Thomas Helmer: "Hernández ist für mich kein Bayern-Abwehrchef"
München - AZ-Interview mit Thomas Helmer: Der 56-Jährige spielte von 1992 bis 1999 beim FC Bayern. Aktuell arbeitet er für Sport1 und moderiert am 6. April den Fantalk zum Bayern-Spiel bei Villarreal.
AZ: Herr Helmer, der FC Bayern geht mit einem Sechs-Punkte-Vorsprung in die Länderspielpause. Ist die Meisterschaft damit bereits vor dem direkten Duell mit Dortmund im April entschieden?
THOMAS HELMER: Ich wüsste kaum jemanden, der dagegen wetten würde. Selbst, wenn Dortmund in München gewinnen sollte, glaube ich trotzdem, dass Bayern das jetzt nach Hause schaukelt.

Helmer kann Nianzou noch nicht "ganz einschätzen"
Bayern hatte zuletzt einige Ausfälle in der Defensive zu verkraften. Welchen Eindruck hat die Abwehr beim 4:0 gegen Union Berlin auf Sie gemacht?
Sie mussten sich ein bisschen finden. Dass sie zu Null gespielt haben, ist ja aber schon mal gut und bemerkenswert. Nianzou hat das echt gut gemacht. Alle sagen ja, dass er ein Superspieler und ein Riesentalent ist. Ich kann ihn noch nicht ganz einschätzen, weil wir ihn bisher noch zu wenig gesehen haben. Mit 19 bei Bayern zu spielen, ist nicht selbstverständlich. Er hatte viele Probleme mit Verletzungen. Deshalb war das für ihn jetzt mal ein guter Schritt.
Könnte der nächste sinnvolle Schritt eine Ausleihe sein? Auch David Alaba hat sich ja zum Beispiel über diesen Weg einst in Hoffenheim zum Bayern-Spieler weiterentwickelt.
Für einen jungen Spieler ist es immer wichtig, viel und ständig zu spielen. Damit wächst man. Vielleicht auch bei einem Verein, der nicht unbedingt Champions League spielt, aber in der Bundesliga. Alaba ist da das perfekte Beispiel, das war genau der richtige Weg.
Upamecano: "Überragendes Potenzial"
Wie sehen Sie Dayot Upamecano, der für 42,5 Millionen Euro aus Leipzig geholt wurde?
Vom Potenzial her finde ich ihn überragend. Er bringt alles mit für einen perfekten Innenverteidiger: Physis, Schnelligkeit, kann einen guten Ball spielen. Er hat jetzt aber auch gemerkt, dass er nicht mehr in Leipzig, sondern bei den Bayern ist. Da ist die Konkurrenz größer, die Anforderungen sind andere. Vielleicht fehlt ihm auch Konaté, den er als Partner in Leipzig hatte. Aber den muss man hinkriegen. Ich glaube nach wie vor, dass er ein richtig guter Spieler ist.
Der in der neuen Saison sein Potenzial auch abrufen wird?
Das ist auch die Aufgabe von Julian Nagelsmann, der ihn ja kennt. Wenn der ihn nicht hinbekommt, weiß ich auch nicht. Man muss sagen, dass es in dieser Saison noch überhaupt nicht funktioniert hat. Ich habe aber schon große Hoffnung, dass es mit Upamecano irgendwann klappen wird.
Kritik an Lucas Hernández
Lucas Hernández kostete 2019 sogar 80 Millionen. Kann er die Rolle des Abwehrchefs bei Bayern übernehmen?
Da bin ich sehr skeptisch. Mir gefällt sein Spiel manchmal nicht so. Den Gegner zu provozieren, mag vielleicht mal richtig sein. Er macht aber auch solche versteckte Fouls. Ich bin bisher kein Fan von ihm. Irgendwas fehlt da. Für mich ist er nicht der Abwehrchef bei Bayern München.
