So schlägt Bayerns neues Herz

München - Es war ein ungewohntes Bild am trainingsfreien Donnerstag an der Säbener Straße. Denn neben Mario Götze, der Sonderschichten ja durchaus kennt, sah man dort auf dem schneebedeckten Rasen auch einen Mann beim Extra-Training, der sonst an solchen Tagen die Zeit zuhause mit seiner Familie genießt und sich von den Schlachten in den großen Arenen Europas erholt. Doch für Xabi Alonso ist plötzlich alles anders beim FC Bayern: Am Dienstag, im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League bei Juventus, wurde der Spanier erstmals unter Pep Guardiola in einem wichtigen Spiel nicht für die Startelf nominiert.
Arturo Vidal erhielt den Vorzug im zentralen Mittelfeld – und nutzte seine Chance eindrucksvoll. „Das war eine Top-Leistung von Vidal, er war einer der Besten auf dem Platz, wenn nicht sogar der Beste“, sagt Hasan Salihamidzic im Gespräch mit der AZ: „Er hat mit Herz gespielt, mit Leidenschaft, er hat Thiago und den anderen Offensiven den Rücken freigehalten und auch selbst den Abschluss gesucht.“ Brazzos Schluss: „Wenn er so spielt, ist er unheimlich wichtig. Vidal gehört in die Mannschaft, er ist definitiv Gold wert für Bayern.“
Übernimmt Vidal das Bayern-Mittelfeld?
Kommt Guardiola nun also nicht mehr am Chilenen vorbei? Muss Alonso seinen Platz im Zentrum dauerhaft an Vidal abgeben? Gegen seinen Ex-Klub Juve jedenfalls war der „Krieger“ exakt der Spieler, den sich die Bayern versprochen hatten, als sie im vergangenen Sommer 37 Millionen Euro Ablöse zahlten. Immer wieder nervte er Juve-Stürmer Mario Mandzukic oder Mittelfeld-Ass Paul Pogba mit geschicktem, giftigen Zweikampfverhalten, Pep Guardiolas Idee, Vidal als zusätzliche Defensivkraft an die Seite der Innenverteidiger David Alaba und Joshua Kimmich zu stellen, ging bis zur Schlussphase der Partie voll auf. „Vidals Aufstellung war nachvollziehbar, er wirkt spritziger und flinker als Xabi Alonso“, analysierte der frühere Bayern-Verteidiger Jürgen Kohler im „Kicker“. Vidal habe Vorteile gegenüber dem Spanier, „wenn es darum geht, nach Ballverlusten Räume zu verdichten und aggressiv in die Zweikämpfe zu gehen“.
62 Prozent seiner direkten Duelle gewann Vidal. In den Halbfinals der vergangenen beiden Jahre gegen Real Madrid und den FC Barcelona wurde ein solcher Spieler im Herz der Bayern vermisst. Einer, der sich nicht zu schade ist, auch mal ein taktisches Foul zu begehen. Einer, der mit seiner emotionalen Spielweise in der Lage ist, die Kollegen mitzureißen. „Das war ein sehr souveräner Auftritt, da kann man nur den Hut ziehen“, sagte Manuel Neuer. Als kürzlich Gerüchte über Vidals angeblich turbulentes Privatleben die Runde machten, war der Keeper seinem Kollegen zur Seite gesprungen. „Wir wissen, was ein Spieler wie Arturo Vidal für die Mannschaft tut“, sagte Neuer: „Jedes Mal, wenn Arturo auf dem Platz steht, gibt er hundert Prozent. Er schmeißt sich in jeden Zweikampf rein, er ist sich für nichts zu schade.“ So wie bei seinem Ex-Klub Juventus Turin.
Dort, in Italien, wird der Chilene wegen seiner selbstlosen Spielweise noch immer verehrt. „Arturo liegt uns allen hier bei Juve am Herzen, er hat hier in Turin Spuren hinterlassen – als Spieler und als Mensch. Er ist ein echtes Goldstück“, sagte Juves derzeit verletzter Verteidiger Giorgio Chiellini „Spiegel Online“. Dass der Chilene bisweilen auch das Nachtleben genießen soll – nach dem Spiel in Turin verließ Vidal laut „Bild“ das Mannschaftshotel „Principi di Piemonte“ weit nach Mitternacht mit unbekanntem Ziel – schadet seinem Ansehen innerhalb der Mannschaft offenbar nicht. Weil er auf dem Platz an seine Grenzen geht und darüber hinaus. In Turin war Vidal Bayerns neues Herz.
Ob er für Guardiola nun unverzichtbar ist, bleibt allerdings abzuwarten. Der katalanische Coach passt seine Formation bekanntlich der personellen Situation und dem Gegner an. Gegen Juve brauchte er Vidal als starken Zweikämpfer und Kopfballspieler, weil die etatmäßigen Innenverteidiger Jérôme Boateng, Javi
Martínez und Holger Badstuber fehlten. Im Rückspiel, wenn Medhi Benatia und wohl auch Martínez wieder fit sind, könnte Vidal wieder gegen Alonso ausgetauscht werden. Wahrscheinlich ist das nach seiner Leistung im Hinspiel, als er mit Thiago sehr gut harmonierte, aber nicht.
Bayern gegen Juve - die 1. Halbzeit war "Rasenschach"
„Thiago hat auch ein gutes Spiel gemacht“, sagt Salihamidzic und schwärmt vom Kollektiv der Guardiola-Elf: „Die erste Halbzeit der Bayern – das war ja Rasenschach. So etwas habe ich noch nie gesehen, dass die Innenverteidiger einer Mannschaft so weit in der gegnerischen Hälfte standen. Es ist ärgerlich, dass Bayern am Ende noch zwei Gegentore bekommen hat. Aber diese erste Halbzeit, die überragt einfach alles.“
Vidal hatte daran großen Anteil. Das Bild des im Training schuftenden Alonso war deshalb ungewohnt, aber nicht überraschend. Er weiß, dass er um seinen Stammplatz bei den Bayern kämpfen muss. Härter denn je.