Uli, Lothar und nervliche Probleme

MÜNCHEN - In seiner Biografie „Hier ist Hoeneß“ zeichnet AZ-Reporter Strasser eine wüste Fußballnacht nach:Die Final-Niederlage der Bayern 1987 gegen Porto gehört zu den bittersten Pleiten für den Manager.
Die Bayern wähnten sich vor dem Finale 1987 gegen den FC Porto als sichere Sieger. Der Traditionsklub Benfica Lissabon aus Portugal, ja okay – aber wer war bitte schön Porto? Uli Hoeneß, damals 35, sagte in einem Interview mit der Abendzeitung wenig bescheiden: „Wir sind perfekter als Real und Barcelona. Finanziell kann uns in den nächsten fünf Jahren nichts passieren.“
Im Vorfeld der Reise in die Finalstadt Wien lud Hoeneß österreichische Reporter nach München ein und ließ sie im „Franziskaner“ fürstlich bewirten. Uli Hoeneß fungierte als Stimmungsmacher, sein Bruder Dieter bereitete sich auf das letzte Spiel seiner Karriere vor - auf einen möglichen Triumph, der bisher nur Uli als Aktivem vorbehalten gewesen war. Auch Lothar Matthäus war siegessicher. Der Kapitän tönte: „Das wird die Nacht meines Lebens.“ Sie wurde zum Albtraum.
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Die Partie in Wien an jenem 27. Mai 1987 beginnt mit einem doppelten Wunder: Wiggerl Kögl, der Dribbelspezialist mit katastrophaler Torquote, erzielt ein Tor, die 1:0-Führung. Und wie: Der Kleinste im Team trifft mit dem Kopf.
Die Bayern sind souverän und bestimmen das Spiel im Prater-Stadion. Nach der Pause geben sie es dann völlig ohne Not aus den Händen, sie wollen den Vorsprung nur noch verteidigen. „Das Sicherheitsdenken ist einfach nicht rauszukriegen bei uns“, klagte Verteidiger Hans Pflügler hinterher, und Abwehrchef Norbert Nachtweih jammerte: „Da kamen ständig Angriffswellen auf mich zu. Ich wusste gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.“
Die Portugiesen drehen innerhalb von drei Minuten das Spiel. Rabah Madjer per elegantem Hackentrick, Juary Filho per Kopfball – 1:2. Von diesem Schock erholen sich die Bayern nicht mehr.
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Hoeneß ließ all seine Enttäuschung raus: „Mit so einem Spiel hätte die Mannschaft von uns in den 70er Jahren keine Probleme gehabt. Diesmal fehlten einfach die Kälte und Gelassenheit, die uns damals nachgesagt wurden. Eine richtige Persönlichkeit auf dem Platz war auch nicht zu sehen.“
Und wieder waren sie Meister in gegenseitigen Schuldzuweisungen. Der Manager fürchtete: „Es könnte sich ein Trauma festsetzen, Endspiele nicht gewinnen zu können. Die Mannschaft hat einen psychischen Knacks, ist angeschlagen.“
Der Abpfiff war der Startschuss, um aufeinander loszugehen. Genauer gesagt auf einen: auf Lothar Matthäus. Er hatte die Nacht seines Lebens angekündigt – nun bekam er die Tracht Prügel seines Lebens.
Die Niederlage, so Hoeneß, sei lediglich den „nervlichen Problemen des Lothar Matthäus, nicht aber unserer Auffassung vom Fußball“ geschuldet.
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Die übervorsichtige Spielweise der zweiten Halbzeit wurde Udo Lattek als Finalkiller vorgehalten. Er warf der Mannschaft vor, nicht selbstständig genug agiert zu haben. Der Bruch zwischen ihm und den Spielern war in der Folge nicht mehr zu kitten. Auf dem Festbankett des Hotels „Marriott“ am Wiener Parkring warteten 450 Ehrengäste inklusive Bundesinnenminister Zimmermann vergeblich auf ein einziges Wort des Trainers, aber der plauderte lieber bis in die Morgenstunden mit Juan Gaspert, dem Vizepräsidenten des FC Barcelona und Patenonkel seiner Tochter Nadja. Lattek hielt bis sechs Uhr morgens durch, orderte noch einen der teuersten Rotweine des Hauses und verschwand auf sein Zimmer.
Am nächsten Tag folgte dann vor dem Rückflug nach München Latteks Abrechnung: „Ich bin einfach nicht mehr in der Lage, verantwortlich zu sein für das, was einige Spieler auf dem Platz leisten. Einige im Umfeld des FC Bayern haben das Leistungsvermögen der Mannschaft überschätzt. Wir sind eben kein internationales Spitzenteam. Ich zähle die Tage, bis es bei Bayern für mich vorbei ist. Den Rest werde ich mit Anstand hinter mich bringen."
Der Rest bedeutete: vier Bundesligaspieltage bis zum Meistertitel. Für die nächste Saison war bereits Trainer Jupp Heynckes verpflichtet worden.
Patrick Strasser