Sein kleiner Bruder mit dem Schuhtick
Was Jérome Boateng, den neuen Innenverteidiger des FC Bayern, mit seinem Halbbruder Kevin-Prince verbindet – und warum beider Karrieren dennoch so unterschiedlich verlaufen.
München - Um acht Minuten haben sie sich verpasst. Kevin-Prince Boateng, der Ältere, 24. Und Jérome, sein Bruder, 22, knapp eineinhalb Jahre jünger. Doch das spielte keine Rolle. Die Trainer wollten es so. Beim Audi-Cup unter der Woche wurde Kevin-Prince von Milan-Coach Allegri ausgewechselt, Bayern-Trainer Jupp Heynckes brachte Jérome acht Minuten später in die Partie. Kein direktes Duell? Kein Thema. Kein Kontakt? Den brauchen sie im Leben, nicht auf dem Platz.
Bruderliebe vergeht nicht. Auch wenn da mal etwas war mit einem Foul an Michael Ballack kurz vor der WM 2010 in Südafrika. Und man dann, die Geschichte wollte es so, aufeinandertraf. Die DFB-Elf ohne den verletzten Capitano, aber mit dem von den Fans teils in Sippenhaft genommenen Bruder, und Ghana mit dem bösen Buben, so hieß es. Ein Wort gab das andere, auch über die Medien. Danach folgte SMS-Stille, keine Anrufe. Bruderzoff.
Alles vergeben und vergessen. Nach dem letzten Spiel des Finaltags nahmen sich die beiden in den Arm, jeder ist mit sich und seiner Karriere im Reinen. „Ich traue ihm sehr viel zu", sagte Kevin-Prince über Jérome, den die Bayern für 13,5 Millionen Euro vom englischen Topklub Manchester City verpflichtet haben, damit er das wird, was sein Bruder ausspricht: „Er wird die Nummer eins in der Defensive." Vielleicht darf der kleine Bruder, angesichts seiner guten Vorstellung beim Audi-Cup beim Pokal-Spiel in Braunschweig am Montag (20.30 Uhr, ARD und Sky live) schon ran. Und vielleicht wird er am Ende Deutscher Meister. Dann würde er nachziehen. Kevin-Prince wurde mit Milan Campione in Italien.
Die anderen Boatengs verfolgen alles aus Berlin. Prince, der Vater, und George, der Bruder. George, der Älteste des Trios, ist mit Kevin aufgewachsen, hat ihn zum Fußball mitgenommen. Mancher Trainer behauptete, George sei unter den drei Boateng-Brothers das größte Talent gewesen. Heute spielt er für den Nordberliner SC in Reinickendorf, sechste Liga. Doch die Brüder halten zusammen.
Die beiden Südafrika-Fahrer haben vor der WM 2010 George mitgenommen zu einem Termin in einem Tattoo-Studio. Als sie fertig waren, trug jeder die Umrisse von Afrika auf dem linken Oberarm, umrandet die Grenzen Ghanas. Das Land ihres Vaters, das er einst verlassen hatte.
Die Profis Kevin und Jérome haben unterschiedliche Mütter, daher ist der neue Bayern-Verteidiger nicht im rauen Wedding aufgewachsen, sondern im noblen Wilmersdorf. Bolzplatz, Schulhof, Straße – Kevin musste sich durchsetzen. Er wurde Ramboateng. So spielte er früher auch. Jérome fuhr in den Urlaub, in Camps für Talente. Er beherrscht die körperlose Grätsche.
Gemeinsame Hobbys haben sie dennoch: Schuhe, trendige Mode, Basketballkappen: beide können ganze Zimmer damit füllen. Als Kevin bei Tottenham einst nicht spielen durfte, legte er sich in einer Woche einen Lamborghini, einen Cadillac und einen Jeep zu. Die parkte er meist vor Nachtklubs. Vermutlich hat Kevin da schon den Moonwalk geübt – gezeigt hat er ihn im perfekten Michael-Jackson-Outfit auf der Meisterfeier von Milan, ein YouTube-Hit.
Von Jérome können die Bayern-Fans so etwas nicht erwarten. Nach dem Training kümmert er sich um seine Familie. Im März brachte seine Freundin Sherin Zwillinge zur Welt, Lamia und Soley. „Die Geburt war der glücklichste Moment meines Lebens", sagte er, „ich laufe die ganze Zeit mit einem Lächeln im Gesicht rum." In einem seiner 400 Paar Schuhe.
Nun muss er übrigens anbauen, an-tätowieren. Die Kleinen fehlen auf seinem Rücken, dort hat er sich den Familienstammbaum stechen lassen, zurück bis zur Urgroßmutter. Natürlich mit George und Kevin-Prince.