Sky-Kommentator Joachim Hebel: Darum passt Declan Rice zum FC Bayern

München – Gut eine Viertelstunde war am vergangenen Samstag gespielt. Kingsley Coman eröffnete für den FC Bayern in Köln. Parallel bekam Mainz 05 in Dortmund einen Eckball.
Edimilson Fernandes führte aus – und fand am kurzen Pfosten den Kopf des einfliegenden Andreas Hanche-Olsen. Ein Assist für Mainz 05, gleichermaßen aber auch für den Rekordmeister.
Fernandes macht Platz für die Meisterschaft des FC Bayern – und den nächsten Neuzugang?
Läuft der Transfersommer optimal, wäre die gelungene Eckballflanke das zweite, womit Fernandes dem FC Bayern indirekt weiterhilft. Vor etwas mehr als sechs Jahren, am 21. Mai 2017, gastierte der Schweizer mit West Ham United in Burnleys "Turf Moor".
Die "Hammers" führten in der Nachspielzeit 2:1, als Slaven Bilic einen letzten Wechsel vornahm. Edimilson Fernandes ging vom Feld. Es kam ein 18-jähriges Toptalent: Declan Rice.
Mittelfeldduo Kimmich und Goretzka hat beim FC Bayern wohl ausgedient
Inzwischen ist Rice 24 und Kapitän seines Teams. Kommenden Mittwoch kann er West Ham United, im Finale der Europa Conference League gegen die Fiorentina in Prag, sogar zu einem europäischen Titel führen. Es wird wohl seine letzte Amtshandlung sein, bevor er den Verein im Sommer verlässt.
Der FC Bayern bekundet bereits seit längerer Zeit Interesse. Rice ist der absolute Wunschspieler von Trainer Thomas Tuchel. Nach zwei aufeinanderfolgenden Knockouts im Viertelfinale der Champions League gegen Villarreal (0:1, 1:1) und dem deutlichen Aus gegen Manchester City (0:3, 1:1) sowie den frühen Niederlagen im DFB-Pokal in Mönchengladbach (0:5) und gegen den SC Freiburg (1:2) hat das Mittelfeldduo aus Joshua Kimmich und Leon Goretzka wohl keine Zukunft mehr, zumindest nicht als Duo.
Rice könnte auch Kimmich oder Goretzka freier machen
"Das ist das große Problem der Bayern. Sie hatten zwei Achter, aber keinen Sechser", erklärt England-Experte und Sky-Premier-League-Kommentator Joachim Hebel im Gespräch mit der AZ.
"Jetzt hast du einen Sechser, jetzt hast du Declan Rice, der räumt alles ab, der gewinnt Zweikämpfe ohne Ende, der läuft dir alles tot. Er denkt nach hinten, weil er eigentlich gelernter Verteidiger ist. Er hat sein erstes Spiel in der Premier League gemacht, da war er Rechtsverteidiger. Er hat aber auch schon in der Innenverteidigung gespielt. Du könntest ihn da auch bringen. Aber man könnte auch zu Kimmich sagen: Rice sichert hinter dir ab und du kannst jetzt auch deine Reise nach vorne antreten, oder Goretzka, oder wem auch immer. Die beiden würde man damit auch freier machen."

Neben seinen Qualitäten als Abräumer gibt es jedoch noch eine weitere Eigenschaft, die Rice, den Hebel als "absolutes Elitetalent" bezeichnet ausmacht: "Dieses progressive Dribbling ins Mittelfeld rein."
Rice sei "jemand, der auch einfach mal den Ball nimmt und das Spiel nach vorne antreibt. Er ist sehr passstark, hat sehr, sehr viele Ballgewinne. Er läuft sehr viel, sehr viele Ballaktionen. Er hat eine gute Passquote. Rice ist eigentlich ein sehr kompletter Mittelfeldspieler."
Tuchel und Rice beim FC Bayern? Hebel: "Das könnte richtig passen"
Aus seinem Umfeld weiß Joachim Hebel, dass Thomas Tuchel genau diese Spieler sucht, "die Linien überspielen können, überlaufen können. Und das kann er (Rice, d. Red) perfekt. Gerade am Anfang hieß es immer, er hat technische Probleme, er ist nur Abräumer. Das hat er sich in den letzten zwei Jahren komplett draufgeschafft. Wie er ins Mittelfeld reindribbelt, wie er ins Mittelfeld reinspielt, ist richtig gut geworden. Tuchel ist ein intelligenter Kerl und er mag andere intelligente Kerle. Er sieht ihn und denkt sich: Der ist clever, den will ich. Das könnte richtig passen."
Nicht nur rein qualitativ. Bei einer perfekten Saison bestreitet der FC Bayern zwischen 50 und 55 Pflichtspielen in allen Wettbewerben. Dafür wäre ein Mittelfeld aus Joshua Kimmich und Declan Rice prädestiniert. Kimmichs einzige größere Verletzung datiert aus dem Spätherbst 2020, als er beim 3:2 in Dortmund im Zweikampf mit Erling Haaland einen Meniskusschaden erlitt – und trotz gegenteiliger Prognosen, noch vor Weihnachten sein Comeback gab. Dazu kommt eine längere Corona-Pause gut ein Jahr später. Rice absolvierte bislang 277 Profispiele für West Ham und verpasste davon genau?
Eines. Eines aus 277. Das nicht verletzungs-, sondern krankheitsbedingt.
Mit Leon Goretzka, Ryan Gravenberch, Leih-Rückkehrer Marcel Sabitzer und Neuzugang Konrad Laimer droht dem Rekordmeister bei dieser Quote ein Überangebot im Mittelfeld. Vor allem, da weiter vorne Jamal Musiala und Thomas Müller gesetzt sind.
Goretzka, Gravenberch, Laimer: Die Gedankenspiele des FC Bayern im Mittelfeld
Goretzka denkt nicht daran, den Verein zu verlassen und genießt intern hohes Ansehen, Dann allerdings müsste er sich dem Zweikampf mit Kimmich stellen, der auch noch die Karte als dritter Kapitän spielen kann. Bereits die gesamte Saison über performte Goretzka unter seinen Möglichkeiten.
Beim 2:1-Sieg in Köln wirkte er nur gut eine Viertelstunde mit, bevor ihn Thomas Tuchel zugunsten von Mathys Tel auswechselte. Als sich das Team nach Abpfiff versammelte, um die letzten Momente des Spiels in Dortmund am Smartphone zu schauen, wendete sich Goretzka vorzeitig ab und soll auch bei der Feier in der Motorworld, nicht die allerbeste Laune gehabt haben.
Gravenberch betonte bereits in einigen Interviews, dass er zu regelmäßigen Einsätzen kommen möchte. Wie genau der Verein mit Laimer plant, ist noch nicht bekannt. Für ihn spricht seine Vielseitigkeit. Unter Julian Nagelsmann spielte er in Leipzig auch als Rechtsverteidiger, was bei einem möglichen Abgang von Benjamin Pavard interessant werden könnte. Im Fall von Marcel Sabitzer soll der FC Bayern gesprächsbereit sein.
Rice? "Kannst nicht sagen, der will schon immer unbedingt zum FC Bayern"
Noch allerdings sind diese Gedankenspiele reine Theorie und das Trikot von Rice nicht Rot und Weiß, sondern Claret and Blue. Dass es rot-weiß wird, ist gut möglich. Aber nicht Bayern-rot-weiß, sondern Arsenal-rot-weiß. Hebel: "Das ist die Krux und da wird es spannend."
"Es gibt zwei Punkte, bei denen ich mir nicht sicher bin: Erstens: England-Deutschland, diese Gemengelage. Weil englische Spieler, englische Fans, der Engländer an sich, diese Premier-League-Affinität ist so allüberbordend, dass du nicht sagen kannst: Der will schon immer unbedingt zu Bayern. Das ist mit Sicherheit ein großer Verein, brauchen wir nicht reden. Aber der Blick wird erstmal auf den englischen Markt gehen, da bin ich mir sehr sicher."

