Sky-Experte Hitzfeld: „Bayern braucht van Bommel noch“

MÜNCHEN - Erfolgstrainer Ottmar Hitzfeld blickt exklusiv bei Sky auf die Bundesliga-Hinrunde und analysiert den Höhenflug seines Ex-Klubs Borussia Dortmund sowie die schwache Halbserie des FC Bayern. Er schwärmt über Kagawa und zeigt sich erstaunt über van Bommels Demontage.
Sky Experte Ottmar Hitzfeld wurde als Bundesliga-Trainer sieben Mal Deutscher Meister (2x mit Borussia Dortmund, 5x mit dem FC Bayern München). Zudem gelang es ihm, mit zwei verschieden Klubs die Champions League zu gewinnen, 1997 mit Dortmund und 2001 mit dem FC Bayern. Außer Hitzfeld schafften dies nur Ernst Happel und Jose Mourinho.
Sky.de: Was hat Sie an dieser ungewöhnlichen Bundesliga-Hinrunde besonders beeindruckt?
Ottmar Hitzfeld: Vor allem Borussia Dortmund und die Art und Weise wie sie aufgetreten sind. Jeder Spieler hat mit seiner Körpersprache gezeigt, dass er überzeugt ist, ein Spiel gewinnen zu können. Sie haben sehr offensiven Fußball gespielt und waren auch die lauffreudigste Mannschaft. Dadurch sind sie zu vielen Torchancen gekommen und haben sich nicht nur in die Herzen der Borussen-Fans gespielt.
Sky.de: Ist Borussia Dortmund die Meisterschaft noch zu nehmen?
Hitzfeld: Es gibt keine Garantie, im Fußball hat man schon Vieles erlebt. In der Rückrunde geht es wieder von Neuem los, und wenn man keinen erfolgreichen Start hat, wird man nervös und dann kommt der Druck – da kann noch viel passieren. Aber wenn Dortmund weiterhin so auftrumpft wie bisher, dann werden sie durchmarschieren.
Sky.de: Inwiefern ist der Erfolg auch eine besondere Leistung des Trainers Jürgen Klopp?
Hitzfeld: Wenn eine Mannschaft erfolgreich ist, steckt auch immer ein kluger Trainer-Kopf dahinter. Mit Jürgen Klopp hat Dortmund auch eine Identifikationsfigur, die totale Leidenschaft vorlebt. Er passt hervorragend zum Team zu den Fans und zum Ruhrgebiet. Klopp ist sicherlich auch mitverantwortlich für die Euphorie im gesamten Umfeld.
Sky.de: Was macht den derzeitigen Erfolg von Trainern wie Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel vom FSV Mainz aus?
Hitzfeld: Jüngere Trainer leben noch mehr Emotionen aus, sie haben vielleicht auch noch nicht so viele Rückschläge gehabt in ihrer Karriere und strahlen Optimismus aus. Sie lassen beide sehr offensiv spielen und ihre Teams schalten sehr schnell von Abwehr auf Angriff um. Und sie setzen auf junge Spieler.
Sky.de: Welcher junge Spieler hat Ihnen in der Hinrunde besonders gut gefallen?
Hitzfeld: Kagawa war für mich die größte Überraschung. Mit seiner Technik, seiner Lauffreudigkeit und seiner Ausstrahlung auf dem Platz. Er ist ein Teamspieler, der Tore vorbereitet und auch selber trifft. Sein Preis-Leistungsverhältnis ist irre. Er hat seinen Marktwert seit März verfünfzehnfacht oder vielleicht sogar verzwanzigfacht. Er ist die geborene Nummer zehn.
Sky.de: Der FC Bayern ist in der Champions League souverän im Achtelfinale und auch im DFB-Pokal weiter. Im Kerngeschäft Bundesliga war die Hinrunde eher enttäuschend. Was sind die Gründe dafür?
