Interview

SPD-General Klingbeil: Was die SPD vom FC Bayern lernen kann

Lars Klingbeils Herz schlägt für die Roten - auch im Fußball. In der AZ erklärt der SPD-Generalsekretär, wie er einst Fan des FC Bayern wurde - und was die Genossen vom Rekordmeister lernen können.
von  Krischan Kaufmann
Generalsekretär der SPD und großer Bayern-Fan: Lars Klingbeil.
Generalsekretär der SPD und großer Bayern-Fan: Lars Klingbeil. © imago images/Müller-Stauffenberg

AZ-Interview mit Lars Klingbeil: Der 43-jährige Niedersachse (geboren in Soltau/Heidekreis) und studierte Politologe ist Mitglied des deutschen Bundestages und seit 2017 Generalsekretär der SPD. In dieser Funktion organisierte er die erfolgreiche Wahlkampagne der Sozialdemokraten zur diesjährigen Bundestagswahl und gehört auch zum Verhandlungsteam der SPD, das aktuell die Gespräche mit Grünen und FDP über eine mögliche Ampelkoalition führt. Rot ist auch beim Fußball seine Lieblingsfarbe, denn hier schlägt sein Herz schon seit frühester Kindheit für den FC Bayern.

AZ: Herr Klingbeil, nun haben Ihre Sozialdemokraten, die Grünen und die FDP bereits an diesem Freitag ihre Sondierungsgespräche zu einer möglichen Ampelkoalition abgeschlossen. Das hat aber bestimmt nichts damit zu tun, dass der Generalsekretär und Verhandlungsorganisator der SPD, der gleichzeitig ein glühender Anhänger des FC Bayern ist, am Sonntag (15.30 Uhr, DAZN und im AZ-Liveticker) den Liga-Gipfel seines Herzensvereins beim punktgleichen Zweiten Bayer Leverkusen auf keinen Fall verpassen wollte, oder?
LARS KLINGBEIL: Der Sonntag wird für die SPD frei sein, Fußball kann ich also schauen. Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass wir den Zeitplan wegen des Bayern-Spiels so abgestimmt haben - aber das würde dann nicht ganz der Wahrheit entsprechen. (lacht) Es ist vielmehr so, dass wir ja aus einem langen Wahlkampf kommen und sich alle jetzt freuen, wenn sie am Sonntag mal was Privates machen können.

Lars Klingbeil: "Meine rebellische Art hat mich zum FC Bayern gebracht"

Sie sind in Soltau in der Lüneburger Heide geboren, viel plattes Land und rund 700 Kilometer Entfernung bis nach München. Wie verliert ein Nordlicht wie Sie sein Fußball-Herz ausgerechnet an den "Stern des Südens"?
In den 80er Jahren, als sich der Hamburger SV und die Bayern ständig um die Meisterschaft gekappelt haben - das kann man sich heute ja gar nicht mehr vorstellen -, war mein Vater HSV-Fan. Und ich glaube, es war damals schon meine rebellische Art, die mich zum FC Bayern gebracht hat. Da war also schon von frühester Kindheit an eine Grundsympathie bei mir zu den Bayern - und richtig stark wurde es dann mit Mehmet Scholl. Ich war wahrscheinlich der größte Mehmet-Scholl-Fan, den es zu dieser Zeit gab. Ich habe mich auch wahnsinnig gefreut, dass er jetzt in München Wahlkampf für Dieter Reiter gemacht und sich politisch positioniert hat. Er war schon damals als Fußballer, als Typ eine echte Identifikationsfigur für mich.

Ist es hilfreich für einen SPD-Politiker sich als Bayern-Fan zu outen?
Es wird schon gerne versucht, mein Fan-Dasein politisch gegen mich zu nutzen. Die CDU in meinem Wahlkreis hat zum Beispiel im Wahlkampf immer wieder betont, dass ich ja ein Anhänger des FC Bayern bin - das hat ihr aber nicht geholfen. Ich habe den Wahlkreis trotzdem - oder vielleicht sogar gerade deshalb - wieder mit einem sehr guten Ergebnis direkt gewonnen.

