Start der Champions League: Dietmar Hamann im AZ-Interview über die Chancen des FC Bayern München
München - Dietmar Hamann (45) spielte lange für den FC Bayern. Mit dem FC Liverpool gewann er 2005 die Champions League. Er ist TV-Experte bei Sky.
AZ: Herr Hamann, Real Madrid hat die Champions League zuletzt dreimal in Folge gewonnen – mit Cristiano Ronaldo aber den entscheidenden Spieler verkauft. Gibt es in dieser Saison überhaupt einen Topfavoriten auf den Titel?
DIDI HAMANN: Es ist sehr offen. Ich gehe davon aus, dass Real es nicht ein viertes Mal packen wird ohne Ronaldo. Wir werden einen anderen Sieger sehen. Ich könnte locker neun bis zehn Mannschaften nennen, die den Titel gewinnen können. Die Champions League ist so offen, so ausgeglichen wie lange nicht.
Welche Mannschaften haben denn besonders gute Chancen auf den Henkelpott?
Die Engländer muss man auf jeden Fall nennen. Was nicht vergessen werden sollte: In der Premier League gibt es in dieser Saison zum ersten Mal eine Winterpause. Das ist ein Vorteil. Die spanischen Mannschaften sind stark, neben Real auch Atlético Madrid und der FC Barcelona. Der FC Bayern natürlich, Paris Saint-Germain. Die Mannschaft, die sich ein bisschen absetzt vom Rest, ist Manchester City.
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Dietmar Hamann: "Juve hat nicht so viel Selbstvertrauen"
Pep Guardiola als erster Anwärter auf den Titel?
Ja. ManCity war vergangene Saison extrem dominant in der Premier League. Unter Pep hat sich das Team immer weiterentwickelt, mit Riyad Mahrez einen absoluten Topmann dazu bekommen. In der Defensive stabilisiert Aymeric Laporte die Mannschaft. City hatte vergangene Saison eine schlechte Halbzeit im Viertelfinale gegen Liverpool, die war entscheidend für das Aus. Diesmal ist Peps Team der Topfavorit.
Nicht Juventus Turin mit Cristiano Ronaldo?
Ronaldo wird 34, das darf man nicht unterschätzen. Er hat bei Real in einer sehr dominanten Mannschaft die Tore erzielt. Was er geleistet hat, ist fast unmenschlich, ähnlich wie Lionel Messi. Aber er spielt jetzt in einem Team, das in der Champions League nicht so dominant auftreten wird wie Real. Juve hat nicht so viel Selbstvertrauen. Die Italiener haben zwar bessere Chancen mit Ronaldo, ich sehe allerdings andere Mannschaften vor ihnen.
Wäre Ronaldo nicht auch einer für den FC Bayern gewesen?
Überlegen muss man immer, wenn ein solcher Spieler sagt, dass er sich verändern will. 100 Millionen Euro Ablöse für einen 33-Jährigen sind aber natürlich viel, da wollte Bayern nicht mitmachen. Über den Trikotverkauf und das Merchandising hättest du das Geld schnell wieder reingeholt. Die Bayern sind auch ohne Ronaldo gut aufgestellt. Er und Robert Lewandowski zusammen im Sturmzentrum – das wäre nicht möglich gewesen.
Dietmar Hamann: "Ich erwarte große Dinge von Lewandowski"
Am Wochenende haben sich mit Corentin Tolisso und Rafinha zwei weitere Bayern-Profis schwer verletzt. Ist der Kader trotzdem noch stark genug?
Es ist bitter, dass Tolisso und auch Kingsley Coman so lange ausfallen. Der Kader ist aber top-besetzt. Es gibt genügend Ressourcen, um in der Liga vorneweg zu marschieren und die relativ leichte Gruppe in der Champions League zu überstehen. Wichtig wird sein, dass du bis zur Winterpause in allen Wettbewerben dabei bist. Im März, April, Mai werden die Preise verteilt – da müssen dann alle fit sein. Vielleicht ist Coman nach seiner Verletzung ja sogar frischer in der entscheidenden Phase im Frühjahr. Im Offensivverbund ist er der wichtigste Spieler bei Bayern.
