Stimmungs-Boykott - „Die Südkurve ist ein Witz"

Alle fragten sich nach dem Dauer-Theater zwischen FC Bayern und Ultras: Bleibt es beim Stimmungs-Boykott in der Südkurve? Die AZ machte den Test. Was der Reporter alles erlebt hat.
Markus Ehrlich |
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Im Herzen des Südkurve: AZ-Reporter Markus Ehrlich (siehe kleiner Kasten) steht gegen Nürnberg mitten im Block 112 der Allianz Arena.
Rauchensteiner/Augenklick Im Herzen des Südkurve: AZ-Reporter Markus Ehrlich (siehe kleiner Kasten) steht gegen Nürnberg mitten im Block 112 der Allianz Arena.

München - Dass die „neuen“ Bayern-Fans laut sein können, merkt man erst in der 69. Minute. Franck Ribéry hat gerade das erlösende 1:0 gegen Nürnberg geköpft. In der Südkurve wird gejubelt, geklatscht und endlich auch gesungen. Leise zwar, aber immerhin. „Super Bayern, super Bayern“, hallt es durch die Kurve.

Wie das Derby-Tor bejubelt worden wäre, wäre der Block voll mit stimmungsbereiten Bayernfans und heißblütigen Ultras? Hätte der Einpeitscher mit seinem Megafon einen anderen Gesang angestimmt? Immerhin: Eine Bierdusche erinnert daran, in einem Fußballstadion zu sein – und nicht auf einer Beerdigung. Der Drehkreuz-Streit zwischen Ultras und Verein ist der Aufreger der Saison. Nach der Tote-Hose-Stimmung gegen Gladbach fragten sich vor dem Derby gegen Nürnberg alle: Setzen die Ultras ihren Stimmungs-Boykott fort?

Die AZ war in Block 112 und hat das getestet. Sprechchöre sind kaum zu hören. Es herrscht Uneinigkeit. Einige Klassiker werden immer wieder von Fangruppen in verschiedenen Ecken der Südkurve angestimmt, verebben aber schnell, weil nur wenige mitmachen. Im Zentrum ist es still. Nur das Bayern-Bayern-Echo mit der Nordkurve eint alle und hält sich länger. Einige Fans nehmen sich selber auf die Schippe. „Und jetzt alle“, singen sie.

„Die Stimmung ist erbärmlich“, sagt einer. „Auswärts oder bei den Amateuren ist 1000-mal mehr los.“ Der Auslöser des Stimmungs-Boykotts: Um einer Überfüllung im Block vorzubeugen, hat der Verein vor der Saison Drehkreuze hinter den Blöcken der Südkurve installiert. Rein kommt nur, wer eine Dauerkarte für das Herz der Südkurve hat oder sich kurzfristig eine von 300 Restkarten sichern kann. Viele der jungen, stimmungsbereiten Bayernfans werden so ausgesperrt.

Früher schmuggelten Südkurvler immer wieder andere Fans in die Blöcke. Im Schnitt waren es nach Vereinsangaben bis zu 500 pro Heimspiel. Der Verein hatte Angst, dass Leute verletzt oder gar zerquetscht werden könnten. Die Ultras hingegen werfen Bayern vor, alles im Alleingang zu entscheiden. Der von Bayern bezahlte Ex-Polizeipsychologe Wolfgang Salewski hätte eigentlich schlichten sollen. Doch der machte sich unbeliebt, kündigte zuletzt an, den Block neu organisieren zu wollen: „Neue Leute, neue Lieder, dann baut sich da wieder was auf“. Das hatte gesessen.

Im Stadion wird an diesem Tag schnell klar: Die Fans sind auch trotz eines Versöhnungsangebots des Vereins (bald testweise freie Platzwahl) noch immer sauer. Immer wieder gibt es „Salewski raus“-Rufe. „Der gehört weg“, sagt mein Nebenmann. „Hat keine Ahnung von Fankultur und redet gescheit daher.“ Am Eingang zu Block 112 hatte sich unmittelbar vor Anpfiff eine lange Schlange an den Problem-Drehkreuzen gebildet. Die Leute schimpfen. „Das ist ein Schmarrn! Die Dinger halten den ganzen Verkehr auf“, ruft einer. „Tut mir leid, ich mache die Regeln nicht“, sagt ein Ordner. Oft stockt es, der Scanner funktioniert nicht.

Und im Stadion? Fällt auf: Mit der neuen Einlasskontrolle muss hier wahrlich keiner Angst um sein Leben haben, zerquetscht wird hier niemand. Zwischen Männern und ihren Nebenmännern ist jede Menge Platz. Einige Stufen sind sogar komplett leer. In der Kurve tummeln sich viele Zuschauer, die auch auf die Haupttribüne gepasst hätten, darunter viele Familien mit Kindern. Insgesamt wirkt das Herz der Südkurve wie ein Käfig.

Links und rechts sind mannshohe Eisenzäune hoch gezogen, die Ordner wachsam. In der Pause schallt „ein bisschen Spaß muss sein“ aus den Lautsprechern. Doch Spaß hat hier niemand so recht. „Schon traurig. Früher war die Südkurve eine Macht, heute ist sie ein Witz“, sagt ein Mann im Bayern-Trikot. Das eigentlich Traurige: Er hatte an diesem Tag leider Recht.

 

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