Die Stunde der Generäle: Lars Klingbeil (M.) mit seinen Amtskollegen Volker Wissing (l.) und Michael Kellner (Grüne).
Die Stunde der Generäle: Lars Klingbeil (M.) mit seinen Amtskollegen Volker Wissing (l.) und Michael Kellner (Grüne). © picture alliance/dpa

"Ich bin Bayern-Fan seitdem ich vier Jahre alt bin"

Vor dem Sieg Ihrer Partei bei der Bundestagswahl hätte man vermuten können, dass Sie vor allem ein Fan der Münchner sind, weil sie wenigstens im Fußball mal zu den Gewinnern zählen wollten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie waren schon lange Bayern-Anhänger bevor Sie SPD-Mitglied wurden. . .
Früher habe ich immer gesagt, meine Liebe zum FC Bayern ist der Ausgleich zu meinem Parteibuch. . . (lacht) Spaß beiseite, ich bin Bayern-Fan seitdem ich vier Jahre alt bin. Das sind jetzt auch schon 39 Jahre. Klar gab's auch mal schlechte Phasen, so zu FC-Hollywood-Zeiten, da habe ich schon gelitten. Aber natürlich ist man als Bayern-Fan erfolgsverwöhnt, gar keine Frage. Genau diese Kontinuität des Erfolges ist aber auch das, was ich am FC Bayern am meisten bewundere. Man kann mal Meister werden, aber dauerhaft oben zu bleiben und sich dabei immer wieder selbst zu hinterfragen und nie satt zu sein - das ist die eigentliche Leistung.

Was können Sie, was kann Ihre SPD vom FC Bayern lernen?
Als Partei-Manager kann man viel vom FC Bayern lernen. Zum Beispiel was es bedeutet, wenn man ein erfolgreiches System oben etabliert hat und gleichzeitig dafür sorgt, dass man sich auch im Erfolg immer wieder erneuert. Dieses "weiter, immer weiter" imponiert mir sehr. Insofern schaue ich auch gerade sehr genau wie Oliver Kahn den Verein neu aufstellt und strategisch verortet.

Und wie viel FC Bayern steckt bereits jetzt in der SPD?
Ich bin seit fast vier Jahren Generalsekretär und habe in dieser Zeit auch einen intensiven Erneuerungsprozess mit der SPD durchlaufen. Wir haben unsere Haltung verändert, so dass man ganz bewusst sagt 'Wir wollen erfolgreich sein'. Dafür muss man aber Geschlossenheit verkörpern - und das ist wahrscheinlich die größte Erfolgsstrategie des FC Bayern. Da wird intern auch mal hitzig diskutiert, aber nach außen ist immer eine enorme Geschlossenheit da. Das haben wir auch als SPD in den letzten Jahren gut hinbekommen und das hat maßgeblich zu unserem Wahlerfolg beigetragen.

"Da wurde viel Sympathie aufgebaut"

Ist Ihre Nähe zur Säbener Straße so groß, dass Sie sich dort auch mal persönliche Führungstipps holen?
Tipps direkt nicht. Aber ich glaube, dass ich schon sagen darf, dass ich mit einigen Verantwortlichen dort immer wieder im Gespräch bin. Mit Andreas Jung (Marketing-Vorstand des FC Bayern, Anm. d. Red.) zum Beispiel, den ich auch persönlich sehr schätze. Selbst mit Uli Hoeneß habe ich mich schon hin und wieder mal ausgetauscht - auch wenn ihm das jetzt wahrscheinlich nicht so recht ist, dass ich das erzähle. (lacht)

Mit Kevin Kühnert gibt es einen weiteren prominenten Bayern-Fan in der Chefetage der deutschen Sozialdemokratie. Woher rührt die Begeisterung bei führenden Genossen für den Rekordmeister? Bis auf die "Vereinsfarben" haben Ihre Partei und Ihr Lieblingsverein ja auf den ersten Blick wenig gemeinsam.
Unter den jungen Abgeordneten, die jetzt für die SPD neu in den Bundestag eingezogen sind, sind sogar noch ein paar mehr Bayern-Fans. Ich glaube, das hat vor allem mit der Spielergeneration von Basti Schweinsteiger, Philipp Lahm oder Thomas Müller zu tun, die Identifikationsfiguren und Vorbilder sind. Dieses Schweinsteiger-Bild vom WM-Finale mit dem blutenden Cut unterm Auge, dieses Kämpfertum, das hat sich in der jüngeren Generation positiv festgebrannt. Ich glaube, durch diese Jungs hat sich auch das Bild des FC Bayern in der Öffentlichkeit gewandelt. Ein persönliches Beispiel: Als wir 1999 in diesen berühmten letzten zwei Minuten das Champions-League-Finale vergeigt hatten, da haben mich damals noch alle meine Freunde hämisch angerufen, weil sie sichergehen wollten, dass ich das auch mitbekommen habe. Wenn Bayern heute im Champions-League-Finale steht - wenn's nicht gerade gegen Dortmund ist -, dann habe ich schon das Gefühl, dass viel mehr Menschen in Deutschland mitfiebern und uns diesen Erfolg auch gönnen. Da wurde viel Sympathie aufgebaut und deshalb ist es heute einfacher auch für junge SPD-Abgeordnete zu sagen, dass sie Bayern-Fans sind.

