"So eine Wortwahl ist in der Fanszene üblich"

Der Bayern-Mitarbeiter des städtischen Fanprojekts erklärt, wie die Schickeria tickt, warum es zu den Provokationen kam und wie der Konflikt zu moderieren ist
Ch. Landsgesell |
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Bayern-Fans rasten beim Gladbach-Spiel aus: „Wer den Blauen Millionen zuschiebt, hat unser Vertrauen nicht verdient. Hoeneß, du Lügner“, war auf Plakaten zu lesen.
firo Bayern-Fans rasten beim Gladbach-Spiel aus: „Wer den Blauen Millionen zuschiebt, hat unser Vertrauen nicht verdient. Hoeneß, du Lügner“, war auf Plakaten zu lesen.

Hier erklärt der Bayern-Mitarbeiter des städtischen Fanprojekts, wie die Schickeria tickt

AZ: Herr Emmes, der FC Bayern hat lange nicht auf die Fanproteste beim Spiel gegen Gladbach reagiert, bei der die Südkurve Bayern-Präsident Uli Hoeneß massiv attackiert hat. Welchen Einfluss hat die Ultra-Gruppierung Schickeria auf die Vereinsführung?

THOMAS EMMES: Im Stadion ist sie die dominierende Gruppe. Die Schickeria hat den Anspruch: Wir machen die Stimmung, fahren zu allen Spielen und feuern die Mannschaft bedingungslos an. Sie sehen sich als die echten Fans, dieser Anspruch hat sich über die Jahre entwickelt. Natürlich spielen auch andere Fangruppen eine Rolle, sie sind aber nicht so präsent wie die Schickeria.

Wie gewaltbereit ist die Schickeria im Vergleich mit anderen Ultra-Gruppen?

Eher gering, obwohl das oft anders dargestellt wird. In ihrem sozialen Engagement ist die Schickeria aber sehr aktiv. Sie unterstützen z.B. die „Karawane München“. Diese Initiative setzt sich für die Rechte der Flüchtlinge ein.

Sind die Ultras auch politisch aktiv?

Das ist von Stadt zu Stadt unterschiedlich. Die meisten Gruppen versuchen, unpolitisch zu sein. Die Schickeria ist politisch eher links, setzt sich gegen Rassismus und Homophobie ein. Das ist ein bisschen von den Ultras des FC St. Pauli abgekupfert, mit denen besteht ja eine Ultra-Fanfreundschaft.

Wussten Sie von der Aktion am Samstag gegen Gladbach, bei der 1860 und Hoeneß verunglimpft wurden?

Das mit den T-Shirts gegen 1860 war uns bekannt. Die gezielten Spruchbänder gegen Uli Hoeneß allerdings nicht. Darüber wird mit dem Fanprojekt auch nicht gesprochen. Wir sind zwar nah dran an den Fans, die Ultras reden mit uns aber nicht über alles. Das müssen sie auch nicht. Wenn wir das gewusst hätten, hätten wir vielleicht noch intervenieren können.

Halten Sie die Provokationen in der Form angemessen?

Das ist schwierig. Hätte es die Aktion nicht in dieser massiven Form gegeben, hätten die Fans vielleicht kein Gehör gefunden. So sind sie etwas über das Ziel hinausgeschossen.

Hätte der FC Bayern die Vorfälle am Samstag anders moderieren müssen?

Es gab in den vergangenen Jahren ja schon einige Vorfälle zwischen dem Verein und der Schickeria. Was dazu führte, dass Stadionverbote nach dem Gießkannenprinzip ausgesprochen wurden. Es ist gut, dass sich die Vereinsführung jetzt Zeit lässt und überlegt, wie sie mit diesem Problem umgehen soll. Dass es Proteste von den Fans geben würde, war schon vor dem Spiel klar. Dass allerdings Uli Hoeneß als Person so angegriffen wird, war schon überraschend.

Plakate wie „Blaue Schweine schlachtet man und rettet sie nicht. Und du willst Metzger sein, Uli?" haben große Empörung ausgelöst.

So etwas kennt man aus der Südkurve nicht, dass die Fußballöffentlichkeit deshalb empört reagiert, kann ich nachvollziehen. Vor allem, weil sich die Attacke gegen Uli Hoeneß richtet, den FC Bayern in Person. Das grenzt für viele an Majestätsbeleidigung. So eine Wortwahl ist in der Fanszene aber üblich. Die T-Shirts mit dem Löwen im Fadenkreuz – die nicht nur die Ultras anhatten – und die umgedrehten Fahnen, im ganzen Stadion sind aber ein klares Zeichen für den Unmut vieler Fans. Das sehe ich als Zeichen: Ganz falsch können die nicht liegen.

Wie sollte der FC Bayern mit der Fan-Aktion umgehen?

Ich hoffe, dass sich beide Seiten möglichst bald an einen Tisch setzen und das diskutieren. Schweigen bringt keinen weiter. Wir bieten uns da gerne als Vermittler an, aber über den Kurvenbeauftragten des FC Bayern hat der Verein selbst beste Kontakte in die Kurve.

Sind die Interessen der Schickeria, die sich unter anderem gegen die Kommerzialisierung des Fußballs ausspricht, und die des FC Bayern, ein profitables Wirtschaftsunternehmen, überhaupt vereinbar?

Man wird beide Parteien auch in Zukunft nicht auf eine gemeinsame Linie bringen können. Aber man müsste Dinge offener kommunizieren. Es gab Aussagen vom Vorstand bei der letzten Jahreshauptversammlung, dass „die Blauen nicht mehr unterstützt werden". Das wurde revidiert und hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Vorstand muss mit solchen Entscheidungen offener umgehen, um solche Eskalationen wie am Samstag zu vermeiden.

Fürchten Sie, es könnte Stadionverbote geben?

Das glaube ich nicht. Ich weiß aber auch nicht, welche Sanktionen der FC Bayern plant. Das ist Sache des Vereins.

Ist der FC Bayern auf die Schickeria angewiesen?

Manchmal hat man den Eindruck, als ob diese Fans nicht so erwünscht sind. Wenn man sich mal die Stadien in Barcelona, Madrid oder Manchester anschaut: Da gibt es ein Kurvensterben, da ist teilweise Totentanz. In der Bundesliga haben wir eine gewachsene Fankultur, die muss am Leben gehalten werden.

Ein Problem beim FC Bayern?

Für junge Fans – das sind meistens die, die das Team anfeuern – ist es schwierig, in die Südkurve zu kommen. Da gibt es ein Kartenproblem. Bei den Blauen ist das kein Problem, da ist genug Platz. Aber die Bayern will jeder sehen. Aber wenn die Jungen nicht mehr reinkommen, gibt es irgendwann auch keine Kurve mehr. Grundsätzlich ist der Verein auf jeden Fan angewiesen, da muss auch Kritik erlaubt sein - in einem gewissen Rahmen.

Wird es beim Derby gegen Nürnberg am Samstag wieder ähnliche Aktionen der Bayernfans geben?

An gezielte Aktionen gegen den Vorstand glaube ich nicht. Das Spiel ist ein Derby und brisant - aber auch nicht brisanter als sonst.

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