind die Bayern durchgegangen. Van Gaal hat rechtzeitig die Kurve bekommen, vor allem nach seinen beiden Pleiten gegen Bordeaux (1:2/0:2) schien sein erst im Juli angetretener Job wieder sehr in Frage zu stehen.
Er brauchte diesen Sieg, er holte diesen Sieg. Allen Widerständen zum Trotz. Ohne den dauerverletzten Franck Ribéry, mit einem nur 50 Prozent fitten Arjen Robben, ohne den quasi suspendierten Luca Toni. Alles richtig gemacht? Nicht alles, aber zumindest das Minimalziel Achtelfinale ist erreicht, der Neu-Präsident Uli Hoeneß glücklich gemacht.
„Wenn ich Erfolg habe, kann ich mir vorstellen, sehr lange hier zu bleiben“, hatte Louis van Gaal gesagt. War Turin der Beginn einer wunderbaren Leidenschaft? Auch bei den Bayern-Fans hat der Coach nun einen großen Schritt gemacht.
Van Gaal hat die Schmach des frühen Gruppen-K.o. Vermieden. Ottmar Hitzfeld ist eine solche Schmach einmal passiert. Einmal in sechs Jahren zwischen seinem Dienstantritt 1998 und seinem Abschied 2004 verpasste der Coach mit seiner Mannschaft das Achtelfinale der Champions League. Felix Magath ist bei drei Versuchen drei Mal weitergekommen, sogar Jürgen Klinsmann hat vor Jahresfrist überzeugend (als Gruppenerster ohne Niederlage) das Minimalziel erreicht; es ging bis ins Viertelfinale.
Wie weit geht die Europa-Tournee dieser Bayern noch? Immerhin gewann van Gaal schon mal die Champions League – vor 14 Jahren mit Ajax Amsterdam. Und ein Coach verlernt nichts, er gewinnt höchstens an Erfahrung.
Was ein Aus in der Champions League für ihn persönlich bedeuten würde, war van Gaal letzte Woche im AZ-Interview gefragt worden. „Ich bin mit Barcelona im ersten Jahr auch in der Gruppenphase ausgeschieden“, antwortete van Gaal, „aber wir sind in diesem Jahr Meister und Pokalsieger geworden. Die Champions League schon jetzt zu gewinnen, ist nicht die Vorgabe, die ich mit dem Vorstand bei meiner Einstellung vereinbart habe.“ Aber das würden die Bosse doch ganz gern mitnehmen.
Arrogant, dominant, erfolgreich. Die Bayern träumen ja immer von einer weiteren Ära à la Hitzfeld. Ein Anfang ist gemacht. Patrick Strasser