Titan-Hand Enke: Einer für Bayern
Für zumindest sieben Tage ist der Torwart aus Hannover Deutschlands Nummer 1. Bald könnte er’s auch in München werden – wenn Rensing sich in der Champions League nicht beweist.
LEIPZIG Vielleicht wollte der Reporter aus Liechtenstein den Mann auf dem Podium in der Sportschule Egidius-Braun auch nur ein wenig provozieren. Welche Spieler des Außenseiterteams aus dem Fürstentum er kenne, wurde Torhüter Robert Enke gefragt. Clever antwortete der 31-Jährige, man nehme jeden Gegner ernst – und werde noch ein Videostudium betreiben.
Aber Enke hatte noch einen. Er betonte, warum er - und nur er - für den Torhüterjob in diesem WM-Qualifikationsspiel am Samstag (20 Uhr, ZDF live) in Frage komme: „Ich bin der einzige Torwart, der es bisher geschafft hat, gegen Liechtenstein zu Null zu spielen“, sagte Enke. Ohne ihn hießen die Ergebnisse 9:1 und 8:2, mit ihm gab es im September 2008 ein 6:0. Also schlussfolgerte er: „Insofern bin ich genau der richtige Mann für dieses Spiel." Enke hatte die Lacher auf seiner Seite.
Dieses Argument wird es nicht gewesen sein, dass Bundestrainer Joachim Löw dazu bewogen hat, Enke und nicht Tim Wiese anstelle des angeschlagenen René Adler (Bluterguss im Ellbogen) zur Nr. 1 zu befördern. „Wir haben volles Vertrauen zu Robert", sagt Torwarttrainer Andreas Köpke. Somit wird Enke, bis dato, vier Länderspiele und bei der EM Vize-Keeper hinter Jens Lehmann, zur Sieben-Tage-Eins. Inklusive des Wales-Länderspiels am Mittwoch. Der Kampf um den Stammplatz im Tor ist offen und bleibt offen, möglicherweise bis zum Winter vor der WM 2010 in Südafrika.
Adler, Wiese, Enke oder Manuel Neuer? Zusammen hat das Quartett gerade mal zehn Länderspiele. Herzlich wenig Erfahrung. Da kann man ja auf so manchen Gedanken kommen. Jens Lehmann (61 DFB-Einsätze), nach der EM zurückgetreten, spielt angeblich mit dem Gedanken, sich für ein Comeback anzubieten. Bei der WM wäre er rüstige 40. Doch die DFB-Tür ist zu. Köpke: „Fakt ist, dass wir uns in dieser Richtung gar keine Gedanken gemacht haben und das auch nicht machen werden.“
Enke also ist derzeit im Vorteil. Wenn er nicht einen Nachteil hätte: Er hält bei Hannover 96. Okay, er bekommt viel aufs Tor bei dieser Abwehr. Doch ist ein Abstiegskampf-Keeper gut genug für eine WM? „Wenn es um Argumente gegen mich geht, war immer nur von meinem Arbeitgeber die Rede", sagte Enke, „nicht von meiner Leistung. Also kann ich nicht viel falsch gemacht haben.“ Mit einem Vereinswechsel vor der WM aber könnte er einiges richtig machen. „Ich werde sehen, was passiert, habe noch ein Jahr Vertrag", sagte Enke.
Ein Wechsel könnte der richtige Karriereschritt sein. Und womöglich reift derzeit beim FC Bayern die Erkenntnis, dass Michael Rensing als Kahn-Nachfolger überfordert ist. Gibt es Zweifel? „Zweifel eigentlich nicht, aber wir schauen uns die ganze Saison an", sagte Uli Hoeneß in „Bild". Ein uneingeschränktes Lob und Versprechen für die Zukunft klingt anders. Hoeneß macht Rensing Druck: „In Barcelona werden wir gut unter Druck stehen. Da kann sich Michael richtig beweisen.“ Und Enke in den nächsten Länderspielen. Die bestreitet er nach einem Kahnbeinbruch im Oktober mit einer Titan-Schraube im linken Handgelenk. 3,5 Zentimeter lang, 0,3 Zentimeter dick. Enke, der mit der Titan-Hand. Wird er womöglich Titan II in München? Es liegt an Rensing.
Patrick Strasser