Demokratischer Sozialismus, Respekt, Solidarität auf der einen, eine äußerst selbstbewusste und selbstfixierte, bisweilen sogar in die Arroganz abdriftende Mia-san-mia-Attitüde auf der anderen Seite: Zerreißt es Sie da nicht manchmal bei diesem Widerspruch?
Wenn man dieses "Mia-san-mia" arrogant auslebt, ist das ein Problem, aber wenn man es als ein Bewusstsein ansieht, für das was man geleistet hat, aus welcher Tradition man kommt und was man in Zukunft noch erreichen will, finde ich dieses Mia-san-mia der Bayern anspornend und tatsächlich auch sinnstiftend.

"Dieses Impulsive, das Uli Hoeneß hat, das hat Olaf Scholz gar nicht"

Aber von der klassisch sozialdemokratischen Idee einer gelebten Solidarität ist der FC Bayern - zumindest, was die Verteilung der TV-Gelder anbelangt - aber noch weit entfernt.
Ich kann mich da aber schon an viele Aktionen des FC Bayern in den letzten Jahren erinnern, wo Solidarität ganz praktisch gelebt wurde. Zum Beispiel die Soli-Aktion für den FC St. Pauli als die Bayern den Hamburgern mit einem Benefiz-Spiel aus der finanziellen Klemme halfen. Oder jetzt die Unterstützung für die Hochwasser-Opfer.

Die Sache mit den Roten scheint Ihnen auch insofern wirklich ernst zu sein, da sie sogar zu den Gründungsmitgliedern des FC-Bayern-Fanklubs im Bundestag gehören. Dort sind die Schwarzen, also in erster Linie die Abgeordneten der CSU aber weiterhin deutlich in der Übermacht.
Ich habe mich immer schon geärgert, dass gerade die CSU so eng mit dem FC Bayern verbandelt ist. Ich finde, das sollte man den Konservativen nicht überlassen. Als wir den Fanklub 2014 gegründet haben, waren von den 54 Mitgliedern drei SPDler, ein Grüner und der Rest war schwarz. Ich glaube allerdings, dass bei den CSUlern viele Mitglied sind, weil sie es sein müssen.

Rekordmeister goes Bundestag - auch dank Lars Klingbeil (l.), der zu den Gründungsmitgliedern des FC-Bayern-Fanklubs gehört.
Rekordmeister goes Bundestag - auch dank Lars Klingbeil (l.), der zu den Gründungsmitgliedern des FC-Bayern-Fanklubs gehört. © imago/Eibner

In der Politik - wie auch im Fußball - geht es häufig vor allem um Macht und Führungsanspruch. Bayern-Patron Uli Hoeneß hat mit seiner dominanten Art über Jahrzehnte den Verein geprägt und damit zu dem Weltklub gemacht, der er heute ist. Wie viel Abteilung Attacke steckt im womöglich nächsten deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich glaube, die beiden Persönlichkeiten unterscheiden sich deutlich. Dieses Impulsive, das Uli Hoeneß hat, das hat Olaf Scholz gar nicht. Er bleibt ruhig und führt sachlich. Beide machen das, was sie machen, aber mit viel Leidenschaft - das haben sie gemeinsam.

Aber ganz ohne Macht geht's ja in solchen Führungspositionen trotzdem nicht.
Ja, aber es kommt eben immer darauf an, wie ich Macht ausübe. Ich bin eher dafür, dass man sich klug überlegt, wo man hin will und dann die Menschen davon überzeugt, diesen Weg zu gehen. So erlebe ich auch Olaf Scholz oder heutige Trainer wie Julian Nagelsmann oder auch Hansi Flick. Wie die führen, da hat sich schon viel verändert. Wenn Spieler über Hansi Flick sagen, "es ist schön, zu sehen, dass man als Trainer nicht bekloppt sein muss, sondern auch total menschlich sein kann" - das sind so Sätze, an denen man merkt, dass auch im Fußball mittlerweile eine andere Führungskultur aufkommt.

Lars Klingbeil identifiziert sich mit Leon Goretzka

Mit welchem Spieler aus dem aktuellen Kader des FC Bayern können Sie sich am meisten identifizieren?
Ganz klar, Leon Goretzka! Ich mag - wie auch bei Mehmet Scholl damals - Typen die Stellung beziehen, die eine eigene Meinung haben. Wenn sich Leon Goretzka für ein Magazin mit einer Anti-Nazi-Flagge fotografieren lässt, wenn er klar gegen die AfD Stellung bezieht, dann beeindruckt mich das. Ich habe mich auch wahnsinnig gefreut, dass er gerade erst seinen Vertrag bei Bayern verlängert hat, denn er ist wirklich aktuell mein Lieblingsspieler.

