Trainer Thomas Tuchel im Dilemma: Darum wird der Winter für den FC Bayern extrem teuer

Um die Verfehlungen des Sommers auszumerzen, will der FC Bayern im Winter auf dem Transfermarkt nachbessern. Das dürfte sich allerdings äußerst schwierig gestalten – und teuer noch dazu.
von  Bernhard Lackner
Will im Winter unbedingt Neuzugänge: Bayern-Trainer Thomas Tuchel
Will im Winter unbedingt Neuzugänge: Bayern-Trainer Thomas Tuchel © IMAGO / Steve Bauerschmidt

München – Vier Spiele noch, dann ist das Fußball-Jahr 2023 für den FC Bayern beendet. Es war einmal mehr eine ereignisreiche, bisweilen denkwürdige Halbserie – und abgesehen vom Pokal-Aus in Saarbrücken auch eine erfolgreiche. Thomas Tuchel dürfte dennoch froh sein, wenn das Jahr vorüber ist.

Dass die erste Hälfte dieser Saison ihre Tücken mitbringen würde, hat sich bereits früh angedeutet. "Der Kader ist schon auf Kante genäht", musste der Bayern-Coach Anfang September konstatieren. Der chaotische Deadline-Day mit dem geplatzten Transfer von Joao Palhinha, der von Tuchel so sehnlich erwünschten Holding Six, war da noch nicht einmal 24 Stunden her. Auch in der Abwehr versuchte man sich kurz vor Toreschluss noch zu verstärken – ebenfalls erfolglos.

Der Kader des FC Bayern ist qualitativ gut, aber zu dünn besetzt

Der Kader sei qualitativ hochwertig, auf bestimmten Positionen aber schlicht viel zu dünn besetzt, meinte der Bayern-Coach. Widersprechen konnte man ihm nicht. Im Winter soll sich das ändern, da sind sich die Verantwortlichen einig.

Höchste Priorität genießt nun allerdings nicht mehr ein defensiver Mittelfeldspieler, sondern ein Abwehrspieler. Am besten einer, der sowohl als Innen- als auch als Rechtsverteidiger spielen kann. Hier war die dünne Personaldecke in den vergangenen Monaten am deutlichsten zu Tage getreten.

Zuletzt musste einmal mehr Mittelfeldspieler Leon Goretzka im Abwehrzentrum aushelfen, da in Matthijs de Ligt und Vielspieler Kim Min-jae zwei von gerade einmal drei etatmäßigen Innenverteidigern ausfielen. Eine "kreative Lösung", wie sie Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen von seinem Chefcoach zu Saisonbeginn gefordert hatte.

Das Innenverteidiger-Experiment mit Leon Goretzka soll keine Dauerlösung sein

Der Nationalspieler machte seinen Job gut, als Dauerlösung kommt das allerdings nicht infrage. "Es gibt jetzt im Moment keinen Grund, darüber nachzudenken, ob das dauerhaft seine Position bleibt", meinte Tuchel vergangene Woche. Seine Stärken könne Goretzka im Mittelfeld dann doch noch deutlich besser ausspielen, betonte der Bayern-Coach.

Um in der zweiten Saisonhälfte, wenn neben dem Rennen um die Meisterschaft auch die K.o.-Spiele der Champions League anstehen, nicht mehr zu derlei Rochaden gezwungen zu sein, soll im Januar auf dem Transfermarkt nachgelegt werden. Für Sportdirektor Christoph Freund eine extrem schwierige Aufgabe – und zwar aus mehrerlei Gründen.

Im Winter sind kaum Spieler auf dem Markt, die das Niveau für den FC Bayern mitbringen

Der Kreis der Spieler, die für Bayern qualitativ wirklich interessant sind, ist klein – erst recht im Winter: Dann gilt das Transferfenster als deutlich schwieriger als im Sommer – schließlich will kein Verein seine besten Spieler mitten in der Saison verkaufen. In aller Regel sind im Januar lediglich Reservisten auf dem Markt. Einen potenziellen Neuzugang zu finden, der ins Profil passt und Bayern-Niveau mitbringt, gestaltet sich also schwierig. Im Sommer wäre die Auswahl deutlich größer gewesen.

