Sir Peter: "Bayern ist makellos - wie Aida"
AZ: Sir Peter, wenn das kein großes Theater ist: Ausgerechnet in Wembley, dem heiligen Gral des englischen Fußballs, kommt es in der Champions-League zum reinen deutschen Finale zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Was sagt der ehemalige Intendant der bayerischen Staatsoper dazu?
SIR PETER JONAS: Herrlich, das ist schon fast schwarzer, britischer Humor, dass ausgerechnet die Deutschen auf englischem Boden ausmachen, wer Fußball-König Europas wird. Das hat fast etwas von „Der göttlichen Komödie”.
Das berühmte Werk von Dante. Dort muss Dante erst den Weg der Läuterung beschreiten, die Hölle durchqueren, um ins Jenseits, das Himmelreich zu gelangen. Die Bayern mussten 2012 mit dem Finale dahoam die Hölle durchleben, um jetzt hoffentlich die Himmelsglocken zu hören.
Das war große Oper. Es war so bitter, so dramatisch. Und das ausgerechnet gegen Chelsea! Kein Engländer kann Chelsea ausstehen, ach, was sage ich, kein Mensch kann sie ausstehen. Sie sind so dermaßen abgehoben. Da kommt ein russischer Oligarch, der glaubt, es wäre nicht nur schön, 15 Rolex, 100 Autos, und vier Yachten zu besitzen, sondern auch noch einen Fußballklub. Der schüttet den Klub mit Geld zu und kauft sich den Erfolg. Die Bayern sind mir viel sympathischer, sie haben mit ihrer Attitüde noch einen bayerischen Alpenfuß in der Realität. Wie sehr das in England wahrgenommen wird, zeigt die Tatsache, dass man sogar im englischen Parlament die deutschen Vereine als vorbildlich gelobt hat, weil sie finanziell gesünder dastehen.
Hört, Hört.
Genau, aber die Bayern haben auch ein großes Problem.
Unsere Neugier ist geweckt!
Es ist den Bayern unmöglich, jetzt noch mit Haltung, mit Ehre, mit Würde gegen Dortmund zu verlieren. Kein Engländer würde das verstehen. Die wissen nicht einmal, wo Dortmund liegt. Irgendwo in Deutschland – aber wo genau? Die Rolle des tragischen Helden kann Bayern nicht mehr übernehmen, sie können nur noch als strahlender Sieger vom Feld gehen, sie sind zum Siegen verdammt. Aber wissen Sie was? Eigentlich ist das Champions-League-Finale nur ein Vorspiel.
Wie bitte? Was soll denn dann der Hauptakt sein? Der Kampf um Europas Fußball-Krone ein Vorspiel?
Zumindest für uns Ur-Engländer. Da ist der 27. Mai viel wichtiger als der 25. Da geht es zwischen meinem Klub Crystal Palace und Watford um das englische Championship-Finale. Es geht um die Ehre, um den Aufstieg, um 128 Millionen. Das Spiel, das auch im Wembley steigt, ist für uns Engländer viel wichtiger. Ich drücke den Bayern die Daumen, aber noch mehr drücke ich sie meinen Jungs von Crystal Palace.
Sie haben vor dem CL-Finale 2012 das Spiel der Bayern mit der Verdi-Oper „Simon Boccanegra” verglichen, gilt das für Sie immer noch?
Nein, das Spiel der Bayern hat sich entwickelt. Wenn ich Bayern früher mit „Simon Boccanegra” verglichen habe, dann weil das eine politische Oper war, in der die Politik, das Taktieren wichtiger war als die Emotion. Das Bayern-Spiel war so strukturiert, aber das Unterhaltsame fehlte. Aber Bayern hat sich gewandelt: Sie sind nicht mehr so aristokratisch. Ich bin, wenn es um Fußball geht, proletarisch veranlagt. Bei Barcelona hat man gestaunt, man hat bewundert. Aber es bleibt einem nie der Atem weg. Das war hohe Kunst. Zu hohe Kunst!Es fehlt halt die Leidenschaft. Bayern hat aber sein Herz gefunden.
Wie sieht das aus?
Nun, früher – das begann zu den Zeiten von Franz-Josef Strauß – hat Bayern im Fußball, aber auch als Land, versucht, sich nicht auf die Lederhosn, die Bierseligkeit reduzieren zu lassen. Das hat man nicht immer geschafft. Man hat sich aber jetzt von der Provinzialität befreit und ist ein internationaler Vorzeigeklub, der auch nicht mehr nur erfolgsorientierten, langweiligen Besitzfußball spielt. Jetzt würde ich sagen, dass Bayern zu „Aida” geworden ist.
Die legendäre Oper von Giuseppe Verdi.
Genau, „Aida” steht für Perfektion, Bayern ist fast perfekt, makellos. Sie haben das Taktierende, das Berechnende aus ihrem Spiel genommen und es durch das Menschliche ersetzt. Man kann das mit der Malerei vergleichen, als man mit ganz kleinen Strichen minutiös wunderbare Werke schuf. Aber dann, dann kam Rubens mit klaren Linien, er brachte Leben und Formen in die Kunst. Die Bayern sind wie Rubens. Das gefällt mir.
Und die Dortmunder?
Das ist schwierig. Das ist als ob man in eine Oper geht, die man nicht kennt. Weder den Komponisten, noch die Künstler, noch das Haus, in dem es aufgeführt wird. Das mag schön sein, aber es fehlt die emotionale Bindung. Diese biertrinkenden Westfalen, sie führen für uns Engländer ein Leben in der Anonymität – das ist eine Mannschaft, die schlicht keiner kennt. Mit welcher Oper man das vergleichen kann? Am ehesten mit einer Figur. Mit Sparafucile.
Dem Mörder aus „Rigoletto”?
(lacht) Das hätte ich wohl besser nicht gesagt. Ein durchtriebener Charakter, der dem Held Rigoletto das Wichtigste im Leben nimmt.