Uli Hoeneß: „Schwarz-Grün? Davon bin ich wieder abgekommen!“
Nein, hier geht es nicht um Fußball. Sondern um Frau Merkel und die CSU, Dioxin-Skandal und Atomkraftwerke. Und ums Dschungelcamp. Uli Hoeneß im großen AZ-Interview.
Von Gunnar Jans und und Patrick Strasser
AZ: Herr Hoeneß, herzlichen Glückwunsch: Die Leser der Abendzeitung haben Sie zur Sport-Persönlichkeit des Jahres 2010 gewählt – und das nach einem Jahr, das für Sie einen Umbruch bedeutete, es war Ihr erstes als Präsident nach 30 Jahren Management-Business.
ULI HOENESS: Vielen Dank an die Leser. Ich finde, es war ein prima Zeitpunkt, um aufzuhören. Früher, als ich noch jeden Tag ins Büro ging, konnte ich andere Dinge nicht machen. Jetzt habe ich ein anderes Leben, mit den unterschiedlichsten Terminen, und einen Monatskalender, da wird alles eingetragen. Das hatte ich noch nie. Dass ich heute schon weiß, wo ich am 3. Juni bin, so etwas gab es früher nie.
Gefällt Ihnen das neue Leben?
Ich probiere mich jetzt selbst aus, was ich so mache und wie ich es finde. Am 3. Januar etwa habe ich die Neujahrsansprache der CSU in Straubing gehalten. So etwas hatte ich noch nie gemacht. Da hatte mich Ernst Hinsken, ein Bundestagsabgeordneter, eingeladen. Der hing mir so lange im Ohr, bis ich zugesagt habe. Die machen das immer am 5. Januar, aber da habe ich Geburtstag. Da haben sie meinetwegen zum ersten Mal den Neujahrsempfang um zwei Tage vorverlegt. Also musste ich zu meiner Zusage stehen.
Und wie war’s?
Eine ganz neue Erfahrung, vor 600 Leuten über Politik zu reden – und zwar in freier Rede, wie ich das immer mache. Ich hatte zuvor unruhige Nächte, war ziemlich nervös. Aber die dortigen Zeitungen waren hinterher voll des Lobes: „Hoeneß, der Homo politicus“ war eine der Überschriften.
Ihr Thema?
Die Situation der Welt und speziell Deutschlands. Wir leben nach wie vor in einer sehr schwierigen Zeit, weil wir alle miteinander in den letzten zehn Jahren die Zukunft unserer Kinder aufs Spiel gesetzt haben. Die Finanzpolitik, die Bankenkrise – wir müssen schauen, dass das alle gemeinsam lösen.
Hat die Politik versagt?
Nein. Im Gegenteil, die haben die Krise, für die in erster Linie Teile der Finanzwirtschaft verantwortlich waren, gut gemanagt. Ich glaube, dass wir Deutschen eine relativ gute Ausgangsposition für die nächsten Jahre haben, weil die Regierung in letzter Zeit sehr gut agiert hat – vor allem in der Finanzkrise. Als das Kind mit dem Bade verschüttet war, hat die Regierung, vor allem Frau Merkel, sehr gut gearbeitet. Mit der Abwrackprämie, dem Kurzarbeitergeld, der Haltung zum Euro. Sie hat Politik gemacht, hat regiert, hat endlich Entscheidungen getroffen, das finde ich super.
Sie waren mal kritischer gegenüber der Kanzlerin eingestellt.
Frau Merkel macht im Moment sehr gute Politik, mit Kante. Sie will nicht mehr Everybody’s Darling sein. Auch in Bayern wird gute Politik gemacht, bessere Politik als früher schon einmal. Georg Fahrenschon zum Beispiel ist ein sehr guter Finanzminister. Die ganze bayerische Regierung mit Horst Seehofer an der Spitze, mit Schneider, Herrmann, Söder, Frau Hader-thauer, Dobrindt, hat sich gut rausgemacht. Ich glaube, dass die CSU gute Chancen hat, in Bayern bald wieder über 50 Prozent zu kommen, weil die SPD in Bayern, im Gegensatz zur Stadt München, nicht stattfindet und weil die Grünen ohne ihr Denkmal Sepp Daxenberger diese Politik des Verhinderns nicht ewig durchhalten können. Und die Freien Wähler sind zwar kommunal gesehen wichtige Meinungsmacher, haben aber keinen Einfluss auf die große Politik.
Jetzt haben Sie Gutti gar nicht erwähnt, den Pop-Star der CSU, den nächsten Kanzler.
