Tobias Rau im AZ-Interview: Im Profifußball schaut jeder nur auf sich

Tobias Rau (36) wechselte 2003 vom VfL Wolfsburg zum FC Bayern. 2005 ging er zu Arminia Bielefeld, er bestritt sieben A-Länderspiele, 2009 beendete er mit 27 Jahren seine Karriere. Heute unterrichtet er Sport und Biologie.
AZ: Herr Rau, wir haben gerade 14 Uhr mitten unter der Woche. Wie war's denn heute in der Schule? Was stand auf dem Lehrplan?
TOBIAS RAU: Gar nichts. Im Moment sind in NRW gerade Herbstferien. Aber vergangene Woche ging es in meinem Unterricht in Sport um das Thema Fitness und in Biologie um Gelenke und Muskeln. Liegt thematisch nah zusammen, da gibt es viele Geschichten, die ich erzählen kann.
Angesichts der vielen Verletzungen in Ihrer Karriere wohl aus leidvoller Erfahrung. Welche Klassen unterrichten Sie?
Ich bin Klassenleiter einer sechsten Klasse, unterrichte aber auch bis zur Oberstufe, elfte Klasse.
Tobias Rau: "Wehmut? Sehnsucht? Nullkommanull"
Wenn Sie an Ihre früheren Trainer denken, wem ähneln Sie als Lehrer am ehesten? Sind Sie ein Menschenversteher wie Hitzfeld oder mehr Schleifer wie Magath?
Das geht dann schon klar Richtung Ottmar Hitzfeld. Der war ja selbst mal Lehrer, das hat man auch gemerkt. Weil er viel Wert auf das Soziale und Zwischenmenschliche legte und eine Mannschaft mit natürlicher Autorität führen konnte. Da gibt es schon viel, was ich mitnehmen konnte. Natürlich hatte auch Felix Magath mit seiner Art viel Erfolg. Aber wenn es um die Gangart und die pädagogische Komponente geht, habe ich mir doch eher viel von Hitzfeld abgeschaut. Von Magath eher weniger. Er wird es mir verzeihen.
Sehnen Sie sich in manchen Momenten Ihres Lehreralltags nach dem Profifußball zurück?
Nein. Ich habe viele schöne Erinnerungen. Meister und Pokalsieger mit Bayern. Spiele in der Champions League und der Nationalmannschaft. Wunderbare Stadien wie Dortmund. Das sind Geschichten, die ich meinen Enkeln noch erzählen werde. Lauter Glücksgefühle, die ich in mir gespeichert habe. Aber Wehmut? Sehnsucht? Nullkommanull.
Tobias Rau: "War alles richtig so"
Sie sagten einmal, am schlimmsten sei der permanente Erfolgsdruck gewesen.
Das habe ich auch erst nach der Karriere gemerkt. Als ich spürte, was plötzlich alles von mir abfiel. Das war eine Riesen-Erleichterung. Dieser Druck ist eine Schattenseite, die in der Öffentlichkeit gerne ausgeklammert wird. Als Profifußballer hast du 1.000 Vorteile und Privilegien, aber gerade dieser Druck birgt das Risiko, dass man daran kaputtgehen und zerbrechen kann. Beispiele dafür gibt es ja genug.
Ihr früherer Mitspieler bei Bayern etwa, Sebastian Deisler, der unter schweren Depressionen litt. Zogen Sie mit 27 damals dann noch rechtzeitig die Bremse?
Es hieß ja gerne, ich hätte dem Druck nicht standgehalten. Letztlich war es so, dass für mich nach vielen Verletzungen mit 27 der perfekte Moment gekommen war, aufzuhören. Ich hätte noch 2. Liga spielen können, hatte Angebote aus Griechenland, aber dann wäre es für mein Lehramtsstudium vielleicht irgendwann zu spät gewesen. War alles richtig so.
Tobias Rau: "Ich kann mich nicht verbiegen"
Als Trainer, Sportdirektor oder einer anderen Funktion im Fußball zu bleiben, das war keine Option?
Nein. Ich fange ja gerade als sportlicher Berater im Aufsichtsrat meines Heimatvereins Eintracht Braunschweig an, das ist mehr eine Herzenssache. Das Tagesgeschäft wäre für mich aber undenkbar, da genieße ich viel zu sehr das Lehrerleben.
Auch weil es im Fußball zu eindimensional zugeht?
Eindimensional trifft es ganz gut. Dieses Miteinander, das Kooperative, das ist ja das Schöne an meinem Beruf. Dass man gemeinsam mit den Kollegen oder den Schülern etwas entwickelt. Im Profifußball bist du dagegen allein, und auch wenn es gern anders kommuniziert wird, schaut doch jeder nur auf sich. Und um Erfolg zu haben, musst du einfach knallhart sein.
Waren Sie dann zu weich, im Vergleich zu so egoistisch brachialen Alpha-Tieren wie Ihre früheren Kollegen Oliver Kahn und Michael Ballack?
Sicher, um im Profifußball den absoluten Erfolg zu haben, dafür fehlte mir wohl der Charakter. Ich hatte damals auch oft nachgedacht, ob ich mich da ändern soll, habe aber schnell gemerkt, dass das nicht funktioniert. Entweder man ist so oder nicht, aber ich kann mich nicht verbiegen. So ist es, Ende.
Tobias Rau: "Fußball ist nur eine Scheinwelt"
Freiburgs Stürmer Nils Petersen sagte jüngst, als Profi-Fußballer würde er "seit zehn Jahren verblöden", weil die Welt des Fußballs einfach eine wenig intellektuelle sei. Empfanden Sie das auch so?
Das sind harte Worte. Würde ich nicht so sagen. Wichtig ist, sich immer bewusst zu machen, dass man als Fußballprofi nicht in der Realität lebt, sondern nur in einer Scheinwelt. Und dass man darauf gefasst sein muss, nach der Karriere wieder in das reale Leben einzutauchen. Dass die Privilegien dann weg sind, man sich einreiht und nur noch einer von vielen ist und trotzdem glücklich damit ist. Ich hatte damals einen kometenhaften Aufstieg. Mit 19 in die Bundesliga, mit 21 in die Nationalmannschaft und zum FC Bayern. Und doch hatte ich immer mit dem Lehrerberuf Plan B im Hinterkopf, weil ich wusste, es kann schneller vorbei sein, als man denkt.
Wem drücken Sie eigentlich am Samstag die Daumen beim Duell Ihrer Ex-Klubs?
Normalerweise immer mehr den Wolfsburgern. Weil sie die Punkte meist besser gebrauchen konnten. In der prekären Situation für die Bayern hoffe ich aber fast auf einen Münchner Sieg. Damit sie sich wieder Sicherheit holen und aus der Bundesliga Selbstvertrauen für die Champions League holen. Denn Champions League ohne Bayern schauen, das macht keinen Spaß.
Müssen Sie in den Ferien jetzt noch viel vorbereiten für die Schule?
Ach, Kleinigkeiten, ansonsten genieße ich es. Und die Ferien tun gerade ganz gut, ich werde jetzt erstmals Vater, Geburtstermin ist in den nächsten Tagen. Glückwunsch. Was wird es? Ein Bub. Natürlich herrscht da bei uns jetzt große Aufregung und Vorfreude, das ist eben im Moment das zentrale Thema. Mehr als Schule, mehr als Fußball.