Die Winter-Transfers dürften für die Bayern unangemessen teuer werden: Es hat sich national wie international längst herumgesprochen, dass die Bayern in der Defensive Bedarf haben. Andere Klubs werden aus der Not der Münchner Kapital schlagen wollen und bei der Ablöse noch die eine oder andere Million draufschlagen. Dass die Bayern die 65 Millionen Euro, die im Sommer für Palhinha veranschlagt waren, noch immer auf dem Konto haben, dürfte die Preise weiter nach oben treiben. Es könnte also ein teurer Winter für den Rekordmeister werden.

Präsident Herbert Hainer macht sich wegen des Geldes aber eher weniger Sorgen. "Der FC Bayern ist Gott sei Dank in der wirtschaftlichen Saison, dass er immer reagieren kann am Markt, wenn er reagieren will", sagte er bei Bild-TV: "Aber es muss natürlich sinnvoll sein."

FC Bayern: Die Stanisic-Leihe zu Bayer Leverkusen war ein klassisches Eigentor

Im Winter sucht Bayern genau den Spielertyp, den sie im Sommer fahrlässig gehen ließen: Dass in der Abwehr überhaupt Handlungsbedarf besteht, ist zu einem großen Teil selbstverschuldet. In Josip Stanisic hätte man einen Spieler aus dem eigenen Nachwuchs gehabt, der exakt ins Profil des gesuchten Winter-Neuzugangs passt. Der kroatische Nationalspieler kann sowohl innen als auch rechts spielen, selbst als Linksverteidiger wurde er schon aufgeboten.

Josip Stanisic zählt bei Bayer Leverkusen noch nicht zum Stammpersonal – doch das könnte sich im Winter ändern.
Josip Stanisic zählt bei Bayer Leverkusen noch nicht zum Stammpersonal – doch das könnte sich im Winter ändern. © IMAGO / Chai v.d. Laage

Dumm nur, dass Stanisic im Sommer völlig ohne Not an Leverkusen – mittlerweile größter Konkurrent im Titelkampf – verliehen wurde. Über seine Freigabe war der gebürtige Münchner selbst überrascht. "Ein bisschen verwundert war ich schon", sagte er kurz nach seiner Ankunft in Leverkusen. Sein Transfer war zunächst davon abhängig gemacht worden, ob Benjamin Pavard (ebenfalls einer für innen und rechts!) beim Rekordmeister bleibt oder nicht. Am Ende wurde der Franzose an Inter Mailand verkauft – und Stanisic durfte trotzdem gehen.

Obwohl er selten spielt: Darum ist die Leihe von Josip Stanisic für Leverkusen sinnvoll

Bayern hat Leverkusen mit der Stanisic-Leihe einen großen Gefallen getan: Rein sportlich hat sich die Leihe für Bayerns Eigengewächs bislang zwar nicht ausgezahlt. Obwohl er mit der Werkself an der Tabellenspitze steht, durfte er bei seinen gerade einmal fünf Ligaspielen nur ein Mal von Beginn an ran. Spielpraxis holt sich der Abwehrspieler dafür in der Europa League, wo er regelmäßig in der Startelf steht.

Aus Sicht der Leverkusener macht die Leihe trotzdem Sinn. Anfang kommenden Jahres werden zahlreiche Spieler beim Afrika-Cup weilen, darunter auch mehrere Stammspieler. Geschäftsführer Simon Rolfes hat daher bereits im vergangenen Sommer mit großem Weitblick einen Kader zusammengebaut, der auf allen Positionen doppelt besetzt ist – und sich dabei unter anderem in Person von Stanisic bei den Bayern bedient.

Afrika-Cup und Asien-Meisterschaft: Dem FC Bayern fehlte im Sommer der Weitblick

Bayern hat mit Blick auf Afrika-Cup und Asien-Meisterschaft im Sommer keinen Weitblick bewiesen: An der Säbener Straße wird man sich mit einigem Zähneknirschen an den vergangenen Transfer-Sommer erinnern. Die Münchner müssen Anfang des kommenden Jahres ebenfalls auf Nationalspieler verzichten. Noussair Mazraoui wird mit Marokko ebenfalls am Afrika Cup teilnehmen, Min-jae mit Südkorea an der Asien-Meisterschaft. Eine Konstellation, die man im vergangenen Sommer offenkundig unterschätzt hat.

Die Personaldecke in der Abwehr wird also nochmal dünner, der Handlungsdruck auf dem Transfermarkt umso größer. Nicht nur deshalb dürfte es ein schwieriger Transfer-Winter für die Bayern werden – und ein teurer sowieso…

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