Trainer-Experte über Kompanys FC Bayern: "Alles hat seine Schattenseiten"
AZ: Herr Küchle, am Dienstag steht das Rückspiel gegen Leverkusen an. War das Hinspiel eine taktische Meisterleistung von Vincent Kompany?
ANSELM KÜCHLE: Klar ist, dass Leverkusen überhaupt nicht zu ihrem kontrollierten Ballbesitzfußball gefunden hat. Bedeutet: Die Bayern haben im Hinspiel einiges richtig gemacht. Sie haben gezeigt, was sie unter Kompany im Idealfall sehr gut können. Der Abstand zu den Linien hat gepasst und sie hatten hohen Druck auf den Ball. Vor allem in den zentralen Räumen haben sie Leverkusen enorm wenig Zeit gelassen, an den Ball zu kommen.
Es hat sich auch der Kontrast zum Spiel mit und ohne Stürmer, wie es Leverkusen gemacht hat, gezeigt. Wobei man sagen muss, dass Kane auch brutal gegen den Ball gearbeitet und sich den Ball in Räumen geholt hat, die man nicht von einem Stürmer erwartet. Was ich bei Leverkusen interessant fand, dass sie ungewöhnlich viele lange Bälle gespielt haben, obwohl die zwei Laternen Schick und Boniface nicht dabei waren. Dadurch konnten sie die Bälle dann auch nicht festmachen.
Die Kompany-Philosophie ist attraktiv, hat aber auch ihre Schattenseiten
Hat Kompany jetzt endlich das Rezept gefunden, um Xabi Alonso zu schlagen?
Alonso ist ein schlauer Trainer, der wieder Wege finden wird, seine Mannschaft umzustellen. Das hat das letzte Aufeinandertreffen in der Bundesliga gezeigt. Wer hätte gedacht, dass Leverkusen die Bayern so kontrolliert? Am Dienstag könnte Leverkusen also wieder einen Weg finden, um die Bayern zu entschlüsseln.

Wenn Sie sich die Bayern anschauen: Wo sehen Sie noch Nachholbedarf in der Taktik von Kompany?
Die Spielphilosophie von Kompany hat extreme Stärken und ist sehr attraktiv. Aber alles hat seine Schattenseiten. Die hohe Linie in der Abwehr hatte zum Beispiel zu Saisonbeginn den Nachteil, dass der Gegner offene Räume hatte. Das haben sie mittlerweile deutlich verbessert. Sie haben jetzt einen extrem hohen Druck zwischen den Ketten. In dieser Statistik ist Bayern in der Bundesliga Zweiter hinter dem FC St. Pauli. Auch deswegen haben sie es im Hinspiel geschafft, eine extreme Intensität auf den Ball zu haben.
Das ist der größte Unterschied zwischen Alonso und Kompany
Wenn man generell beide vergleicht: Wer ist für Sie der größere Trainerfuchs?
Alonso steht für taktische Kontrolle. Er ist auch als Typ jemand, der diese Sicherheit ausstrahlt. Er geht also nicht zu stark ins Risiko. Kompany ist hingegen als Person jemand, der Emotionen ausstrahlt. Er bevorzugt das intensive und schnelle Spiel mit Risiko. Das findet wohl ein Stück weit in England seine Gründe, weil dort viel über Intensität kommt. Alonso ist wiederum in Spanien geprägt worden, wo Ballbesitzfußball gespielt wird.
Zu einem erfolgreichen Trainer gehört auch sein Staff. Wie stark verlässt sich ein Alonso und ein Kompany auf die Co-Trainer und Analysten?
Man hat im Meisterjahr gesehen, dass Alonso seinen Staff in Szene setzt. Er hat ein enorm hohes Vertrauen zu den Personen und hat ganz genaue Verantwortlichkeiten aufgeteilt. Auch ist er sehr beliebt bei seinem Staff. Kompany ist ihm da sehr ähnlich.
Wirtz-Ausfall "wird jetzt die Denkaufgabe für Alonso"
Kommen wir zurück zum Spiel: Florian Wirtz wird ausfallen. Wie wird sich die Herangehensweise von Leverkusen dadurch verändern?
Es wird eine Überraschungskiste, wie Leverkusen die Situation löst. Wirtz war ein freies Radikal in der Mannschaft und der Schlüsselspieler. Natürlich kann keiner Wirtz 1:1 ersetzen. Das wird jetzt die Denkaufgabe für Alonso.
Was erwarten Sie taktisch für eine Herangehensweise von beiden Mannschaften?
Bayern wird sich nicht komplett hinten reinstellen. Das steckt nicht in der DNA. Aber sie werden versuchen, das Spiel zu kontrollieren und Leverkusen mit den schnellen Spitzen attackieren. Dementsprechend wird Kompany wohl als Marschroute vorgeben, die Linien eng zu halten und zweikampfstark zu spielen. Leverkusen hingegen wird schon mit der Aufstellung zeigen, dass sie Tore brauchen. Vielleicht spielen sie sogar mit Schick und Boniface. Wobei das in der Vergangenheit eher selten der Fall war. Aber Bayer braucht ein frühes 1:0, um noch eine Chance aufs Viertelfinale zu haben. Es wird also spannend, ob Alonso sein Sicherheitsspiel aufrechterhält. Immerhin braucht es ein gewisses Risiko. Damit wird also er ein Stück weit aus der Reserve gelockt, was er sicherlich nicht komfortabel findet. Dieser riskantere Weg hätte eher zu Kompany gepasst.