Tatort Camp Nou: Das Bayern-Waterloo

BARCELONA - Der AZ-Reporter erinnert sich an das „Waterloo von Barcelona“, das Champions League-Finale 1999. „So etwas hat es nie wieder gegeben!“
Abfahrt Hauptbahnhof, quer durch Frankreich mit Ziel Barcelona. 18 Stunden. Einfach. Doch was tut man nicht alles als Fan, der ein großes Spiel erleben will und sich Karten sichern konnte. Per Sonderzug, gechartert von einer Fanklubvereinigung, ging es am Dienstag, den 25. Mai 1999 los. Zum Champions-League-Finale des FC Bayern gegen Manchester United. Meine längste Zugfahrt, mit damals 24 war mir als Student der Flug zu teuer. 18 Stunden für 90 Minuten – und am Ende folgte der Sekundentod der Nachspielzeit. 1:2.
Am Dienstag ging es per Flieger nach Barcelona, diesmal als AZ-Reporter, in der Maschine mit dem Team. Das Champions-League-Viertelfinale ist der erste Pflichtspielauftritt im Camp Nou seit 1999. Doch kein Spieler war an Bord, der das Finale 1999 miterlebt hatte. Der letzte Aktive, der seine Karriere im Bayern-Trikot mit Barcelona-Erfahrung beendet hatte, war Oliver Kahn. Ein Anruf am Montag. Ein lockerer Witz zum Einstieg des Gesprächs: Na, noch Erinnerungen an euer großes Spiel? Die Antwort kommt mürrisch: „Ach, das ist doch schon Lichtjahre her. Was bleibt, ist: Schlimmer kann man ein Spiel nicht verlieren als wir damals.“
Vergangenheitsbewältigung. Jeder geht anders damit um. Das Patentrezept der Beteiligten aber wohl ist: Vergessen. Anruf bei Mehmet Scholl, der damals nach 71 Minuten eingewechselt wurde und beim Stand von 1:0 per Lupfer die Latte traf. Er will lieber gar nicht erst sprechen. „Vergangenes ist vergangen“, sagt Scholl, „Hör mir auf, das habe ich aus meinem Gedächtnis gestrichen!“
Die machen sich’s leicht. Welcher der über 30000 Fans, die im Stadion waren. kann das schon? Nicht mal Franz Beckenbauer. „Dieses Spiel war brutal. So etwas hat es nie wieder gegeben. Der Johansson von der Uefa saß neben mir, hat mir nach 90 Minuten gratuliert, da stand’s 1:0 und er verließ seinen Platz, um zur Siegerehrung zu gehen. Als er mit dem Fahrstuhl unten ankam, stand es 2:1 für ManU“, sagte der Präsident der AZ.
Diese Bilder! Immer wieder hat man diese Bilder im Kopf wie Kahn am Boden kauert, Kuffour mit den Fäusten im Weinkrampf auf den Boden trommelt. Auf der Tribüne war nur noch Schweigen. Entsetzen. Noch nie sah ich so viele erwachsene Menschen, die in Tränen ausbrachen. Ohne Worte. Zum Heulen. Zurück zum Parkplatz, zurück zu den Bussen, die die Fans zum Bahnhof brachten. Wieder 18 Stunden Zugfahrt.
Barcelona, die Zweite. Ein mulmiges Gefühl, wieder im Camp Nou zu sein. Uli Hoeneß blickt auf die 98000 Sitzschalen, begutachtet die Trainerbank von damals – gedankenverloren. Ich blicke auf den Mittelrang hinterm Tor von damals. Zurück am Tatort.
Barcelona, die Stadt ist zum Synonym geworden für einen nie dagewesenen Schock. Barcelona ist gleich Waterloo. Das Stadion, dieses Spiel. Nicht die Stadt. „Ich war schon oft wieder dort“, meinte Beckenbauer, „das ist ja kein Ort, an dem man einfach so vorbeifliegt.“ Und ich? Habe dort meinen 30. Geburtstag gefeiert. Ohne böse Überraschungen.
Patrick Strasser