Englische Medien zweifeln am Rice-Transfer zum FC Bayern
Auch englische Medien zweifeln daran, ob Declan Rice Interesse daran hat, die Insel zu verlassen. Laut Daily Mail bevorzugt der Engländer die einheimischen Spitzenclubs Arsenal London und Manchester United als zukünftige Arbeitgeber.
Andy Dillon, West-Ham-Reporter bei der britischen Zeitung The Sun, sagte gegenüber "Bild": Die Premier League ist die größte Herausforderung und hier ist auch sein Herz. Ich sage: Sorry, Bayern – aber zu viele große Klubs hier drüben wollen ihn, als dass Bayern eine Chance hätte."
Warum der FC Bayern bei Rice dennoch nicht chancenlos ist
Das bedeute nicht, dass der FC Bayern, im Wettrennen um Declan Rice chancenlos sei, so Joachim Hebel. "Der erste Blick wird mit Sicherheit rübergehen, was ist denn in England los? Wenn Arsenal kein attraktives Paket schnürt, wenn Manchester United es auch nicht macht. Wenn Chelsea, wenn sie alle halbherzige Angebote abliefern oder er sagt: Also, Chelsea ist zwar mein Jugendverein, das ist in der Nähe von der Heimat. Das wäre ganz cool in London zu bleiben. Aber bei dem Board? Ich weiß nicht genau. Arsenal? Was ist, wenn die auf Ewigkeiten Zweiter bleiben?"
Rice müsse sich fragen, ob er nicht lieber um Titel spielen will: "Ist dann nicht Bayern besser? Da wird er wirklich abwägen müssen. Finanziell werden die Angebote in einer Range sein. Es wird eher sein: Kann er sich, von diesem Gedanken in England zu spielen, freimachen? Will er vielleicht woanders hin? Oder sagt er, ich will in der Premier League bleiben. Das, glaube ich, wird am spannendsten sein."
Verbaut sich der FC Bayern mit dem Vorstands-Chaos auch den Rice-Transfer?
Der Sky-Kommentator führt aus: "Dann kommt der zweite Punkt: Wie schätzt er, wie schätzt sein Management, die Situation bei Bayern München ein? Aktuell hört man immer mal wieder, dass Spieler sagen: Ich warte mal mit einer Vertragsverlängerung oder ich warte mit einem Wechsel dahin, weil wir gesehen haben, was da abgeht. Das ist momentan, nett formuliert: unruhig. Tue ich mir das an? Oder warte ich nicht lieber erstmal ab?"
Das aktuelle Vorstandsbeben könnte Bayern auf die Füße fallen, findet Joachim Hebel: "Bei Arsenal ist alles gesetzt: Es ist klar, wer Trainer ist. Es ist klar, wer dort das Board ist. Es ist klar, wo sie hinwollen. Der nächste Schritt soll die Meisterschaft sein. Der nächste Schritt soll sein, wieder konsequent in der Champions League vertreten zu sein. Bei Bayern München ist auch klar, was sie wollen, Aber du weißt nicht genau: Was ist, wenn dein Haus einbricht und du in der Champions League nicht mehr die große Rolle spielst? Deshalb ist es gut möglich, dass Rice sagt: Deutschland könnte ich mir theoretisch vorstellen. Aber Bayern ist gerade in einer schwierigen Phase."