Niklas Süle geht im Sommer ablösefrei nach Dortmund. Nagelsmann hat nun Verstärkung angekündigt. Die braucht es auch, oder?
Wie ich gelesen habe, soll mit Ryan Gravenberch ja erst mal jemand für Corentin Tolisso (Vertrag läuft im Sommer aus; d. Red.) kommen. Das finde ich richtig, denn das Abwehrspiel betrifft ja nicht nur die Viererkette, sondern auch das defensive Mittelfeld. Da braucht Bayern ganz sicher Verstärkung. Und die Jungs, die bei Ajax ausgebildet werden, sind fast alle top. Ansonsten hat Julian das ja nicht umsonst angesprochen. Er sieht auch, wo die Defizite sind. Diese vielen Gegentore sind schon problematisch. Das geht vor allem international dann irgendwann nicht mehr. Villarreal ist da jetzt wieder ein schönes Champions-League-Los. Die sind zwar unangenehm und nicht umsonst Europa-League-Sieger, aber das muss Bayern natürlich schaffen. Dann möglicherweise Liverpool im Halbfinale. Das wäre für uns alle eine gute Sache und wir hätten den nächsten schönen Fantalk (lacht).
Matthias Ginter, der im Sommer ablösefrei wechseln kann, wird in München gehandelt. Wäre er ein sinnvoller Transfer oder muss Bayern da noch eine Kategorie höher gehen?
Bayern muss auch aus finanziellen Gründen schauen, wen sie holen können und wen nicht. Ich glaube nicht, dass sie heutzutage noch mal 80 Millionen für einen Spieler wie Hernández ausgeben würden. Matthias Ginter ist ein richtig guter Spieler, zuverlässig, solide. Er bringt schon viel mit auch von der Mentalität her. Für mich ist er aber nicht der überragende Abwehrspieler und ich weiß nicht, ob er ein typischer Spieler für Bayern ist.
Die Unverzichtbaren
Robert Lewandowski ist das definitiv längst.
Ja. Er ist unverzichtbar für Bayern. Das gilt aber auch für Manuel Neuer und Thomas Müller. Wenn da einer mal aufhören sollte, wird es schwer, die zu ersetzen. Die drei sind nach wie vor mit die wichtigsten Spieler bei Bayern. Das sind die Säulen, die in der Mannschaft die Dinge vorgeben, auch außerhalb. Da sehe ich sonst wenige. Kimmich kommt langsam in die Rolle rein, Goretzka könnte da auch reinwachsen.
Warum hakt es dann bislang noch bei der Verlängerung der nur noch bis 2023 gültigen Verträge mit Müller (32), Neuer (35) und speziell Lewandowski (33), der sagte, dass noch kein Verantwortlicher mit ihm gesprochen habe.
Es wäre schwierig, falls man aufs Fußballeralter schielt. Wenn man so fit ist wie er, gibt's nichts zu meckern. Ich glaube schon, dass er gerne in München bleiben möchte und nicht unbedingt noch einmal etwas anderes machen möchte - außer vielleicht in den USA oder so. Wenn es ums Geld gehen würde, würde es mich sehr wundern. Natürlich kann Bayern ihm nicht noch mal das Gehalt erhöhen. Aber das würde ihm auch nicht so wehtun. Er weiß schon, was er am FC Bayern hat. Ich fände es schade für beide Seiten, wenn es wirklich nicht funktionieren würde.
Wäre ein Verkauf im Sommer ein realistisches Szenario für Sie, falls man sich bis dahin tatsächlich nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen kann?
Das würde ich nie machen und ist für mich eigentlich nicht vorstellbar. Selbst mit dem Risiko, dass er dann vielleicht ablösefrei gehen könnte. Das hätte er sich dann auch verdient - mit dem, was er für den Verein getan hat. Er hat in den letzten acht Jahren immer Leistung gebracht, Vereinstreue bewiesen und sich zu Bayern bekannt.