Letzte Aussprache ging schief: Wie Tuchel seine Gunst bei FC-Bayern-Führungsspielern verspielte

München - Nicht einmal elf Monate ist es her, dass Thomas Tuchel bei seiner Vorstellung an der Säbener Straße davon sprach, dass er sich in den FC Bayern "schockverliebt" hätte. Eine ähnlich schwärmerische Liebesbekundung würde dem 50-Jährigen heute sicher nicht mehr über die Lippen kommen. Denn neben zahlreichen weiteren Problemen ist Tuchel in München auch an den persönlichen Differenzen mit einigen seiner Führungsspieler gescheitert – allen voran Joshua Kimmich (29).
Die Kimmich-Explosion in den Katakomben des Bochumer Ruhrstadions, als er sich lautstark mit Tuchels Co-Trainer Zsolt Löw zoffte, war nur der finale Höhepunkt einer monatelangen Negativentwicklung im Binnenverhältnis zwischen Tuchel und seinem Sechser, die bereits im vergangenen Sommer begonnen hatte. "Das muss mir einer von euch mal erklären", hatte Kimmich laut "Sport Bild" in Bochum gefordert. Bayerns Sechser war sichtlich erbost über seine frühe Auswechslung im Spiel. Auch eine Aussprache zwischen Tuchel und Kimmich am vergangenen Montag konnte die angespannte Atmosphäre angeblich nicht verbessern.
Thomas Tuchel stellte die Qualitäten von Joshua Kimmich als Abräumer öffentlich in Frage
Dazu schwelt der Konflikt wohl schon zu lange zwischen den beiden. Während der Vorbereitung hatte Tuchel Kimmich und dessen Qualitäten als Abräumer vor der Abwehr öffentlich in Frage gestellt, als er seinem Mittelfeld-Chef die Qualität zur "holding six" absprach und stattdessen bei den Bossen vehement eine Verstärkung für diese Position forderte. Die aber kam nicht.
Wunschspieler Deaclan Rice wechselte lieber für 126 Millionen Euro von West Ham United zum FC Arsenal, der bayerische Transferausschuss macht sich zudem mit dem geplatzten Last-Minute-Wechsel von Joao Palhinha vom FC Fulham zum Gespött. Dass der Premier-League-Klub nun bereit ist, den Portugiesen für den richtigen Preis zu verkaufen, wie Vize-Boss Tony Khan gegenüber "talkSPORT" bestätigte, ist eine Ironie des Schicksals.
Ob die Bayern-Verantwortlichen nach dem Abschied von Tuchel bei Palhinha im Sommer einen neuen Anlauf unternehmen, ist zumindest fraglich.
FC Bayern: Auch Leon Goretzka, Serge Gnabry und Matthijs de Ligt zählen zu den Gewinnern
Vor diesem Hintergrund zählen Kimmich, aber auch prominente Kollegen wie Leon Goretzka (29) und Serge Gnabry (28) und Matthijs de Ligt (24) womöglich zu den Gewinnern dieser Entwicklung.
Goretzka war wie Kimmich ("Wenig Herz, wenig Liebe") ein Kritiker der Entlassung von Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann und hatte in den vergangenen Monaten immer wieder einen schweren Stand beim Trainer. Sogar über einen Verkauf des 29-Jährigen war letzten Sommer intern bei Bayern diskutiert worden.
Bosse um kommenden Sportvorstand Max Eberl werden FC-Bayern-Stars genau beobachten
Auch de Ligt, der von Ex-Sportvorstand Hasan Salihamidzic für rund 67 Millionen Euro von Juventus Turin als künftiger Abwehrchef geholt worden war, ist unter Tuchel bislang nicht gesetzt. Der Bayern-Trainer sieht beim Niederländer unter anderem Schwächen in der Spieleröffnung.
Aber: Trotz des Tuchel-Abschieds im Sommer werden die Bayern-Bosse nach AZ-Informationen die Entwicklung von Kimmich und Co. in den kommenden Wochen genau beobachten. Gehen Sie jetzt als Leader voran – oder tauchen sie ab? Es ist eine Bewährungschance, vielleicht die letzte. Vor allem der neue Sportvorstand Max Eberl, der am 1. März seinen Job in München antreten soll, wird hier massiv gefordert sein.
Der 50-Jährige muss zusammen mit Sportdirektor Christoph Freund bewerten, ob ein größerer Umbruch der zuletzt leblosen Mannschaft im Sommer nötig ist, oder die zuletzt so gehemmten Leistungsträger ohne Tuchel wieder zu alter Führungsstärke zurückfinden. Was allerdings auch schon bei den Tuchel-Vorgängern Nagelsmann und Hansi Flick sowie in der deutschen Nationalmannschaft viel zu selten der Fall war. Eine echte Mammutaufgabe also für Neu-Boss Eberl – besonders wenn man gleichzeitig noch einen passenden Trainer finden muss.