Wie bewerten Sie bislang die Arbeit von Niko Kovac, der alle fünf Pflichtspiele gewonnen hat?
Sehr gut. Der Zeitpunkt für ihn, zu Bayern zu wechseln, war ja nicht ganz einfach. Die deutschen Nationalspieler kamen enttäuscht von der WM zurück, die musste Kovac wieder aufpäppeln. Wie er das hinbekommen hat, ist sensationell. Wie er Lewandowski in kurzer Zeit wieder motiviert hat, wie er mit Arjen Robben und Franck Ribéry umgeht – das ist einzigartig. Man hat schon in Frankfurt gesehen, dass Kovac große Qualitäten hat. Aber es ist nicht selbstverständlich, bei Bayern so schnell einen so guten Eindruck zu hinterlassen.
Sie haben Lewandowski angesprochen. Ist er der Bayern-Spieler, von dem Sie in der Champions League besonders viel erwarten?
Lewandowski wurde vergangene Saison zu Recht kritisiert. Er hat in den entscheidenden Spielen keine Tore geschossen – da muss man sich Kritik gefallen lassen. Ich erwarte große Dinge von ihm, er ist für mich weiter die beste Nummer 9 der Welt. Aber das muss er in den großen Spielen zeigen. Wenn Lewandowski die Champions League gewinnen will, wird er keine bessere Möglichkeit finden als bei Bayern. Und sollte er in dieser Saison die Trophäe tatsächlich gewinnen, wären die Bayern wohl die Letzten, die Lewandowski nicht ziehen lassen. Falls er im Sommer 2019 dann immer noch nach Spanien wechseln will.
Dietmar Hamann: Vorrunde für FC Bayern kein Problem
James Rodríguez könnte gegen Benfica in die Startelf rücken, bislang lief die Saison noch nicht perfekt für ihn.
Man hat vergangene Saison gesehen, dass er sich durchsetzen kann, dass man auf ihn zählen kann. Er hat sich leider bei der WM erneut verletzt. Dass er einige Zeit brauchte, war klar. James kann in einer funktionierenden Mannschaft das Sahnehäubchen sein – und die Bayern haben eine funktionierende Mannschaft. Er wird ein ganz wichtiger Mann in dieser Saison.
Die Gruppe mit Benfica, Ajax und AEK Athen sollte eigentlich kein Problem werden für Bayern.
Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn Bayern nicht weiterkommt. Ajax und Benfica sind große Namen, haben aber nicht das Niveau wie vielleicht vor 25 Jahren. Das Einzige, was negativ sein könnte: Du hast wohl kein Team dabei, das dich richtig fordert.
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Wie sehen Sie die Chancen der anderen deutschen Teams aufs Achtelfinale?
Ich glaube, die Gruppen sind jeweils schwerer als zunächst gedacht. Hoffenheim muss gegen ManCity und Schachtjor Donezk bestehen, das wird sehr schwer. Von Dortmund erwarte ich, dass die Mannschaft weiterkommt. Bei Schalke ist es sehr offen. Ein Vorteil könnte sein, dass Schalke sehr ergebnisorientiert spielt, hinten oft zu Null. Das hilft in der Champions League. Der Kader ist breit aufgestellt. Ich denke, dass am Ende Bayern, Dortmund und Schalke ins Achtelfinale kommen. Bei Hoffenheim bin ich mir nicht so sicher.
Zum Abschluss noch: Wer wird der Superstar dieser Champions-League-Saison?
Ich sage: Lewandowski. Ich habe das Gefühl, dass er die Botschaft verstanden hat. Jetzt scheint alles zu passen. Kovac ist offenbar ein Trainer, der den Spielern in der Ansprache einiges vermitteln kann. Lewandowski hat eingesehen, dass er alles für Bayern geben muss. Er ist wieder ein anderer Spieler. Wenn Kovac Lewandowski richtig ins Laufen bringt, erhöht das die Chancen, in allen Wettbewerben erfolgreich zu sein.
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