Tuchel rechnet nach FC-Bayern-Blamage gegen RB Leipzig ab: "Ich bin extrem enttäuscht"

München - Er hätte es sich verkneifen können, auf die Zunge beißen und die Faust in der Tasche ballen. Auch wenn dies zu einer gewissen Selbstverstümmelung geführt hätte – aber gut, es gibt ja ein fürstliches Honorar für einen Fußball-Trainer seiner Güteklasse.
Thomas Tuchel hätte nach der 0:3-Watschn im Supercup gegen RB Leipzig auch den Weg der Diplomatie wählen können, sanfte Worte wählen, sich schützend vor die Spieler stellen. Hat Tuchel nicht. Ganz im Gegenteil.
FC-Bayern-Coach Tuchel spricht Klartext mit den Spielern
Und das ist gut so. Für die Zuschauer, die Konsumenten – schließlich ist es ein Unterhaltungsgeschäft. Wenn die Spieler im Laufe des Wochenendes die Worte ihres Coaches zu Gehör und oder zu Gesicht bekommen haben, werden sie sich geschüttelt haben – je nachdem, wie intensiv die Pausenansprache und die Nachbesprechung von Tuchel ausgefallen sind.

Der 49-Jährige ist ehrlich – das ist ebenfalls gut so. Wenn Tuchel gefragt wird, antwortet er geradeheraus. Unüblich für alle Beteiligten. Daran haben sie sich beim FC Bayern über die vergangenen Monate seit Tuchels Amtsantritt Ende März gewöhnen müssen.
Die Aussagen des Bayerischen-Schwaben vom Samstagabend in diversen TV-Sendern und auf der Pressekonferenz ähnelten sich. Weil diese inhaltlich so stark waren, sollen sie hier großflächig abgebildet werden.
"Extrem enttäuscht": Verbale Watschn für die Spieler vom FC Bayern
Auf die Frage, warum seine Mannschaft diese Leistung im ersten Pflichtspiel der Saison gebracht habe, antwortete Tuchel: "Ich weiß es nicht." Und auf die Anschlussfrage, wo er nun ansetzen wolle, meinte er entwaffnend offen: "Ich weiß es im Moment nicht und habe keine Lösung. Ich bin konsterniert und extrem enttäuscht. Ich habe keinen Ansatzpunkt."
Er schüttelte wiederholt den Kopf, redete sich in Rage: "Die Diskrepanz zwischen der Verfassung, der Form und der Stimmung, mit der wir anreisen, und dem, was wir auf den Platz bekommen, ist eklatant und riesengroß. Das ist für mich im Moment unerklärlich. Wir machen die Chancen nicht und geben die einfachsten Tore weg. Es ist eine komplette Fortsetzung vom 33. Spieltag (dem 1:3 gegen RB Leipzig in der Bundesliga, d.Red.) und den Spieltagen davor. Als hätten wir vier Wochen nichts gemacht. Das glaubt mir ja kein Mensch! Das muss ich leider so sagen."
Thomas Tuchel nach eigener Pleite ratlos: "Erkenne nichts wieder"
Er sprach die Sommer-Vorbereitung an, hinterfragt jedoch die Arbeit von sich und seinem Trainerteam nicht – zumindest diesen Part macht er nicht-öffentlich. Mit der Diskrepanz zielt Tuchel seine subjektiven Eindrücke des von ihm geleiteten Trainings und das für alle Fans objektive Ergebnis dieser Arbeit auf dem Platz ab.
"Ich erkenne nichts mehr wieder. Nichts von dem, was wir inhaltlich machen wollten. Nichts von dem, wie wir zuletzt gespielt und trainiert haben. Die Art und Weise und das Ergebnis – das ist erschreckend."
Tuchel sagte: Wir – doch es klang nach: Hier unser Trainerteam, dort die Spieler, die es nicht umsetzen.
Kann das Comeback von Thomas Müller die Stimmung beim FC Bayern heben?
Der neben der Verpflichtung von Harry Kane größte Hoffnungsschimmer: Thomas Müller meldete sich fit und bereit, am Freitag bei Werder Bremen im Kader stehen zu können. Neben einem möglichen Jokereinsatz könnte auch Müllers Rhetorik Segen bringen.
Mainz, Dortmund, Paris St.-Germain, Chelsea – bei all seinen Stationen habe er so etwas noch nicht erlebt, erklärte Tuchel. "So dauerhaft und in der Diskrepanz, dass man gar kein Gefühl mehr dafür hat, noch nie. Das ist schon neu. Das war letzte Saison so, wo wir gerätselt haben. Offensichtlich haben wir uns wieder auf diese Frequenz eingestellt. Ich weiß nicht, wieso und weshalb. Es gibt keinen Grund dafür. Es ist mental. Ich habe keine Ahnung, warum das so aussah."
Aufhorchen ließ noch diese Aussage des Trainers: "Sobald wir etwas zu verlieren haben, ist es nicht die gleiche Gruppe. Das ist nicht gut." Der Haken an der Sache: Der FC Bayern hat in jedem Spiel etwas zu verlieren, in jedem Wettbewerb Trophäen zu verspielen. Und ein Trainer seinen Job.