Thiago, der Last-Minute-Akrobat
Thiago wunderbarer Seitfallzieher in der Nachspielzeit zum 2:1 sichert dem FC Bayern München beim VfB Stuttgart einen 13-Punkte-Vorsprung.
Stuttgart - Als Manuel Gräfe kräftig in sein Arbeitsutensil bläst, gibt’s für Manuel Neuer kein Halten mehr. Als ob der FC Bayern gerade die Meisterschaft gewonnen hat, rennt der Torwart aus seinem Kasten und findet sich alsbald auf den Knien in einer Jubeltraube mit Matchwinner Thiago und Rafinha wieder.
Auch auf der Bayern-Bank direkt nach Abpfiff: Ekstase pur. Das komplette Personal springt auf, umringt Trainer Pep Guardiola, der es gar nicht fassen kann.
Es war "nur" ein 2:1-Sieg im Nachholspiel des 17. Spieltags beim VfB Stuttgart. Aber dennoch einer der emotionalsten Siege unter Guardiola. „Wir haben uns für die harte Arbeit belohnt“, meinte Thiago, der den Sieg mit einem supersuper-Seitfallzieher (90.+3) möglich gemacht hatte – sein erstes Bundesligator, gleich eine Bewerbung ums Tor des Monats.
"Ich bin froh, dass ich so ein wunderschönes Tor erzielt habe", sagte er zufrieden. "Man merkt, dass er alles am Ball kann", sagte Neuer.
Zuvor hatte es jedoch lange nach Bayerns erster Saisonniederlage ausgesehen. Nach einem Ende der Serie von jetzt 43 ungeschlagenen Liga-Spielen, gar nach einem Ende der eingebauten Torgarantie, seit 54 Partien hat Bayern jetzt immer getroffen.
Die erste Halbzeit aus Bayern-Sicht: grausamst. Ganz so, als hätten die Spieler Guardiolas Satz „Das wird ein guter Test für uns“ für bare Münze genommen – ans 0:3 beim Testspiel in Salzburg sei erinnert. Außer einer Chance von Xherdan Shaqiri (11.) und einem ansehnlichen Volleyschuss von Thiago (40.) war da nichts.
Dafür schwammen die Bayern hinten. Erst schoss VfB-Youngster Timo Werner drüber (8.), dann sprang Rafinha der Ball im Strafraum an den Arm (12.) – da wurde auch schon Elfmeter gepfiffen. Die Quittung in der 29. Minute: Von Werner ausgelöst, flipperte die Kugel über den im Abseits postierten Mohammed Abdellaoue zu Vedad Ibisevic, der ungeniert zum 1:0 einschoss.
"Jeder Gegner will der erste sein, der uns schlägt", analysierte Kapitän Philipp Lahm. "Wir waren nicht so konsequent wie sonst, haben uns ein bisschen schwer getan."
Das Chancenplus für Stuttgart änderte sich erst, als Guardiola, der erstmals dieselbe Elf wie im Spiel zuvor aufgeboten hatte, wechselte, seinen zuletzt verschmähten Stürmer Mario Mandzukic mit Claudio Pizarro im Doppelpack brachte (59.). Plötzlich ergaben sich Chancen in Hülle und Fülle. Pizarro (61.), Thiago (71.) und Thomas Müller (74.) scheiterten zunächst an VfB-Torwart Sven Ulreich.
Bis es Thiago zu bunt wurde: Erst schnippelte der 25-Millionen-Euro-Mann einen Freistoß auf Pizarros Kopf (1:1, 76. – schon Bayerns achtes Jokertor), eher er sich dann selbst in die Luft schraubte, ja quer legte, und in der Nachspielzeit nach einer Rafinha-Flanke wunderschön zum Sieg einschoss.
"So ein 2:1 in letzter Minute kannst du nicht mit einem 4:0 vergleichen", erklärte Thomas Müller den Jubel nach Abpfiff, "das ist von den Hormonen her ein ganz anderes Erlebnis. Deswegen haben wir uns wie die kleinen Kinder gefreut."
Lesen Sie hier: Dantes Souvenir: ein Veilchen
Lahm, bezeichnete den Sieg als "definitiv glücklich". Guardiola meinte: "Es war ein wichtiger Sieg, wir haben den Vorsprung vergrößert. Wenn alle meinen, wir seien schon Meister, ist es schwierig, hochkonzentriert zu bleiben."
In der Tabelle ist nun alles in der Reihe, was durch die Klub-WM durcheinander gebracht worden war. 13 Punkte beträgt nun Vorsprung auf Leverkusen – das gab’s nach 18 Spielen ebenso noch nie wie die erreichten 50 Punkte. Meister im März: gut möglich.
Das musste auch BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke einsehen, der in Stuttgart weilte – und Bayerns ersten Last-Minute-Sieg seit dem Champions-League-Finale erneut live erlebte.