Würden Sie sich nicht noch mehr Spieler wie Leon Goretzka wünschen, die ihre prominente Stellung als Profifußballer nutzen, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen?
Natürlich würde ich mir das wünschen. Aber ich glaube, man darf niemand dazu zwingen, sich gesellschaftspolitisch zu äußern. Und es muss ja auch echt sein und darf nicht aufgesetzt wirken. Außerdem kann ich auch verstehen, wenn Spieler mit ihren Äußerungen vorsichtig sind, weil heutzutage aus jedem Halbsatz eine Ticker-Meldung gemacht wird, die ihnen dann um die Ohren fliegen kann. Das ist übrigens bei uns Politikern nicht anders. Ich denke, Leon hat da jetzt einen Anfang gemacht und andere werden in Zukunft vielleicht nachziehen.

Sie waren Mitglied der Taskforce "Zukunft Profifußball", haben dabei angesichts der Gehaltsexzesse vor allem die Entfremdung zwischen Fans und Vereinen angemahnt. Haben Sie das Gefühl, die Kritik ist dort angekommen und wird positiv verarbeitet?
Der Profifußball entwickelt sich immer mehr in diese Richtung höher, schneller, weiter und läuft damit auch Gefahr, seine gesellschaftliche Verankerung zu verlieren. Das Eis, auf dem sich der Fußball bewegt, ist dünner geworden. Klar ist es noch die beliebteste Sportart, aber die jungen Leute schauen heute nicht mehr automatisch alle Fußball, sondern die Konkurrenz - zum Beispiel auch durch E-Sport - ist deutlich größer geworden. Da sind dann so Fotos wie damals von Franck Ribéry und seinem goldenen Steak oder von dem ehemaligen Dortmunder Stürmer Pierre-Emerick Aubameyang, der ständig mit dem neuesten Ferrari durch die Gegend brettert, natürlich kontraproduktiv, das kann viel kaputt machen. Da muss sich der Fußball viel mehr bewusst machen, welche Vorbildfunktion er hat - und was er ausstrahlen sollte.

Currywurst-Doping für den Wohl-Bald-Kanzler und seinen Macher: SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz und Kampagnen-Chef Lars Klingbeil.
Currywurst-Doping für den Wohl-Bald-Kanzler und seinen Macher: SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz und Kampagnen-Chef Lars Klingbeil. © imago images/Jan Huebner

Dann sind Sie sicher auch ein Befürworter eines Salary Caps, also einer Gehaltsobergrenze im Profifußball?
Ja, es muss geklärt werden, ob so etwas europäisch oder national möglich ist. Wir als Taskforce haben gesagt, dass wir ein Jahr später sehen wollen, was in der Zwischenzeit im deutschen Profifußball ganz konkret passiert ist. Der gesellschaftliche Druck ist ja da, dass sich der Fußball wieder stärker auf Werte konzentriert, dass man aus diesem ständigen Profit-Denken herauskommt. Und das war ja ein Rat unter Freunden, denn alle die, die in dieser Taskforce sitzen, wollen dem Fußball ja nicht schaden, sondern sind ihm sehr wohlgesonnen und wollen ihn stärken. Und deshalb hoffe ich, dass dieser Bericht in den Chefetagen der Vereine auch sehr ausführlich gelesen wurde.

Nochmal zurück zur aktuellen politischen Lage: Sie haben unlängst in einem Interview erzählt, dass Sie bei den gemeinsamen Gesprächen mit der FDP befürchten, sich mit Christian Lindner über Borussia Dortmund und den FC Bayern zu streiten. Daran werden die Koalitionsverhandlungen aber doch hoffentlich nicht scheitern, oder?
Ich habe Christian Lindner sogar schon sehr konkret gesagt: Wenn wir das mit den Koalitionsverhandlungen hinkriegen, dann gehen wir am 4. Dezember, wenn Bayern beim BVB spielt, zusammen ins Stadion.

Was ist wahrscheinlicher: Die erneute Herbstmeisterschaft des FC Bayern oder dass Olaf Scholz als neuer Bundeskanzler einer SPD-geführten Ampelregierung noch vor Weihnachten den Amtseid schwört?
Ich bin gerade als gnadenloser Optimist beschrieben worden, also nehme ich beides.

Und zum Schluss: Wie geht denn nun das Spiel am Sonntag gegen Leverkusen aus?
Ich tippe auf ein 3:1 für uns.

Also für den FC Bayern?
Genau!

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