Überall Zerwürfnisse: Darum ist Tuchels Scheitern beim FC Bayern keine Überraschung

München – Es hatte sich angebahnt, seit Mittwochmorgen ist es offiziell. Der FC Bayern trennt sich zum Saisonende von Cheftrainer Thomas Tuchel. Für den 50-jährigen Schwaben ist es nicht die erste Station, bei der er seinen Verein vor Vertragsende verlässt.
Schleudersitz FC Bayern? Tuchel nicht der erste Trainer, der frühzeitig seinen Hut nehmen muss
Fast auf den Tag genau ein Jahr ist vergangen, seit Thomas Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann – doch etwas überraschend – vor die Tür gesetzt wurde. Während der Trainerwechsel – durchgeführt von den mittlerweile ebenfalls geschassten Verantwortlichen Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic – rückblickend wohl als voreilige Impulsivhandlung eingeschätzt werden kann, hat sich dieses Aus doch angebahnt. Die Liaison zwischen Tuchel und dem deutschen Rekordmeister war nie eine glückliche und mehr von Unruhen und Tumulten als von Erfolgen und Harmonie geprägt.
Tuchel reiht sich damit in eine lange Liste an Trainern ein, die beim FC Bayern vor Vertragsende gescheitert sind. Seit Großmeister Pep Guardiola mit auslaufendem Vertrag 2016 die Isar verließ, konnten weder Carlo Ancelotti (immerhin der erfolgreichste Trainer der Champions-League-Geschichte), noch Niko Kovac, Hansi Flick und Julian Nagelsmann ihre Laufzeit in München erfüllen. Tuchels Probleme liegen auf der Hand und ziehen sich wie ein roter Faden durch dessen Karriere.
Thomas Tuchel führt Mainz zweimal nach Europa – und zieht sich zurück
Mit 35 Jahren startete Thomas Tuchel seine Trainerkarriere bei FSV Mainz 05. Nach dem Gewinn des Meistertitels mit den A-Junioren wurde er im August 2009 zum Cheftrainer der ersten Mannschaft befördert. In seiner ersten Bundesliga-Saison prägte Tuchel mit seinem eigenen Spielstil den Aufsteiger aus Mainz, der die Saison auf einem starken neunten Platz abschloss. Die zweite Saison zeigte seine Handschrift noch deutlicher – ein moderner Offensivfußball erstaunte die Liga und Mainz 05 stellte den Startrekord von sieben Siegen in Folge auf. Die Saison 2010/11 endete sensationell auf dem fünften Platz, die beste Platzierung in der Bundesliga-Geschichte des Vereins.
Im Sommer 2014 einigten sich Tuchel und Mainz auf ein Ende der Zusammenarbeit, ein Jahr vor Vertragsende – kurz, nachdem er die 05er ein zweites Mal für den Europapokal führte. Der Kontrakt lief aber noch bis 2015 weiter. Insgesamt war die Zeit in der Karnevalhochburg Mainz die harmonischste Zusammenarbeit in Tuchels Karriere, seither sind seine Stationen eher von immer wieder – auch beim FC Bayern aufgetretenen - Problemen begleitet.
Erste Profi-Titel, aber auch erste Zerwürfnisse in Borussia Dortmund
Schon bei Borussia Dortmund zeigte sich, dass Thomas Tuchel mit seinem Charakter nach und nach anecken sollte. Tuchel folgte im Sommer 2015 auf den Rücktritt von Jürgen Klopp und trat damit ein schweres Erbe an. Bereits in seiner Debütsaison hob er das spielerische Niveau seiner Mannschaft an und führte sie zurück in die Champions League. Die zweite Saison verlief sportlich ebenfalls erfolgreich, mit Champions-League-Qualifikation und dem Pokalsieg 2017.
Dennoch gab es Zerwürfnisse mit den Vereinsbossen, die sich durch die komplette zweite Saison zogen – besonders in Bezug auf die Kaderzusammenstellung. Der entscheidende Bruch erfolgte wohl während des Streits um den Nachholtermin des Champions-League-Spiels gegen Monaco nach einem Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus des BVB. Auch das Tischtuch zwischen Tuchel und Mannschaft war zerschnitten, besonders nach dem Pokalfinale deutlich wurde, als Spieler wie Marco Reus und Marcel Schmelzer Kritik äußerten. Die Zeit von Tuchel beim BVB endete ein Jahr vor Vertragsende trotz Pokaltriumphs im Streit, was nicht das letzte Mal sein sollte.
