Tymoshchuk: "Bayern ist klarer Favorit"

Anatoliy Tymoshchuk spielte für den FC Bayern und Schachtjor Donezk. Im AZ-Interview spricht er über das Spiel, wer warum im Vorteil ist – und erklärt, wie er den Konflikt in seiner ukrainischen Heimat erlebt.
von  Julian Buhl
Im Hinspiel wirkungslos: Bayern-Stürmer Lewandowski.
Im Hinspiel wirkungslos: Bayern-Stürmer Lewandowski. © firo/Augenklick

AZ: Herr Tymoshchuk, Ihre beiden Ex-Klubs FC Bayern und Schachtjor Donezk treffen heute in der Champions League aufeinander. Hat Sie das 0:0 im Hinspiel überrascht?

Anatoliy Tymoshchuk: Ich finde, dass beide Mannschaften nicht am Maximum gespielt haben. Vom FC Bayern kann man viel mehr erwarten. Schachtjor dagegen wird seinem Stil treu bleiben: schnell spielen, Konter fahren. Mit einem Auswärtstor würden sie es Bayern deutlich schwerer machen. Aber beim FC Bayern anzutreten, ist immer schwer. Bayern ist klarer Favorit aufs Weiterkommen, trotz des 0:0.

AZ: Haben Sie noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Bayern-Kollegen?

Tymoshchuk: Ja, der FC Bayern und Zenit (sein Verein aus St. Petersburg, die Red.) waren zur selben Zeit in Katar im Trainingslager während der Winterpause. Wir haben über viele Dinge gesprochen, auch die Champions League. Mit Guardiola habe ich über die Donezk-Spiele geredet. Von Schachtjor hat niemand Kontakt zu mir aufgenommen. Was aber nicht bedeutet, dass Bayern jetzt streng geheimes Wissen hätte...

AZ: Der FC Bayern steht unter Druck. Ein Vorteil für die konterstarke Schachtjor-Mannschaft?

Tymoshchuk: Ob Barcelona oder Real Madrid: In der Allianz Arena hat es jedes Team der Welt schwer, zu bestehen und gerät massiv unter Druck. Darauf muss Donezk vorbereitet sein, vor allem mental. Beide müssen eigentlich die nächste Runde erreichen. Die Erwartungen sind auf beiden Seiten sehr hoch.

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AZ: Das Hinspiel fand unter speziellen Bedingungen statt: Wegen des Krieges in der Ukraine konnte nicht in Donezk gespielt werden, sondern im 1000 Kilometer entfernten Lwiw.

Tymoshchuk: Jede Mannschaft und jeder Spieler will in seinem Heimstadion spielen. Aber das geht im Moment einfach nicht. Die Spiele nach Lwiw zu verlegen, war richtig. Die Donezk-Profis wurden von den Fans in Lwiw herzlich empfangen, das macht es ihnen einfacher.

AZ: Fotos von Panzern vor der Donbass-Arena in Donezk gehen um die Welt. Sie haben selbst dort gespielt, waren 2012 Kapitän der Ukraine bei der Heim-EM. Wie erleben Sie diesen Albtraum?

Tymoshchuk: Wie alle anderen auch, wobei mir das Ganze auch persönlich nahe geht. Ich habe neun Jahre lang dort gespielt und gelebt, Donezk wurde meine Heimatstadt.

AZ: Kann man sich als Spieler in so einer Situation überhaupt voll auf den Sport konzentrieren?

Tymoshchuk: Bei mir ist es so: Ich denke jeden Tag an meine Heimat und daran, was dort passiert. Ich finde es nicht richtig, wenn Sport und Politik vermischt werden. Aber diese Tragödie kann niemandem egal sein.

AZ: Sie spielen als gebürtiger Ukrainer in Russland, für Zenit St. Petersburg. Der Sport kann also Ländergrenzen überwinden. Ist es wahr, was Nelson Mandela gesagt hat: „Sport hat die Macht, die Welt zu verändern“?

Tymoshchuk: In diesen Worten liegt Weisheit, ich würde zustimmen und es wäre traumhaft, wenn es irgendwann Realität würde. Aber es braucht enorme Anstrengungen, um diesen Traum auch wahr werden zu lassen.

AZ: Es ist zu hoffen, dass das Minsker Abkommen hilft, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine bald zu beenden. Wird ein normales Leben, ein normales Fußballspiel, in der Ukraine danach wieder möglich sein?

Tymoshchuk: Ich glaube und hoffe das. Ich war seit einigen Jahren nicht mehr in Donezk, aber in meiner Erinnerung bleibt es die Stadt mit einer wundervollen Atmosphäre während der EM 2012. Es wäre schön, wenn die Atmosphäre eines Fußballfests in Donezk wiederbelebt werden könnte – und dann für immer bleibt.

AZ: Sie besitzen ein Haus in der Nähe von München. Wollen Sie wieder nach Deutschland – vielleicht sogar in die Bundesliga?

Tymoshchuk: Meine Familie lebt bei München, wir fühlen uns dort sehr wohl. Ich bin gut in Form, will weiter auf höchstem Niveau spielen. Aber die Entscheidung über die Zukunft fällt nach dem Saisonende im Sommer.

 

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