So feierten die Bayern den Triumph in Mailand

"Wir sind eine wirklich supergeile Truppe" - Die Nacht danach. Die AZ erinnert sich: So feierten die Bayern, die neuen Champions von Europa, 2001 ihren Triumph in Mailand.
von  Gunnar Jans
Legendär: Ottmar Hitzfeld wird mit dem Pokal auf Händen getragen und bejubelt.
Legendär: Ottmar Hitzfeld wird mit dem Pokal auf Händen getragen und bejubelt. © Augenklick

So berichtete die AZ am 25. Mai 2001 über die Feier-Nacht der Bayern nach dem Champions-League-Sieg:

Um kurz vor fünf geriet die Trophäe dann doch noch in Gefahr. Stefan Effenberg erwachte aus seiner Lethargie, die ihn die letzten Stunden in seinen Stuhl gefesselt hatte, packte den Pott und schmiss ihn quer über den Tisch. Da flog das Ding dann, siebeneinhalb Kilo schwer und 62 Zentimeter hoch, über leere Bierflaschen und Reste von Kalbsschulter mit Kräutern – und landete in den Händen von „Brazzo”, dem Bürschchen.

Flugs warf Hasan Salihamidzic ihn zurück, Effe fing den Pott wieder auf, streichelte den Cup, stellte ihn unter den Tisch. Man konnte in diesem Moment nur ahnen, warum Giovane Elber die Szene mit Argusaugen verfolgte.

Vor zehn Jahren: FC Bayern und die Nacht von Mailand

Wenig später dann mussten sich die Bayern, die neuen Champions von Europa, doch tatsächlich rauswerfen lassen aus dem Musicalhaus namens „Alcatraz”. Clint Eastwood hätte vielleicht davon geträumt, zur „Flucht von Alcatraz” getrieben zu werden im gleichnamigen Spielfilm; Effenberg aber, Anführer dieser Jubelbande, wollte noch nicht gehen.

Er hielt sich am Wodka-Lemmon fest und ignorierte die Anweisungen über Lautsprecher: „Ladies and gentlemen, we close at five!” Die Tischdecken waren längst eingesammelt, da wurde der Mann am Mikro deutlicher: „Good night, people!” Auf deutsch: Schleicht´s euch, Leute! Effenberg, nicht gewohnt, dass ihm jemand Kommandos erteilt, kippte Wodka nach und klopfte noch einmal auf den Pokal.

Was hat der alles durchmachen müssen in dieser Nacht! 25 Jahre hat es gedauert, seit dem letzten Sieg im Europapokal der Landesmeister 1976, bis dieser Pott heimgekehrt ist nach München. Um exakt 23.42 Uhr am Mittwochabend war’s dann soweit: Der Uefa-Präsident überreichte die Trophäe an Käpt’n Effe. Dann trugen die Helden von Mailand, die gerade in einem dramatischen Finale den FC Valencia 6:5 nach Elfmeterschießen bezwungen hatten, ihren Trainer auf Händen durchs Giuseppe-Meazza-Stadion. Wie ein Vogel flog Hitzfeld durch die laue Luft. Ein wenig schwerer fiel das bei Uli Hoeneß aus, an dem die bis dahin unterbeschäftigten Ersatzspieler Santa Cruz, Dreher und Tarnat eine Schwerkraftstudie erprobten. Dabei fühlte sich Hoeneß, der Architekt des Glücks, so leicht wie nie zuvor in seinem Managerleben.

„Jetzt ist endlich der Tag gekommen, an dem ich nicht mehr an morgen denke”, sagte er, „sondern alles laufen lasse, alles genieße.” Hoeneß nahm sich zurück in dieser Nacht. Er genoss sein Lebenswerk und sah denen zu, die ihm den Traum erfüllt hatten.

