Stottern? „Ich sage: Du bist der Hamit, es gehört zu dir“

Bayern-Star Altintop spricht über den Kampf gegen seine Sprachstörung und erklärt, warumes eine Stärke ist, Schwächen zuzugeben. Angst hat er aber nicht, auch nicht um den Stammplatz.
von  Abendzeitung
Wird nicht mit nach Stuttgart reisen: Hamit Altintop
Wird nicht mit nach Stuttgart reisen: Hamit Altintop © Perenyi/Augenklick

Bayern-Star Altintop spricht über den Kampf gegen seine Sprachstörung und erklärt, warumes eine Stärke ist, Schwächen zuzugeben. Angst hat er aber nicht, auch nicht um den Stammplatz.

AZ: Herr Altintop, am Sonntag spielt der FC Bayern gegen den 1. FC Nürnberg. Es gibt nun zwei Probleme. Erstens: Der Club steht in der Tabelle vor den Bayern. Zweitens: Die Frankfurter Eintracht mit Ihrem Zwillingsbruder Halil ebenso. Und nun?

HAMIT ALTINTOP: Ich Freude mich sehr für Halil. Wir haben neulich noch drüber gesprochen. Die Frankfurter haben eine gute Mischung in der Mannschaft. Einen erfahrenen Torhüter, einige Arbeiter, technisch starke Spieler und einen Knipser mit Gekas.

Und das Hoch der Nürnberger? Bedrohlich?

Die haben die letzten Spiele alle gewonnen. Ich bin ja schon eine Zeit lang in München, ich weiß, wie die Fans über diese Rivalität denken. Wir wollen am Sonntag mit mehr Galligkeit als zuletzt beim 3:3 in Gladbach gewinnen. Alles andere als ein Sieg wäre eine Enttäuschung.

Im Training ist es diese Woche an der Säbener Straße recht ruppig zur Sache gegangen. Spieler wie van Bommel, Ribéry, Breno und Contento drängen zurück in die Startformation. Der Druck wächst, es geht um Stammplätze, Hierarchien, Prämien.

Jeder, der bei Bayern spielt, ist selbstkritisch und setzt sich unter Druck. Da ist jeder ein Siegertyp und will das Beste auf dem Platz bringen. Daher ist Konkurrenzkampf immer positiv. Als Profifußballer ist man dazu erzogen worden, zielstrebig zu sein, ehrgeizig, erfolgsorientiert.

Fürchten Sie um Ihren Platz?

Mit Franck gibt es jetzt wieder eine gute Alternative, aber ich spiele ja auf der rechten Seite. In Cluj war ich an drei Toren beteiligt, ich bin torgefährlich, es fehlt nur das (schnippt mit den Fingern) zum eigenen Treffer. Wenn ich so weitermache, glaube ich nicht, dass der Trainer etwas ändern wird.

Am Mittwoch jährte sich der Todestag von Robert Enke zum ersten Mal. Es ist viel darüber gesprochen worden, ob man im Business Fußball überhaupt Schwächen zeigen darf und kann.

Zunächst: Es ist sehr, sehr traurig, weil wir ja auch gegeneinander gespielt haben. Natürlich kommt man ins Nachdenken, fühlt mit. Ich habe das alles verfolgt mit seiner Frau und was sie durchgemacht hat. Aber es ist schwierig, das einzuordnen.

Gibt es in diesem Männersport Raum für Schwäche?

Platz ist für alles, glaube ich. Man muss davon überzeugt sein und dazu stehen. Wenn man das richtige Umfeld hat, kann man sich auch mal fallen lassen. Wo eine Schwäche ist, wächst auch eine Stärke. Jemand auf dem Platz zu verletzen, ist eine größere Schwäche als eine Krankheit. Für eine Krankheit kann man nichts.

Wie in Ihrem Fall. Sie leiden an einer Sprech- und Sprachstörung, sie stottern.

Das ging los als ich zehn Jahre alt war, mein Bruder hat es nicht. Es ist oft über mich gelacht worden in der Schule. Es ging so weit, dass ich nichts mehr sagen wollte, ich habe nicht mehr aufgezeigt, weil ich Angst hatte, dass der Lehrer mich dran nimmt.

Wie haben Sie Abhilfe geschaffen?

Mit 12, 13 Jahren habe ich ein Sprachtraining gemacht. Da sollte ich laut lesen, um mir selbst zuzuhören. Da habe ich mich extrem verbessert. Direkt nach Spielen aber bin ich oft noch voller Adrenalin und aufgedreht, da stimmt dann der Atemrhythmus nicht. Man merkt es.

Na, und?

Richtig. Aber ich habe mich erstmal mit der Tatsache anfreunden müssen und sage mir: Du bist der Hamit, es gehört zu Dir. Es ist egal, was die anderen sagen. Ich habe mich gefragt: Warum machst du dich verrückt? Der liebe Gott wollte es eben so. Muhammad Ali hat Parkinson, es ist ein Teil seines Lebens.

Merkt man überhaupt, wenn es dem Mitspieler schlecht geht, wenn er ein privates Problem mit sich herumträgt?

Man flachst ja immer extrem in der Kabine. Und man merkt dann, wenn einer plötzlich nicht mehr mitmacht, das fällt dann auf. Man muss auch stets hinterfragen: Was sind die Umstände? Keiner weiß, was der Spieler erlebt, was zu Hause passiert. Viele Spieler haben Kinder. Wenn die nachts krank werden, kann man auch nicht zur Frau oder Freundin sagen: Fahr' alleine zum Arzt.

Louis van Gaal nennt dies das „ganzheitliche Prinzip".

Man muss vorsichtig sein. Der eine lässt das Private zu und teilt es mit den Mitmenschen, der andere nicht. Ich finde, es ist immer vorteilhafter, wenn man täglich miteinander zu tun hat, dass man den Trainer das ein oder andere wissen lässt. Er kann einem dann entgegen kommen, mit seiner Erfahrung helfen. Das macht ja einen erfolgreichen Trainer aus, dass er flexibel ist.

Der Trainer fragt in Einzelgesprächen ab und an Persönliches ab.

Es liegt an jedem selbst, ob er sich öffnet oder nicht. Er kann auch sagen wie jeder andere Arbeitnehmer: Hey, das ist mein Job. Bis hierher und nicht weiter. Jeder muss selbst einen Weg finden und sich fragen: Was ist mein Ziel im Leben? Da gehört der Job dazu, aber das ist nur ein Teilaspekt des Lebens.

Und wie weit darf man gehen im Job in Sachen Konkurrenzkampf?

Mein Glaube sagt mir: Was dir schadet, ist ungesund. Man darf nicht über Leichen gehen, nur um Anerkennung zu gewinnen. Wichtig ist: Man muss in den Spiegel schauen können, zu sich selber ehrlich sein und sagen: Ich habe ein reines Gewissen.

Interview: Patrick Strasser

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