Tuchel verlässt FC Bayern – "Alle verlieren. Tuchel, Kahn, Brazzo und Dreesen": Wer nach dem Rauswurf als Gewinner dasteht

Ende März 2023 wurde Julian Nagelsmann beim FC Bayern entlassen und durch Thomas Tuchel ersetzt. Für den ist jedoch spätestens am Saisonende auch schon wieder Schluss in München. Die in ihn gesetzten Hoffnungen konnte der Fifa-Welttrainer von 2021 nicht erfüllen. Eine Besserung war in den letzten Monaten kaum zu sehen. Hätte man Julian Nagelsmann also gar nicht entlassen müssen und ist der jetzige Bundestrainer vielleicht der einzige Gewinner im Münchner Trainer-Drama?
von  André Wagner
Im Sommer ist für Thomas Tuchel Schluss beim FC Bayern.
Im Sommer ist für Thomas Tuchel Schluss beim FC Bayern. © Tom Weller/dpa

München - Nun wird sie also zu Ende gehen, die Liaison zwischen dem einst "schockverliebten" Thomas Tuchel und dem FC Bayern München. Statt der erhofften langen Ära auf der Trainerbank wurde es wieder nur eine kurzzeitige Affäre.

Nach dem, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, überraschenden Rauswurf von Julian Nagelsmann als Bayern-Trainer erhoffte man sich von Thomas Tuchel, immerhin Champions-League-Sieger mit dem FC Chelsea und Fifa-Welttrainer 2021, wieder einen FC Bayern, der seine Partien mit einer spielerischen Schönheit gewinnt und auch in den Pokalwettbewerben so lange wie möglich um die Titel mitspielt. Zudem wollte man in der Kabine auch wieder eine Einheit haben, die geschlossen hinter ihrem Trainer steht.

Kein Jahr später musste man an der Säbener Straße erkennen, dass Thomas Tuchel diese Erwartungen nicht erfüllen konnte.

Dinge, die man  Julian Nagelsmann vorgeworfen hatte, fanden unter Tuchel keine Besserung, teils kam es sogar zu einer Verschlechterung. Hatten die Münchner bei der Entlassung von Nagelsmann noch die Chance auf das Triple, von dem unter Tuchel, mit Ach und Krach und Dortmunder Unvermögen, nur der Meistertitel geholt werden konnte, steht der deutsche Rekordmeister unter der Übungsleitung von Thomas Tuchel vor der ersten titellosen Saison seit zwölf Jahren.

Nach dem vorzeitigen Aus von Thomas Tuchel beim FC Bayern:  Ist der geschasste Julian Nagelsmann der heimliche Gewinner?
Nach dem vorzeitigen Aus von Thomas Tuchel beim FC Bayern: Ist der geschasste Julian Nagelsmann der heimliche Gewinner? © Federico Gambarini/dpa

Auch von souverän errungenen Siegen ist derzeit keine Spur. Wenn, dann sind es eher dreckige Erfolge und auch Teile der Mannschaft hat Thomas Tuchel gegen sich aufgebracht. Der jüngste Wutausbruch und lautstarke Streit von Joshua Kimmich mit Co-Trainer Zsolt Löw zeugen davon, dass Tuchel einen Teil der Kabine verloren hat.

Nach Nagelsmann-Rauswurf: Tuchel hat nicht die erhofften Verbesserungen gebracht

Im Grunde genommen steht der FC Bayern vor der identischen Problematik wie vor einem Jahr, nur das der Trainergehaltsscheck nun den Namen Tuchel und nicht mehr Nagelsmann trägt. Und lässt man die vergangenen Wochen und Monate beim deutschen Rekordmeister Revue passieren, dann kann man zusammenfassen, dass beim Trainerwechsel von Julian Nagelsmann zu Thomas Tuchel  und dessen vorzeitigem Abschied beim FC Bayern fast nur Verlierer gibt.

"Durch die Beendigung des Vertragsverhältnisses mit Thomas Tuchel verlieren jetzt alle. Tuchel selbst, dessen Image als Erfolgstrainer angekratzt ist, die Verantwortlichen Kahn und Salihamidzic, die Tuchel ins Amt gebracht haben und selbstverständlich auch Dreesen, der diese Entscheidung jetzt verkünden musste. Der Einzige, der am Ende nicht negativ davon betroffen ist, ist also – Julian Nagelsmann", fasst Christopher Spall, Gründer und Marken-Experte der Identitäts-Beratung "Spall.macht.Marke" die derzeitige Situation an der Säbener Straße in der AZ zusammen.

Aber ist dem wirklich so? Ist Julian Nagelsmann der lachende Dritte in diesem Trainer-Wechsel-Dich-Spielchen?