Hitzfeld: Es ist eigentlich nicht zu erklären, dass Bayern München 14 Punkte hinter Borussia Dortmund steht. Bayern hat oft sehr gut gespielt und hatte viel Ballbesitz. Vielleicht waren sie aber zu verspielt. Man hat viel Ballbesitz, spielt aber den Ball auch häufig in der Abwehr hin und her. Damit praktiziert man nicht das schnelle Umschalten wie es Dortmund oder Mainz machen. Bayern ist nicht so effektiv gewesen. Defensiv haben sie zudem nicht die Stabilität vom letzten Jahr gezeigt. Im gesamten Abwehrbereich wurden zu viele individuelle Fehler gemacht.
Sky.de: Die Entscheidung der Bayern, auf Neuverpflichtungen im vergangenen Sommer zu verzichten, haben viele Fachleute – Sie eingeschlossen – kritisiert. Jetzt wird öffentlich der Kapitän Mark van Bommel demontiert. Was ist davon zu halten?
Hitzfeld: Das überrascht mich etwas, weil Mark van Bommel ein sehr wichtiger Spieler für den FC Bayern ist. Er ist einer, der sich gegen drohende Niederlagen aufbäumt. Er ist der „Aggressiv-Leader“, nicht nur auf dem Platz, sondern auch verbal innerhalb der Mannschaft. So einen Typ wünscht man sich als Trainer. Und ich glaube gerade Bayern München braucht van Bommel noch, weil er derjenige ist, der den Hebel umdrehen kann. Deswegen bin ich erstaunt, dass man ihn zappeln lässt.
Sky.de: Van Gaal hält sich mit öffentlichen Treuebekundungen zu van Bommel zurück. Erkennen Sie da Parallelen zu der Situation von Michael Ballack im Nationalteam im Sommer?
Hitzfeld: Das lässt sich vergleichen. Die Trainer sehen, dass jüngere Kräfte nachkommen und sich vielleicht ein Generationswechsel anbahnt. Bei Bayern hat Toni Kroos schon an der Seite von Bastian Schweinsteiger auf der Van-Bommel-Position im defensiven Mittelfeld gespielt.
Sky.de: Louis van Gaal wäre im Herbst ein Streit mit Uli Hoeneß zum Verhängnis geworden. Inwieweit bleibt die Situation bedrohlich für den Bayern-Trainer?
Hitzfeld: Bei Bayern München sitzt man nur fest im Sattel, wenn man ganz oben steht und wenn man in mehreren Wettbewerben dabei ist. In der Champions League und im DFB-Pokal haben Sie es geschafft, in der Meisterschaft ist man leider schon etwas zu weit abgeschlagen vom ersten Platz. In so einem Fall ist die Situation bei Bayern generell immer brenzlig.
Sky.de: Sie selber waren im Herbst 2007 in einer schwierigen Lage als Bayern-Trainer. Karl-Heinz Rummenigge stellte damals fest „Fußball ist keine Mathematik“. Sehen Sie den Zwist zwischen Hoeneß und van Gaal in einer ähnlichen Kategorie?
Hitzfeld: Ich finde die jetzigen Aussagen schon etwas deftiger und gravierender. Was Uli Hoeneß über die Medien mitgeteilt hat, das fand ich krasser als damals in meinem Fall.
Sky.de: Können Sie sich eine Rückkehr in die Bundesliga als Trainer oder in einer anderen Funktion vorstellen?
Hitzfeld: Nein. Da habe ich meine Entscheidung getroffen als ich bei Bayern aufgehört habe und Nationaltrainer der Schweiz wurde. Ansonsten hätte ich gleich beim FC Bayern bleiben können. Ich habe mich entschieden, dass ich nicht mehr den Alltagsstress möchte. Als Nationaltrainer habe ich mehr Ruhe, kann strukturierter arbeiten und kann nebenher noch für Sky arbeiten. Es macht mir Spaß die Spiele im TV zu analysieren und der Vorteil dabei ist: Man kann in dem Moment selbst kein Spiel verlieren, was natürlich angenehm ist.