Ich schätze den Herrn zu Guttenberg als Menschen und Politiker sehr, aber ich bin mir, ganz allgemein gesprochen, nicht ganz sicher, ob es der richtige Weg ist, Bundeskanzler über die Yellow Press werden zu wollen, über „Bunte" und die „Gala". Mir wären „Focus“, „Spiegel“, „Stern“, „ Zeit“, SZ und FAZ lieber.
Sein Afghanistan-Besuch mit Ehefrau und Showmaster Kerner hat Ihnen nicht gefallen?
Ich möchte nicht persönlich werden. Aber bei vielen steht die Medienarbeit heutzutage über der Sacharbeit. Manche sagen, du kannst heute nichts mehr werden, wenn du dich nicht verkaufst. Aber ob man da am Ende des Tages dabei gewinnt, das weiß ich nicht.
Immerhin hat Guttenberg Ihrer CSU zu neuer Popularität verholfen. Die Partei ist ja durch ein tiefes Tal gegangen.
Ich bin auch heute kein CSU-Mitglied, aber dennoch wieder stärker von der Sachpolitik der CSU überzeugt als noch vor einiger Zeit. Sie haben viele Fehler gemacht. Eine Landesbank etwa kann man nicht von Politikern allein kontrollieren lassen, da muss ein Bank- oder Finanzfachmann an ihrer Seite sein. Ich merke ja auch, dass da viel Fachwissen gefragt ist: Ich sitze beispielsweise im Aufsichtsrat einer Allianz-Tochtergesellschaft – da muss man sich schon reinknien, um alles zu verstehen.
Sie sprechen die Wirtschaftskrise an. Welche zentralen Themen werden Politik und Gesellschaft beschäftigen?
Wir werden in Deutschland wirtschaftlich gesehen sehr gute Jahre vor uns haben. Die Arbeitslosigkeit wird auf ein Niveau sinken, das wir viele, viele Jahre nicht erlebt haben. Wir haben einen Facharbeitermangel, wir müssen uns über Zuwanderung unterhalten, über das Thema Integration. Aber wir sind in Europa ganz klar die Nummer eins, was Problemlösungen anbelangt. Wenn die FDP, die in Bayern sehr gut arbeitet, sich in Berlin einig wäre, würde ich sagen: Die nächste Wahl ist gelaufen. Und zwar für Schwarz-Gelb, und nicht für Rot-Grün, wie alle glauben. Ich glaube jedoch nicht, dass Guido Westerwelle dann noch eine große Rolle spielen wird. Im Gegensatz zu Herrn Brüderle und Frau Leutheusser-Schnarrenberger und ihrem recht pfiffigen Generalsekretär.
Dabei kommen Sie doch mit Claudia Roth so gut aus.
Mit der habe ich immer sehr viel Spaß, die ist immer lustig, mein Verhältnis zu ihr ist so gut wie zu Herrn Seehofer. Bei den Grünen hätte ich auch gerne mal eine Neujahrsansprache gehalten, wenn die das gewollt hätten (lacht). Der Beifall dort hätte sich wohl eher in Grenzen gehalten.
Die Grünen stehen in Umfragen so gut da wie noch nie.
Ich war immer ein Freund der Grünen, ich habe ja sogar Edmund Stoiber mal von Schwarz-Grün vorgeschwärmt – aber davon bin ich in letzter Zeit wieder abgekommen. In den letzten Monaten haben die mit ihrer Höhenluft nicht umgehen können. Die sind gegen alles – aber für nichts! Zum Beispiel: Olympia, Stuttgart 21, Transrapid. Der Bürger muss nicht jeden Tag hören, was er nicht machen darf, sondern was er machen soll. Und da kommen mir bei den Grünen derzeit überhaupt keine Lösungsvorschläge.
Konkreter, bitte.
Stuttgart 21 – da finde ich die Lösung mit Heiner Geißler super, und wer ist dagegen? Die Grünen! Da haben sie bei mir unglaublich viel an Sympathie verloren. Gegen Atomkraft kann man ja sein, aber was hilft das? Dann muss man auch gegen das Werk in Temelin sein, das ist nur 400 Kilometer weg. Oder glauben die, dass die Wolke bei einem Unfall an der deutsch-tschechischen Grenze halt macht und vorher ein Visum beantragt? Überall in Europa wird gebaut. Wenn alle morgen abgeschaltet werden, wäre ich auch dafür. Aber wenn weiterhin schlechtere Kraftwerke gebaut werden, muss man die guten auch belassen, bis man andere Lösungen hat. Es kann nicht sein, dass in Schweden, Frankreich, Russland neue gebaut werden und unsere guten werden abgeschaltet.
Ein großes Thema dieser Tage ist der Skandal um mit Dioxin verseuchte Lebensmittel.
