"Unfassbar": Helmer adelt Müller - und stärkt Kahn den Rücken
Dieses Interview erschien zuerst bei unserem Kooperationspartner FOCUS Online.
244 Mal stand Thomas Helmer in seiner Karriere für den FC Bayern auf dem Platz , 222 Mal für Borussia Dortmund. Dazu: 68 Länderspiele für Deutschland, Europameister 1996, der Mann weiß, wovon er spricht. Vor dem 20. Bundesliga-Spieltag fragte FOCUS Online beim heute 56-jährigen Sport1-Moderator nach.
FOCUS Online: Herr Helmer, Sie sind in verschiedenen Rollen seit über 30 Jahren ein Teil der Bundesliga. Verspüren Sie eigentlich noch dieselbe Lust auf den Sport wie früher - oder hat sich etwas verändert, wie offenbar bei vielen Beobachtern? Stichwort Kommerz, Stichwort Übersättigung, Stichwort Langeweile.
Thomas Helmer: Ich kann es nachvollziehen, dass der ein oder andere sagt, die Dominanz der Bayern ist mir zu groß. Allerdings sind jetzt auch besondere Zeiten aufgrund der Pandemie und Geisterspiele. Und die Bayern haben es damals mit Hansi Flick geschafft, alle Titel zu holen. Ich finde, man darf die Bayern nicht als langweilig bezeichnen. Sie sind einfach top und liefern ab, selbst jetzt, als sie Probleme in der Pandemie hatten, das sollte eher ein Vorbild für die anderen sein.
Wenig Torjubel: "Es sind ja auch keine Bayern-Fans da"
Am vergangenen Wochenende gewann der FC Bayern locker 4:0 in Köln. Allerdings fiel nicht zum ersten Mal auf, dass die Spieler nach Toren kaum jubelten, sondern eher pflichtschuldig abklatschten. Das hätte es zu Ihrer Zeit doch nicht gegeben.
In meiner letzten Saison für Bayern 1999 hatten wir am Ende 15 Punkte Vorsprung, da war es ähnlich, nach dem Motto: "Schönes Tor…" Vielleicht war in Köln ein Gefühl im Unterbewusstsein dabei: Wir waren gar nicht so gut. Hinzu kommt, es sind ja auch keine Bayern-Fans da, zu denen man in die Kurve laufen kann. Ich glaube, dass du gedanklich einfach woanders bist, auch wenn du ein Tor machst. Thema Corona oder ganz aktuell auch die Pause für Alphonso Davies.

Es heißt immer, Bayern sei der Liga längst entwachsen, und vielleicht stimmt das ja auch. Aber Borussia Dortmund liegt - Pokal-Blamage bei St. Pauli hin oder her - ebenfalls acht Punkte vor dem Drittplatzierten. Haben wir nicht längst Super-League-Verhältnisse und ist deren offizielle Umsetzung mit Europas Großklubs am Ende nur eine Frage der Zeit?
Das stimmt, in anderen Ligen geht es bei den Plätzen 2 bis 4 enger zu, der Abstand von Dortmund zum Dritten ist aktuell wirklich groß. Ich hoffe trotzdem nicht, dass die Super League kommt.
Helmer über zurückhaltendes Transfergebaren: "Es hat ja vielleicht auch etwas Gutes"
Sport1-Experte Stefan Effenberg dachte an ein Playoff-System, um der Liga neue Elemente zu verleihen.
In Europa gibt es Playoff-Systeme zum Beispiel in Belgien. Ich tue mir damit etwas schwer, auch wenn K.o.-Spiele schon ihren Reiz haben können. Die Frage ist, wo und wie man sie einsetzt.
Bayern konnte mit Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Kingsley Coman verlängern, Manuel Neuer sowie Serge Gnabry dürften folgen, der Plan mit Trainer Julian Nagelsmann ist langfristig. Wie nivellieren die Münchner ihren Chancennachteil gegenüber Investoren- und Staatsklubs?
Ich glaube, das Vorgehen der Bayern ist einfach der Zeit geschuldet: Spieler, von denen ich weiß, die bringen permanent ihre Leistung, weiter an den Verein zu binden. Das ist auch die günstigste Variante. Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass Bayern nochmal 80 Millionen Euro für einen Hernandez ausgibt. Es hat ja vielleicht auch etwas Gutes, dass zumindest diese Summen ein wenig relativiert werden.
Thomas Müller? "Es ist unfassbar, wo er auf dem Platz unterwegs ist"
Thomas Müller hat 150 Bundesliga-Vorlagen angehäuft, allein 18 in dieser Saison, seit 2008 ist in dieser Kategorie europaweit nur Lionel Messi besser. Wird der Fußballer Müller zu wenig gewürdigt und zu sehr auf den Raumdeuter und Klassensprecher reduziert?
Zu Thomas Müller muss man sagen: Was haben Niko Kovac oder vielleicht auch Jogi Löw da eigentlich falsch gemacht? Müller grantelt vielleicht viel, nervt auch mal den ein oder anderen Mitspieler, aber auf dem Platz sagt er den Jungen auch, wo es langgeht. Das kannst du lernen über die Jahre, aber er hat das einfach in sich.

Inwiefern?
Er ist unfassbar, wo er auf dem Platz unterwegs ist. Du kannst ihn nicht einordnen, das macht es für die gegnerischen Teams so schwer. Er braucht diese Freiheiten, und wenn er sie bekommt, zahlt er das zurück. Oder jetzt die Vorlage gegen Köln, wie er den Ball zurücklegt: Andere brechen sich bei so einer Aktion die Hüfte oder bekommen einen Muskelfaserriss - ich zumindest (schmunzelt).
Kahn zu zahm? Helmer hat nicht viel zu mäkeln
Ihr früherer Mitspieler Oliver Kahn ist inzwischen Klub-Boss beim FC Bayern. Manche kritisieren, dass er in der Öffentlichkeit zu profillos und handzahm auftrete, ohne echte Kanten, quasi als Gegenpol zum Torwart Kahn. Stimmen Sie zu?
Uli Hoeneß hat das ja ein bisschen befeuert, indem er gesagt hat, er würde ihn jetzt gerne mehr in der Öffentlichkeit sehen. Ich kenne Olli recht gut, weiß, dass er sich erst einarbeiten wollte. Aktuell gibt es aber bei Bayern - außer der Jahreshauptversammlung und dem Thema Katar, über das ja gestritten wurde - nicht viel zu mäkeln, das 0:5 im Pokal ist auch schon fast wieder vergessen. Ich kenne Olli auch anders. Wenn es jetzt wirklich zu einer, sagen wir, prekären Situation kommen sollte, wird er sich äußern, da bin ich mir sicher.
Herr Helmer, danke fürs Gespräch!