Tuchels schärfste Gegner: Bayern Trainer stichelt gegen Matthäus und Hamann

Dortmund - Bundestrainer Julian Nagelsmann dürfte einige Flashbacks gehabt haben am Samstagabend auf der Vip-Tribüne des Signal-Iduna-Parks.
Er saß da oben, in Hülle und Funktion als Nationalmannschaftscoach, mit den Gedanken daran, wie vor rund elf Monaten an Ort und Stelle sein Vorstandsboss Oliver Kahn aus der Haut fuhr. Das 2:2 von Dortmunds Stürmer Anthony Modeste in der fünften Minute der Nachspielzeit gegen die Bayern ließ die Münchner mit Chefcoach Nagelsmann in eine tiefe Herbst-Krise schlittern.
Tuchel jubelt von der Bank ungewohnt euphorisch
Alles passé - der Groll und die Posten. Nagelsmann sah diesmal seinen Nachfolger Thomas Tuchel an der Seitenlinie aus sich heraus gehen. Bei den vier Münchner Toren zum souveränen 4:0-Sieg der Bayern jubelte Tuchel vor der Trainer-Bank wie noch nie mit FCB-Jacke. Sonst schaltet der 50-Jährige immer sofort in den Analyse-Modus, diesmal ging er für seine Verhältnisse mit einfacher und doppelter Jubelfaust richtiggehend aus dem Sattel. War ja auch der erste Erfolg für Tuchel an der früheren Arbeitsstätte, an der er von 2015 bis 2017 mehr und mehr fremdelte...
Die Bayern feierten die früheste 2:0-Führung - nach nur neun Minuten - beim BVB überhaupt und den höchstens Erfolg beim Rivalen seit dem 5:1 im September 2009. Entspannte Münchner also? Von wegen - die Luft war ziemlich dick. Vor allem bei Tuchel, der angespannt und unter Strom wie noch nie wirkte seit seiner Amtsübernahme bei den Bayern Ende März. Kein Wunder, seine so dominante Mannschaft hatte am Mittwoch das Kunststück fertiggebracht, bei Drittligist 1. FC Saarbrücken mit 1:2 zu verlieren.
Sky-Experten Hamann und Matthäus kritisieren Tuchel
Dass Tuchel Hattrick-Serientäter Harry Kane freiwillig wie fahrlässig draußen ließ, war dem Coach ebenso sehr auf den Magen geschlagen wie die Kommentare der Experten, allen voran die Sky-Phalanx um Didi Hamann und Lothar Matthäus, die TV-Scharfrichter der Nation.
Die miese Bilanz von Tuchel, der bis dato einen Titel (die vom BVB geschenkte Meisterschaft) holte und vier verspielte (Pokal, Champions League, Supercup, erneut Pokal) sowie die "fehlende Weiterentwicklung" entflammten seinen Geduldsfaden, der zur immer kürzer werden Zündschnur wurde.
In Dortmund knallte es. Das Interview mit Sky-Reporter Patrick Wasserziehr vor Anpfiff hatte er nach vernehmbarem Knurren noch versöhnlich zu Ende gebracht, die Afterwork-Analyse brach er nach Abpfiff bei Sebastian Hellmann abrupt ab als Matthäus wegen diverser Sticheleien zur Gegenrede ("Darf ich jetzt auch mal was sagen?") ausholen wollte.
In Tuchels knappen Antworten zuvor steckten viel Ironie und Sarkasmus. Man habe "trotz Zerwürfnis mit der Mannschaft" gewonnen, "sehr überraschend alles". Tuchel genervt: "Lothar weiß es. Und wenn es Lothar nicht weiß, dann weiß es Didi bestimmt." Vor dem Abgang legte er Mikrofon, Mini-Sender und Kopfhörer ab, sprach zynisch: "Heute haben wir 4:0 gewonnen, jetzt müsst ihr eine 180-Grad-Wende machen. Viel Spaß."
Tuchel lehnt Aussprache mit Matthäus ab
Abklatschen - und tschüss. Seinen Kritikern Didi und Lothar hat es Tuchel - vorerst - gezeigt. Eine Aussprache mit dem TV-Experten lehnt Tuchel grundsätzlich ab. "Ich habe genug zu tun in meinem Job", sagte er bei Bild TV. Auf einen Gin Tonic mit Lothar? Tuchel schlagfertig: "Ich trinke keinen Alkohol während der Saison."
Sein schärfster Titel-Gegner hierzulande heißt Xabi. Trainer Alonso rockt mit Bayer Leverkusen, führt die Liga mit zwei Punkten vor Bayern an. Ist Xabi der (sportliche) Hauptrivale? "Leverkusen hat einmal unentschieden gespielt und den Rest gewonnen - aktuell sieht es danach aus", sagte Thomas Müller "Wir haben den Klassiker deutlich gewonnen und mit Leverkusen Schritt gehalten."
Tuchel kassiert die dritte gelbe Karte im zehnten Saisonspiel
Nach deren 3:2 in Hoffenheim spielte Müller auf das zwischenzeitliche 2:2 an: "Vielleicht haben sie zumindest einmal gespürt, dass sie auch verwundbar sind. Zumindest ist das unsere Hoffnung."
Wegen der zu impulsiven Meckerei kassierte Tuchel übrigens in Halbzeit eins von Schiedsrichter Deniz Aytekin die Gelbe Karte, im zehnten Saisonspiel bereits seine dritte. "Es gab eine kleine Diskussion über die Häufigkeit von taktischen Fouls, mir waren es zu viele", meinte Tuchel und das tatsächlich (!) völlig entspannt. Bei der nächsten Verwarnung muss er zum Abkühlen für eine Partie auf die Tribüne. Wird wohl nicht lange dauern bei Tuchels aktuell niedrigem Empörungslevel...