Ich kenne mich da aus, ich habe ja selbst eine Wurstfabrik. Das ist kein Strukturproblem. Da passieren strafrechtliche Dinge. Es ist kein Kavaliersdelikt, wenn man den Tieren Dioxin ins Futter mischt und damit den Leuten ins Fleisch oder in die Eier. Wenn jemand das zur Gewinnmaximierung macht, ist das für mich Wahnsinn. Das ist der Mensch, die Profitgier. Das Problem ist doch auch, dass in Deutschland immer alles billig funktionieren muss. Wir sind in Bezug auf Lebensmittel das billigste Land in Westeuropa. In den USA übrigens kosten unsere Nürnberger Rostbratwürste 60 Prozent mehr als hier in Deutschland.
Was ist zu tun?
Wir müssen die Kontrollen verbessern und die Strafen erhöhen. Aber Sie können sich nie komplett schützen. Es gibt nur den Appell an die Leute, sich an die Gesetze zu halten. In meiner Fabrik kann jeder jeden Tag unaufgefordert reinkommen, ich habe nichts zu verbergen. Wir werden alle paar Wochen kontrolliert. Das ist eine kommunale Geschichte, aber die Kommunen haben kein Geld. Die würden gern öfter im Jahr kontrollieren, das wäre gut für uns alle.
Das Thema hat Ihren Nerv getroffen.
Ich habe überhaupt kein Verständnis für die derzeitige Hysterie. Da ist eine sehr unsachliche Diskussion entstanden, denn: Du kannst keine Kuh tot streicheln, leider, du musst sie töten. Wenn die Kuh am Haken hängt, ist das ein furchtbares Bild, ich mag das auch nicht sehen – aber ich kann's nicht ändern. Ich habe mal in der Türkei, als wir Schafsaitlinge für unsere Fabrik eingekauft haben, gesehen, wie Kühe geschächtet werden – dann isst du erst mal kein Fleisch mehr, wenn du das siehst.
Geht man in Deutschland zu lasch mit den Kontrollen um?
Nein. Die Lebensmittel werden heute viel sauberer produziert als vor 20 Jahren – und sind so gesund, dass die Bevölkerung ständig älter wird. Aber wenn man diese Talkshows sieht, hat man immer das Gefühl, du kannst ja bald gar nichts mehr essen. Ich fand das herrlich, dass da neulich ein Sternekoch gefordert hat, künftig müsse auf der Packung beschrieben werden, wie das Tier getötet wurde. Da würde ich doch gerne mal beobachten, wie der Herr in seinem Lokal den Hummer lebend ins heiße Wasser schmeißt.
Ihre These ist ja: Vegetarier sind meistens unglücklich.
Ja, Veganer sind meistens ganz schlecht gelaunt. Veganer lachen fast nie. Als ich mal 16 Kilo abgenommen hatte, waren wir über Weihnachten und Silvester weggefahren – meine Familie hat mir gedroht, dass sie das nie wieder mitmacht. Nur Salat und Mineralwasser und um 19.30 Uhr spätestens im Bett, weil du vor lauter Hunger so frierst – da kann man keine gute Laune haben.
Herr Hoeneß, wir erleben Sie hier derart engagiert in einem Gespräch in dem es nicht um Fußball, nicht um den FC Bayern geht, dass wir uns die Frage stellen: Als Quereinsteiger in die Politik – wäre das für Sie denkbar?
Nein, ich bin jetzt 59 Jahre alt. Das war für mich nie ein Thema. Ich habe über 30 Jahre an vorderster Front Fußball gemacht, dann mache ich das aus Respekt gegenüber der Familie nicht mehr. Ich weiß, wie viel die Politiker leisten und arbeiten müssen. Das könnte ich meiner Frau nicht zumuten. Aber ich sage gerne meine Meinung, und zwar unverblümt und direkt. Das ist ja heutzutage sehr selten geworden. Leider.
Wie viele Anfragen haben Sie denn, in eine der großen Fernseh-Talkshows zu gehen?
Ich könnte jede Woche in mehrere gehen. Ich gehe aber meist nur zwei Mal im Jahr. Die Anne Will zum Beispiel hat schon öfter angefragt, aber ich habe noch kein Thema gefunden, das mich wirklich gereizt hätte. Maybritt Illner macht das gut, sie ist eine sehr gute Gesprächspartnerin, nicht nur weil sie die Lebensgefährtin des Vorstandsvorsitzenden der Telekom ist.
Sollten aktive Fußballer politisch interessiert sein?
Interessiert schon. Aber nicht aktiv. Wenn sie mögen, haben sie dafür noch nach der Karriere genug Zeit.
Aber Sie waren früher als Spieler schon politisch?
Ich? Nein.
Sie waren doch jahrelang mit Paul Breitner auf dem Zimmer, einem Mao-Anhänger!