Werfen wir mal einen Blick auf die Gründe, die maßgeblich zum damaligen Rauswurf von Nagelsmann geführt haben sollen.

Auch unter Thomas Tuchel ist beim FC Bayern kein eindeutiger Spielstil zu erkennen

So fürchtete man in der Münchner Chefetage, dass Nagelsmann die drei, zu diesem Zeitpunkt noch möglichen Titel verspielen könnte und man am Ende ohne Schale oder Pokal dastehen würde. Sein Nachfolger Tuchel konnte am Ende auch nur mit viel Glück den Meistertitel nach München holen. Ein Titel, der zwar die Änderung des FC-Bayern-Briefkopfes nach sich zog, sicherlich hat man sich von Tuchel aber mehr erhofft. Und ein Jahr später, haben die Münchner zwar faktisch noch die Chance auf zwei Titel, aber es muss schon mit sehr viel Glück und sportlichem Unvermögen des Gegners zugehen, sollten die Münchner doch noch an einer titellosen Saison vorbeischrammen.

Auch die Konstanz in den Spielen, die man unter Nagelsmann vermisste, fand man unter Thomas Tuchel als neuen Übungsleiter nicht. Wie schon unter seinem Vorgänger war unter dem 50-Jährigen kein eindeutiger Spielstil erkennbar, der Versuch mit der ungewohnten Dreierkette im Spitzenspiel gegen Bayer Leverkusen ging mal so richtig in die Hose. Von den unschlagbaren Bayern, bei denen sich für den Gegner ein Spiel in der Allianz Arena wie ein Zahnarztbesuch anfühle, wie es der Bremer Profi Sebastian Prödl einst mal so bildlich rüberbrachte, ist derzeit nichts zu sehen. Vielmehr rechnen sich auch die vermeintlich kleinen Gegner mittlerweile mehr als nur Außenseiterchancen beim großen FC Bayern aus. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist aktuell Geschichte.

Während Julian Nagelsmann von 84 Spielen als Bayern-Trainer nur zehn Mal als Verlierer zurück in die Kabine musste (bei 60 Siegen, 14 Remis und einem Punkteschnitt von 2,31), verlor der deutsche Rekordmeister in den 44 Pflichtspielen unter Thomas Tuchel bereits elf Mal (28 Siege, fünf Remis). Tuchels Punkteschnitt von "nur" 2,02 spricht klar für Nagelsmann und unter seinem Nachfolger sind die Münchner, was Pokal-Spiele angeht, eher als Katastrophe zu bezeichnen. Nur ein einziges Mal, beim 4:0-Sieg gegen Preußen Münster in der ersten Pokalrunde der Saison 2023/24 konnte Bayern ein Spiel in einem der beiden Pokalwettbewerbe für sich entscheiden, einmal gab es gegen Manchester City ein 1:1, vier Mal kassierte man eine Niederlage. Viel zu wenig für die erfolgsverwöhnten Münchner.

Wie schon Julian Nagelsmann: Tuchel bringt Teile der Mannschaft gegen sich auf

Ein weiterer Vorwurf, den man Nagelsmann machte, war, dass es zwischen dem damals 35-Jährigen und Teilen der Mannschaft rumorte. Vor allem Robert Lewandowski und Kapitän Manuel Neuer störten sich an Nagelmanns Hang zur Selbstdarstellung und mangelnder Selbstkritik. Bei Neuer kommt erschwerend hinzu, dass Nagelsmann kurz nach Neuers schwerer Verletzung dessen Freund und Torwarttrainer Toni Tapalovic quasi vom Hof jagte und durch Michael Rechner ersetzte. "Ich hatte das Gefühl, mir wird mein Herz rausgerissen", ließ Neuer damals in der "SZ" verlautbaren. 

Einzig Joshua Kimmich  und Leon Goretzka  ("Wenig Herz, wenig Liebe") galten damals als treue Weggefährten von Nagelsmann. Jener Kimmich, mit dem nun Thomas Tuchel ein großes Problem hat, ebenso wie mit Leon Goretzka, Matthijs de Ligt oder  Thomas Müller, wobei Letzterer seinen Trainer jüngst sogar in Schutz nahm und die Mannschaft in die Verantwortung zog. Nichtsdestotrotz gelang es Tuchel ebenso wenig wie Julian Nagelsmann, die gesamte Kabine auf ihre Seite zu bringen, wie es einst Jupp Heynckes vor dem Triple-Erfolg 2013 gelungen war.

