Thomas Müller: Der Leuchtturm des FC Bayern
Athen - Die Bayern-Verantwortlichen stehen auf Symbolik. Und wenn man nach langer Zeit, nach genau 35 Jahren, wieder in Athen ist, braucht es ein Champions-League-würdiges Ambiente für die After-Work-Party nach getaner Arbeit, dem 3:0 über Olympiakos Piräus. Also rauf auf eine Dachterrasse, den Himmel über Athen als Deko gibt’s gratis. Als Blickfänger inklusive: Das Wahrzeichen der Stadt, diese unwirklich wie auf einem Podest inmitten des Häusermeeres thronende berühmteste Baustelle der Welt, die Akropolis.
Im Open-Air-Bereich des Hotels „Intercontinental Athenaeum“ war ein Tisch für die Mannschaft aufgebaut, man servierte Pasta und Salat, flambierte Shrimps und gegrillten Zackenbarsch. „Traumhaft“, sei es, das angestrahlte Wahrzeichen Athens, sagte Thomas Müller, der aktuelle Leuchtturm des FC Bayern. Der 26-Jährige wurde zum Helden des Abends, wieder einmal.
Müller ist zwar in ein theoretisches, taktisches Konstrukt zu pressen, aber über seine Leistungen kann man keine Schablone legen. Weil er eben meist nicht weiß, was er gleich macht. Weil der Ball ihm nicht gehorcht. Wenn Müller, wie am Mittwochabend in jener 52. Minute, etwas misslingt, ist der Ball drin. Rechte Außenbahn, 33 Meter zum Tor. Müller, so schilderte er später den Tathergang, will eine „sehr scharfe Flanke“ auf Robert Lewandowski schlagen. Richtung Fünfmeterraum. Denkste. Die Kugel rutscht ihm leicht ab. Bogenlampe. Traumtor. 1:0. Kein Kunst-, eher ein Krempelschuss. Ob der mystischen Flugkurve lacht sich Müller im Kreise der Kollegen scheckig, als habe er auf dem Schulhof einen Treffer erzielt, weil sein Ball vom Hinterkopf des Direktors an den Innenpfosten klatschte.
Seit Wochen sieht Müllers Spiel aus wie Jux und Dollerei. Kindisch einfach. Elf Tore in den vergangenen sieben Pflichtspielen für die Bayern und die Nationalelf. Nummer elf war wie beim 2:1 am Samstag gegen den FC Augsburg ein Elfmeter, die Müller stets mit akkurat einstudiertem Bewegungsablauf schießt. Doch, doch, Müller kann auch nach Plan arbeiten. Das 1:0 kommentierte Müller ehrlich. Er habe dem Ball „staunend hinterhergeschaut“, sagte er und fügte grinsend hinzu: „Ich weiß nicht, ob ich einen Pakt mit der griechischen Glücksgöttin geschlossen habe.“ Mit Tyche also. FC Tyche Müller. Doch meist ist der Mann so gut, dass aus dem Scherz- kein Glückskeks werden muss.
„Phänomene“ wie Müller könne man nicht erklären, meinte Sportvorstand Matthias Sammer, „er ist so gut, da gibt’s keine Worte.“ Müller gönnte sich zur Feier des Tages auf dem Bankett eine Crème Brûlée mit Baileys, ehe er um 1.45 Uhr als einer der letzten Spieler Richtung Zimmer entschwand.
30 Champions-League-Tore hat Müller nun, ist deutscher Rekordschütze, hat den Ex-Bayern Roy Makaay (29) übertroffen und die beiden Herren Eto’o sowie Kaká eingeholt. „Er scored unglaublich – und das nicht nur in dieser Saison, sondern über Jahre, ob in der Nationalmannschaft oder beim FC Bayern“, lobte Kapitän Philipp Lahm. Die Tore, all das Lob – Müller federt es locker ab. „Das tut gut, aber man muss ja trotzdem weitermachen“, sagt er und fügt nonchalant hinzu: „Wenn’s läuft, läuft’s.“ Oder auch: Wenn’s müllert, müllert’s.