Tuchel denkt noch oft an Papa Badstuber
MAINZ - Am Samstag kehrt der Mainzer Trainer nach München zurück, wo er einst in einer WG lebte. Hier erzählt er, wie ihn der verstorbene Vater eines Bayernprofis „fachlich und menschlich sehr, sehr geprägt hat“
Um einen kessen-kecken Spruch ist der gemeine Mainzer kurz vor der närrischen Zeit eigentlich nicht verlegen. Doch wer sich in der rheinhessischen Winterlandschaft am Bruchweg vor dem Gastspiel des FSV Mainz 05 beim FC Bayern umhörte, der fing nicht gerade optimistische Töne ein. „Kein frühes Gegentor bekommen“, „keine Klatsche kassieren“ oder „bloß nicht untergehen“, so lauteten die Statements der Trainingskiebitze, die zu den 5000 Fans gehören, die nach Fröttmaning kommen.
Trainer Thomas Tuchel, nicht nur ein akribischer Arbeiter, sondern auch ein empfindsamer Mensch, spürt die wenig euphorische Stimmung ungeachtet der 2:1-Hinspiel-Sensation. Und sagt mal eben verschmitzt: „Helfen würden uns ein schnelles Tor und ein schneller Abpfiff." Oder auch dies: „Wir können ja den Mannschaftsbus vor unserem Tor parken. Mit zwei Torhütern können wir ja leider nicht antreten.“
Klingt ulkig und beinahe demütig, ist aber gar nicht so gemeint, wie der 36-jährige Chefstratege klar stellt: „Wir kennen unsere Rolle, aber wir sind kein Opferlamm.“ Warum auch? Der Aufsteiger, der kurz vor Saisonstart den bei der Mannschaft nicht mehr gelittenen Norweger Jörn Andersen durch den authentischen A-Juniorencoach Thomas Tuchel ersetzte, darf als die positive Überraschung der Liga gelten. Und ihr impulsiver Mann an der Linie ist der Überflieger in der Trainergilde – seine taktischen Kniffe gegen unsortierte Bayern am 22. August vergangenen Jahres waren Tuchels erstes Meisterstück.
„Jeder Verein sollte sich bewusst sein, welche Philosophie er vertreten will, und sollte dementsprechend nicht immer den bekanntesten Trainer verpflichten, sondern den geeignetsten“, erklärt der junge Familienvater. Präsident Harald Strutz und Manager Christian Heidel sprechen rückblickend bei Tuchels Beförderung von einer „Überzeugungstat“. Denn erst dieser Trainer ist der ideale Nachfolger von Jürgen Klopp, der den Aufstieg des selbst ernannten Karnevalsvereins zur festen Größe im deutschen Profifußball einst begründete. „Der Mainzer Fußball ähnelt seit Klopp der baden-württembergischen Schule“, sagt Tuchel, „was mir entgegenkommt“.
Nachdem er wegen einer Knorpelverletzung mit 24 Jahren seine Kickerkarriere beenden musste, probierte der gebürtige Krumbacher einiges aus: Er fing ein Englisch- und Sportstudium an, lebte mal kurz in einer Münchner WG, versuchte sich als Physiotherapeut und schloss ein BWL-Studium ab : um dann doch Fußballlehrer zu werden.
In seinen aktiven Zeiten beim SSV Ulm hatte ihn ja ein gewisser Ralf Rangnick angeleitet, der ihm danach beim VfB Stuttgart die Verantwortung erst für die U 14 und U 15, später für die U 19 übertrug. Keine fünf Jahre ist das her, gleichwohl nennt Tuchel stets den im Vorjahr verstorbenen Hermann Badstuber als sein größtes Vorbild. Selten habe er jemanden gesehen, der so viele Fachwissen vereine und so viel Querdenken zugelassen habe, urteilte Tuchel unlängst über den Vater des Bayern-Verteidigers Holger Badstuber. „Wir haben uns beim VfB kennen gelernt, er hat sich zu einer sportlichen Vaterfigur für mich entwickelt. Er hat größten Anteil daran, dass auch meiner Euphorie für den Trainerjob Akribie wurde. Er hat mich fachlich und menschlich sehr, sehr geprägt.“Frank Hellmann