Nagelsmann musste sich, in Teilen sicher berechtigt, den Vorwurf gefallen lassen, viele Stars in ihrer Entwicklung nicht voranzubringen. Zwar mauserte sich Jamal Musiala in der Nagelsmann-Zeit zum Stammspieler, aber lag das wirklich nur am Trainer oder einfach an Musialas außergewöhnlichem Talent? Auch Pavard, Upamecano und Stanisic machten unter dem 35-jährigen Coach kleine Schritte nach vorne, doch Pavard spielt nun in Italien, Stanisic ist an Leverkusen ausgeliehen und Upamecano ist immer wieder für einen Schnitzer gut und sah zuletzt zwei Platzverweise binnen kürzester Zeit. 

Nagelsmann gelang es nie, seine drei Stars Sadio Mané, Serge Gnabry und Leroy Sané zu dauerhafter Topform zu bringen. Zu oft wechselten sich bei diesem Trio Licht und Schatten ab. Auch unter Tuchel laufen viele Stars, mit wenigen Ausnahmen abgesehen, immer wieder ihrer möglichen Topleistung hinterher. Bestes Beispiel ist Leroy Sané, der seine beste Hinrunde für den FC Bayern geliefert hat, aber seit der Winterpause wieder in seinen lethargischen Trott verfallen ist und von Tuchel nicht daraus befreit werden kann.

Auch bei Stars wie Gnabry, Kimmich oder Goretzka schafft es der Nagelsmann-Nachfolger nicht, zu dauerhaften Höchstleistungen anzuspornen, was durchaus daran liegen könnte, wie sich Tuchel in der Öffentlichkeit über Teile seiner Mannschaft äußerte. Die sich ständig wiederholende Forderung nach einer "Holding Six" kamen bei Joshua "Ich bin ein Sechser" Kimmich und Goretzka alles andere als gut an. Aufbauarbeit geht auf alle Fälle anders.

Der Rauswurf hat dem FC Bayern mehr geschadet als Julian Nagelsmann

Was vielen Bayern-Spielern und -Verantwortlichen bei  Julian Nagelsmann ein Dorn im Auge war, war das Auftreten des damals 35-Jährigen Trainers in der Öffentlichkeit. Ein flotter Spruch hier, mit dem Longboard zum Training kommen und eine teilweise übertriebene Selbstdarstellung, ließen in den Augen der Bayern-Bosse die nötige Ernsthaftigkeit missen. Auch verbale Ausraster wie das berühmte "weichgespültes Pack" in Richtung Schiedsrichter-Gespann nach der 2:3-Pleite gegen Gladbach kamen in der Chefetage nicht wirklich gut an.

Aber auch Thomas Tuchel machte in der Öffentlichkeit mehr als nur einmal keine gute Figur. Zwischen Tuchel und seinen beiden Kritikern Didi Hamann und Lothar Matthäus entbrannte fast schon eine Privatfehde. Angesprochen auf die Worte der beiden TV-Experten, fehlte es Tuchel hin und wieder an Souveränität.

Als er nach dem 3:1-Siege gegen Gladbach eine Entschuldigung von Hamann mit den Worten "Ich nehme ihm das nicht ab", erinnerte der 50-Jährige mehr an ein bockiges Kind als an den Trainer eines Weltklubs.  Niederlagen wollte er sich durch Anwendung von Fachbegriffen schönreden und seine ständige öffentliche, wenn sicherlich durchaus berechtigte Forderung nach Verstärkung, vor allem nach einer "Holding Six", ließen die Vereinsverantwortlichen und auch Spieler wie Joshua Kimmich in keinem guten Licht erscheinen.

Rückblickend wird man sicher auch beim FC Bayern zu der Erkenntnis gekommen sein, dass der Rauswurf von Julian Nagelsmann und das Engagement von Thomas Tuchel ein Fehler gewesen sein dürfte. Die erhoffte Änderung zum Besseren sollte nicht eintreten, man hat an der Säbener Straße quasi dieselben Problemstellen wie vor einem Jahr, nur mit einem neuen, bald Ex-Trainer.

Kahn weg, Salihamidzic weg und bald auch Tuchel: Ist Nagelsmann der heimliche Gewinner der Trainer-Posse?

Und auch Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn, die maßgeblich für den Rauswurf von Julian Nagelsmann verantwortlich waren, haben beim FC Bayern nichts mehr zu melden.

So gesehen darf sich Julian Nagelsmann wohl als einziger Gewinner dieser Trainer-Posse beim FC Bayern fühlen, denn das Image von Thomas Tuchel und dem Deutschen Rekordmeister dürfte mehr Schaden davongetragen haben als das von Nagelsmann. Der ist nach einer kurzen Auszeit  nun als Bundestrainer wieder gut in Lohn und Brot und dürfte sich nach der Heim-EM, vor allem wenn diese für die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich verlaufen sollte, vor Jobangeboten europäischer Topklubs kaum retten können.

Lade TED
 
Ted wird geladen, bitte warten...
 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.