Mit PSG sportlich erfolgreich und trotzdem gefeuert
Auch im Ausland sollte sich dies nicht ändern. Auf Dortmund folgte nach einem weiteren Jahr Pause im Sommer 2018 der Sprung zu Paris Saint-Germain. Auch dort lief es aus sportlicher Sicht sehr gut. So erreichte Tuchel mit seinem Team 2020 das Champions-League-Finale. In Lissabon unterlag er seinem heutigen Arbeitgeber – den Bayern – zwar mit 0:1, doch bis heute ist das schwerreiche PSG dem Champions-League-Titel nie so nahe gekommen wie unter Thomas Tuchel. Und dennoch endete seine Zeit in Frankreichs Hauptstadt frühzeitig. Wieder einmal vor allem aufgrund eines Zerwürfnisses – dieses Mal mit dem damaligen Sportdirektor Leonardo.
Zusätzlich kam in Paris ein weiterer Grund hinzu, der allen Münchnern bekannt sein dürfte: Tuchel gilt nicht gerade als Trainer mit Samthandschuhen. In Paris sagt man dem 50-Jährigen nach, dass er es sich mit den Stars überwarf – und das, obwohl er beispielsweise zu Neymar anfangs einen guten Draht hatte. Tuchel soll laut der französischen Fachzeitschrift "France Football" sogar in einigen Pariser Clubs vorstellig geworden sein, um die Party-Nächte seiner Spieler einzudämmen. Auch in Sachen Ernährung schrieb Tuchel seinen Stars vor, keine Nudeln nach Spielen zu essen und auch Fastfood und Süßigkeiten gänzlich sein zu lassen. Zusätzlich wollte der damalige PSG-Trainer sogar so weit gehen, das Schlafverhalten seiner Spieler zu kontrollieren. Das Kapitel PSG endete für Tuchel im Dezember 2020.
Köigsklassen-Triumph mit Chelsea, aber Tuchels Probleme bleiben
Tuchels Auslandsreise ging schließlich nur einen Monat später weiter: Von der französischen Hauptstadt zog es ihn in die englische. Als Trainer des FC Chelsea erreichte Tuchel schnell den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere angelangt und gewann nur wenige Monate später die Champions League. Und das, obwohl das Team unter Tuchels Vorgänger Frank Lampard alles andere als eine gute Saison ablieferte. Sportlich gesehen war dieser Trainerwechsel ein absoluter Glückgriff und dennoch dauerte Tuchels Zeit an der Stanford Bridge nur 17 Monate an.
Aufgrund des russischen Angriffskrieg auf die Ukraine war der damalige Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch dazu gezwungen, die "Blues" zu verkaufen. Sein Nachfolger wurde Todd Boehly, ein US-amerikanischer Unternehmer. Für Tuchel begann also alles wieder bei null. Als schließlich auch der Start in die neue Saison nicht gut verlief, waren die Vorschusslorbeeren schnell verspielt. Der Hauptgrund für die Trennung soll aber – und jetzt dürfen Sie dreimal raten – wieder einmal ein Zerwürfnis aufgrund von Transfers gewesen sein. Berichten der englischen "Times" zufolge war Tuchel ganz und gar nicht mit den Neuzugängen zufrieden und soll alles andere als erfreut darüber gewesen sein, dass sich Boehly bei einem Meeting in taktische Belange einmischte und dann auch noch eine irreguläre Aufstellung in einer 4-4-3-Formation vorgelegt haben – also mit 11 Feldspielern, dessen Namen der Investor sogar aufzählte.
Aus von Thomas Tuchel beim FC Bayern – die Gründe sind keine Überraschung
Kurzum gesagt, hat es Tuchel nicht gerne, wenn ihm von außen in seine Taktik oder Kaderzusammenstellung eingeredet wird. Er hat gerne die volle Kontrolle, um sein Team nach seinen Visionen aufzubauen. Dass dies beim FC Bayern nicht der Fall ist, dürfte ihm von Anfang an klar gewesen sein und dennoch ließ er öfters hindurchblicken, dass er unzufrieden mit der Kaderzusammenstellung ist. Eine Holding-Six? Hat er nicht erhalten. Auf der dünn besetzten Rechtsverteidiger-Position wurde erst im Winter nachgebessert. Und das nicht mit Tuchels Wunschspieler, der Medienberichten zufolge am liebsten Nordi Mukiele an die Isar gelotst hätte, sondern mit Sacha Boey.
All das zeigt also: Tuchel hat sich auch beim FC Bayern nicht geändert und ist seiner Linie treu geblieben. Sowohl das Verhältnis zu Führungsspielern, als auch der Disput mit den Vereinsbossen ist nichts Neues in seiner Karriere und hat auch dieses Mal – neben der wettbewerbsübergreifend schlechtesten Punkteausbeute eines Bayern-Trainers (2,02) seit Jürgen Klinsmann (1,95) – in einem frühzeitigen Vertragsende gemündet.