Biler: Das wurde aus den Champions-League-Helden:

Hasan Salihamidzic zum Beispiel, der den Pott liebevoll unterm Arm hielt auf dem Weg von der Kabine durch die Tiefgarage zum Bus. „Ich bin hier der Pottträger”, erklärte Hasan grinsend. Dann erzählte der Bosnier was von bajuwarischer Lebensart. „Wir in Bayern sprechen ja von gemähten Wiesen”, erklärte Salihamidzic, „diese beiden Titel”, deutsche Meisterschaft und Champions-League-Sieg, „sind jetzt gemähte Wiesen”. Ein Urbayer verbesserte ihn: „A gmahde Wiesn moanst!” Brazzo nickte und sprach: „Wir sind wirklich eine supergeile Truppe!"

Fand auch Giovane Elber. Der küsste in dieser Nacht alles, was ihm in den Weg kam. Aus der Kabine berichtete er, der Elfmeter-Held habe ein Problem: „Der Kahn ist so cool – der kann nicht mal richtig feiern. Und ich bin schon total besoffen.”

Nur Sammy Kuffour, der seines Glaubens wegen asketisch lebt, brauchte keinen Alkohol, um angeheitert zu wirken. Der Ghanaer gab auf der Bühne den Entertainer. Das Gospelstück, mit dem er seine Kollegen präsentieren wollte, endete im Gebrüll: „Ich: Mister-Samuel-Osei-Kuffour-Bimbo!”

Nicht alles war ernst zu nehmen in dieser Nacht, Kuffours Geständnis aber durchaus. Die dramatische Finalpleite gegen Manchester vor zwei Jahren hat Spuren hinterlassen: „Ich habe ständig geweint, immer wieder. Dann habe ich zu meinem Gott gesagt: Bitte keine Tränen mehr!” Kuffour fühlte sich nach dem dramatischen Elfmeterschießen endlich erhört: „Ich wusste, Gott kann alle Dinge wahr machen. Ich habe zu meinem Gott gesagt: Lord, ich danke dir!”

Woran Franz Beckenbauer glaubte, blieb unklar. Der Präsident, Kaiser und Lichtgestalt, wusste selbst nicht, was er dachte. „Ja, was geht mir jetzt durch den Kopf?”, fragte Beckenbauer. „Viel Platz hat’s da nimmer.”

Diesmal hatte er, sonst so ein launiger Redner, in seiner Festansprache nichts zu sagen außer: „Es war der Wahnsinn. Es war wirklich der Wahnsinn!” Und eine Anekdote wusste Beckenbauer noch zu erzählen, in Anspielung auf seinen Wutanfall von Lyon: „Der Stefan Effenberg hat in der Kabine zu mir gesagt: ,Na, für eine Altherrentruppe war’s ja wohl nicht schlecht.‘ Ich muss dem zustimmen.”

Der Präsident fand keine großen Worte, er ist vor den meisten gegangen. Vermutlich hätte er lieber Blasmusik gehört als das Techno-Gedröhne, bei dem Martina Effenberg zur Polonaise bat. Wenn Effe, der Chef, auf dem Platz ist, muss Martina es auf der Tanzfläche sein. Diesmal wirkte sie gar nicht so extravagant, mit braver Frisur, die Tönung herausgewaschen, erkannten manche sie gar nicht. In Strandsandalen tanzte sie zwischen den Tischen, bloß ihren Stefan konnte sie nicht animieren, der blieb beharrlich sitzen. Wer was wollte, etwa den Pott, musste zu ihm kommen.

Gegen halb sechs sind sie sich dann noch einmal begegnet. Stefan Effenberg, der Hof hielt an Tisch 30 und die Gratulanten antreten ließ. Und Oliver Kahn, der die Nacht an der Bar verbracht hatte. „Wo isser?”, fragte der Held irritiert den Chef. „Giovane hat ihn”, sagte Effenberg mit verklärtem Blick. Einen Moment nur hatte er nicht aufgepasst, schon hatte Elber den Cup geklaut und war mit ihm verschwunden durch den Hinterausgang. „So’n Mist”, murmelte Kahn. Effe aber tröstete ihn: „Jetzt haben wir einen Monat Urlaub: Da kann jeder mal mit dem Pott ins Bett!”

Der Held von Mailand und seine stolze Frau: Bei der Feier nimmt Simone Kahn ihren Olli fest in ihre Arme.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.