Thomas Helmer über den Neuanfang beim FC Bayern mit Jupp Heynckes - "Die Euphorie wird vieles zum Guten wenden"
München - Der Europameister von 1996 war zwei Jahre lang Kapitän beim FC Bayern, holte drei Mal die Meisterschaft. Seit knapp zwei Jahren moderiert der 52-Jährige jeden Sonntag den "Doppelpass" auf Sport 1.
AZ: Herr Helmer, der FC Bayern hat in der Bundesliga schon fünf Punkte Rückstand auf Borussia Dortmund. Ist der BVB jetzt eigentlich Favorit auf die Meisterschaft?
THOMAS HELMER: Wir haben erst sieben Spiele in der Liga hinter uns. Generell hören sich fünf Punkte Vorsprung auf den FC Bayern ungewohnt an. In den vergangenen Jahren war es ja umgekehrt, alle sind den Bayern hinterhergehechelt. Es ist zu früh, um eine Prognose abzugeben.
Wenn man die Dortmunder Leistung sieht, ist allerdings nicht von einem Einbruch auszugehen.
Für Dortmund kommen jetzt die schwierigen Spiele. Damit will ich die ersten Partien nicht schlechtreden, da hat der BVB teilweise sehr souverän gewonnen. Aber an diesem Samstag wartet mit Leipzig der erste Kracher, dann geht es Anfang November gegen die Bayern, das Derby gegen Schalke haben die Dortmunder auch noch. Das werden anspruchsvolle Aufgaben.
Also doch Bayern als Meisterschaftsfavorit?
Ich glaube, es wird vielleicht nicht so dominant wie in den letzten fünf Jahren, aber auf Sicht sehe ich Bayern vorne. Gerade in der jetzigen Konstellation sind sie brandgefährlich.
Sie meinen den Trainerwechsel von Carlo Ancelotti zu Jupp Heynckes. Wie schwierig wird die Mission für den neuen Coach?
Es wirkt so, als wäre die Situation aktuell kompliziert, schwieriger als in der Triple-Saison 2012/13. Ich habe es schon letztes Jahr gesagt: Die Bayern müssten jetzt eigentlich mal versuchen, den Umbruch einzuleiten. Für mich ist das bislang nicht so ganz geglückt, nur teilweise.
Klar ist es schwer, wenn Spieler wie Philipp Lahm und Xabi Alonso aufhören, zwei Topspieler und Persönlichkeiten. Das dauert einfach. Ich finde, dass Joshua Kimmich es leistungsmäßig bisher sehr gut macht. Dafür sind andere nicht mehr auf dem Niveau, auf dem sie unter Heynckes 2013 waren.
Thomas Müller etwa oder Jérôme Boateng. Könnten sie nun besonders vom Trainerwechsel profitieren?
Ja, bestimmt. Jérôme war einfach nicht richtig fit in den vergangenen Monaten. Man erwartet von ihm als Weltmeister sofort wieder Topleistungen, aber das konnte er gar nicht leisten. Jérôme muss langsam wieder herangeführt werden, konstant spielen, dann wird er seine Topform erreichen. Er ist ein Spieler, der die 100-prozentige Fitness braucht.
Und Müller?
Es ist bei ihm genauso. Müller braucht ein paar Erfolgserlebnisse. Ich hoffe, dass er die unter Heynckes bekommt.
Müller und Boateng gehören zu den Führungsspielern im Team. Heynckes hat betont, dass er wieder eine funktionierende Hierarchie herstellen will. Ist das der wichtigste Punkt?
Wenn Jupp das schon so sagt, hat er sofort erkannt, dass ein Defizit vorhanden ist. In einer Mannschaft braucht man Führungsspieler und eine Achse, sonst funktioniert es nicht. Ich bin sicher, dass Jupp bestimmte Vorstellungen hat, wen er dafür auswählt.
Es wird erwartet, dass Javi Martínez auf die Sechserposition zurückkehrt.
Martínez hat es in der Innenverteidigung gut gemacht – und im Mittelfeld gibt es große Konkurrenz. Bayern hat Corentin Tolisso für viel Geld geholt, es gibt noch Arturo Vidal, der allerdings angeschlagen ist, Sebastian Rudy, der in der Nationalmannschaft sehr gut gespielt hat, außerdem Thiago. Aber wahrscheinlich ist es schon, dass Jupp Martínez auf dieser Position spielen lässt. Im Triple-Jahr hat es super funktioniert.
Halten Sie einen solchen Dreifach-Triumph in dieser Saison wieder für möglich?
Ich weiß, dass alle vom Triple träumen. Es wird aber ganz, ganz schwer. Allein schon das Pokalspiel in Leipzig wird keine leichte Aufgabe. Dass die Bayern in der Champions League weit kommen, steht für mich außer Frage. Ich glaube, dass die Euphorie um den Sympathieträger Jupp Heynckes vieles noch zum Guten wenden kann. Fürs Triple müssen alle Stars fit sein – und man braucht Glück.
Im Sommer soll für Heynckes wieder Schluss sein. Wer ist Ihr Favorit als Nachfolger? Julian Nagelsmann?
So eindeutig sehe ich das mit Nagelsmann und den Bayern nicht. Hoffenheim erlebt gerade ein relativ kompliziertes Jahr, die Mannschaft hat mit Rudy und Niklas Süle zwei wichtige Spieler verloren, in der Europa League läuft es nicht besonders, in der Bundesliga ist es so okay.
Nagelsmann muss zum ersten Mal eine schwierige Situation bewältigen. Da werden auch die Bayern genauer hinschauen. Es kommen sicher auch andere Trainer in Frage.
Und welche?
Man muss abwarten, ob der Bundestrainer (Joachim Löw, d.Red.) nach der WM aufhört. Das wäre schon ein Hammer. Ich würde Jürgen Klopp nicht außer Acht lassen, wobei ich nicht weiß, ob er das will. Ich kann mir gut vorstellen, dass er mit den Bayern-Bossen harmonieren würde. Jürgen hat so viel Erfahrung, und er könnte medial viel übernehmen. Er weiß, wie das funktioniert, kennt die Erwartungshaltung. Ich könnte mir Klopp bei Bayern gut vorstellen.
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