Ach, ich war kein Freund von „Wasser predigen und Wein saufen (lacht). Er war einer dieser 68er, die einen Che Guevara als Aufkleber auf dem Auto hatten und einen Wagen für 30.000 Mark gefahren haben (lacht) – davon bin ich kein Freund.
Heutzutage gehen die 68er ins Dschungel-Camp. Wie Rainer Langhans.
Nur, weil er keine Kohle mehr hat. Daran sieht man, wie weit manche 68er gekommen sind – schlimme Zeiten! Die Sendung an und für sich gehört verboten.
Sie sind von den AZ-Lesern zur Persönlichkeit des Jahres gewählt worden – was macht eine Persönlichkeit heutzutage aus?
Punkt eins: Man muss bereit sein, zu lernen. Zweitens: Die Sache, die man macht, beherrschen. Man muss eine hohe soziale Kompetenz haben – mehr denn je. Und einen guten Charakter, glaubwürdig sein. Du darfst deinen Leuten nichts abverlangen, was du nicht selbst machen würdest. Dazu: Die Sorgen und Nöte der Mitarbeiter anhören. Mit Druck machen und draufhauen hast du auf die Dauer keinen Erfolg. Wichtig ist die Nachhaltigkeit des Erfolgs.
Sie haben oft beklagt, dass die aktuelle Gesellschaft zu oberflächlich sei.
Du kannst ja kaum noch echte Gespräche von Angesicht zu Angesicht führen, wenn du den ganzen Tag vor dem Computer sitzt. Man muss aber miteinander sprechen, um Konflikte und Probleme zu lösen – nur: Das haben die meisten verlernt.
Und daran ist das Internet schuld?
Auch. Wenn du heute mit jungen Leuten unterwegs bist, dann schauen die fast die ganze Zeit in ihr Handy rein, schreiben eine SMS nach der anderen oder haben Kopfhörer im Ohr. Die Welt ist „overnewsed but underinformed“, hat Henri Nannen mal gesagt. Das ist in diesen Internet-Zeiten noch viel, viel schlimmer geworden. Dabei ist das so ein flüchtiges Medium. Seit es das Internet gibt, glaubt doch jeder, bei jedem Thema mal eben eine Seite anklicken zu können und dann mitreden zu können. Ich finde: Man sollte wieder mehr Bücher und Zeitungen lesen, da beschäftigt man sich intensiver mit den Dingen. Ich habe fünf, sechs Zeitungen und Zeitschriften abonniert. Man braucht Zeit dafür, klar, aber mich erwischt auch kaum einer auf dem falschen Fuß in einem Gespräch.
Sie engagieren sich in mehreren Stiftungen. Was ist Ihr Antrieb?
Ich möchte der Gesellschaft, die mir so viel ermöglicht hat, etwas zurückgeben. Eines unser Probleme ist doch zum Beispiel, dass wir alle sehr alt werden. Demnächst werden die Frauen im Schnitt ja 90! Aber wie lösen wir das Problem der Pflege? Wenn meine Eltern noch leben würden, leider sind sie schon tot, würde ich sie zu Hause aufnehmen und nicht in ein Pflegeheim schicken. Natürlich geht das von meiner Lebensqualität ab, aber ich würde sie bis zum Lebensende pflegen. Diese Leute, die in einem Pflegeheim für 2000 Euro brutto schuften, das sind für mich wahre Helden. Nicht unsere Fußballer – auch wenn das gute Typen sind.
Wie geht es mit der Dominik-Brunner-Stiftung voran?
Wir haben einiges bewirkt in den Köpfen der Leute. Aber damit das nicht verflacht, wollen wir das Dominik-Brunner-Haus bauen. Für den Kauf brauchen wir 3,5 Millionen Euro, ich habe schon 1,5 Millionen zusammen. Wir wollen da Kindergarten- oder Schulkinder betreuen, im Hasenbergl, im Hart. Wir müssen Projekte gründen und in die Erziehung investieren.
Bleibt Ihnen bei diesen ganzen Engagements überhaupt genug Zeit für Ihren Job als Präsident des FC Bayern?
Manche Leute mögen ja glauben, der alte Hoeneß kriegt nichts mehr mit als Präsident und ist nur Chef der Basketballer – aber der Hoeneß weiß alles, der kriegt alles mit, was passiert. Er gibt zu allem seinen Senf dazu, aber nicht mehr öffentlich. Ich sage meine Meinung und kann auch intern sehr unbequem sein. Die Zusammenarbeit mit Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner funktioniert hervorragend, die informieren mich bestens. Und unser Aufsichtsrat ist ja mit lauter Hochkarätern besetzt. Wie in kaum einem Dax-Unternehmen.