Tuchel kritisiert FC-Bayern-Kaderplanung der letzten Jahre – was den Trainer besonders stört

Singapur - Uli Hoeneß war nicht mit in Singapur, er blieb zu Hause am Tegernsee. Rein klimatechnisch eine gute Entscheidung, außerdem litt der 71-Jährige zuletzt an einer Schleimbeutelentzündung am rechten Ellbogen. Doch Hoeneß wäre nicht Hoeneß, würde er als Ehrenpräsident nicht doch ständig am Puls der Geschehnisse in seinem Verein sein. Was sind da schon über 10.000 Kilometer Luftlinie?
"Ich bin mit Uli Hoeneß in sehr gutem Austausch. Er ist Teil unserer Transfergruppe", sagte Thomas Tuchel am vergangenen Dienstag in Singapur und erklärte: "Wir diskutieren viel und jeder sagt seine Meinung. Es ist nicht notwendig, dass wir immer derselben Meinung sind. Es ist nur notwendig, dass wir diskutieren und dass er meinen Standpunkt kennt."
Tuchel fehlt ein defensiv-denkender Sechser beim FC Bayern
Und den verriet ein bestens aufgelegter Bayern-Trainer am Dienstagnachmittag auch den Journalisten auf der Pressekonferenz im Nationalstadion von Singapur. Nicht im Fall von Wunschmittelstürmer Harry Kane, sondern bei einer Antwort zur Frage nach der Rolle seiner vier zentralen Mittelfeldspieler, die er im Kader hat – also zu Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Konrad Laimer und Ryan Gravenberch.

Zum wiederholten Male machte der 49-Jährige klar, dass ihm ein Spielerprofil, ein wesentlicher Baustein für seine Idee, mit dieser Mannschaft maximalen Erfolg zu haben, noch fehlt: ein Sechser. Genauer gesagt: Ein Sechser, der auch wirklich seine Position hält, rein defensiv denkt, der sich, so Tuchel, "zuständig fühlt für den hinteren Teil des Feldes. Der sich mehr kümmert um Verteidigung, der nicht das Erreichen des generischen Strafraums als seine primäre Qualität betrachtet." Ein "holding midfielder", eine tief stehende Sechs wie etwa Declan Rice, der seine Wunschlösung gewesen wäre.
Der 24-Jährige wechselte innerstädtisch von West Ham United zum FC Arsenal, kostete eine Ablöse von umgerechnet 116 Millionen Euro. "Guter Spieler, guter Klub – so ist es nun mal", meinte Tuchel schon vor einigen Wochen.
Kimmich stellt klar: "Ich bin ein Sechser"
Geht es nach Kimmich, braucht es gar keinen Neuzugang mit diesem Profil. "Ich bin ein Sechser!", stellte er nach dem 4:3-Sieg gegen den Liverpool am Mittwoch deutlich klar.
"Wir können Spiele ohne tiefe Sechs gewinnen", sagte Tuchel, um seine Mittelfeldstars nicht zu verärgern. Und weiter: "Es ist unsere Aufgabe, da Lösungen zu finden. Suchen wir nach jemandem? Nicht verzweifelt. Wir haben Spieler, die bei uns unter Vertrag stehen und denen wir vertrauen. Wir haben Vertrauen sowohl in ihre Qualität als auch in ihren Charakter." Klingt nach: Einerseits ja, einerseits nein. Aber auch: Mister X dringend gesucht.
"Alle unsere vier Mittelfeldspieler haben sehr viel Qualität, sind sehr mobil. Alle vier lieben es, zwischen den Strafräumen zu spielen", erklärte Tuchel und kritisierte damit die Kaderplanung der letzten Jahre. "Sie sind unterschiedliche Spieler, aber sie haben sehr ähnliche Qualitäten."
Edson Alvarez und Aurélien Tchouaméni: Im Fokus des FC Bayern
Tuchel gab ungefragt Auskunft. "Ryan (Gravenberch, d.Red.) ist ein sehr guter Dribbler. Leon (Goretzka, d.Red.) ist ein sehr physischer Spieler. Konni (Laimer, d.Red.) ist ein Balljäger. Und Josh (Kimmich, d.Red.) unser strategischer Junge, der es liebt, alles zu machen. Und der dazu in der Lage ist, alles zu machen. Und dennoch: Es ist nicht in seiner DNA, ein positionshaltender Mittelfeldspieler zu sein. Er mag es, sich zu viel zu bewegen. Er hilft an zu vielen Orten aus. Er ist ein sehr guter Assist-Geber. Er spielt sehr gerne den vorletzten Pass. Das ist eine maßgebliche Stärke seines Spiels." Tuchel versteht es wie kein Zweiter, Lob mit inhaltlicher Kritik zu verknüpfen.
Wer käme nun infrage als Mister X? Der Mexikaner Edson Álvarez (25) von Ajax Amsterdam. Auch der Franzose Aurélien Tchouaméni (23) von Real Madrid, allerdings nur per Leihe für ein Jahr. Tuchel ganz generell: "Wenn sich eine Möglichkeit auftut, sind wir offen."